Irisches Tagebuch 2011

In der Parallelwelt

 

Sonnabend, 11. Juni 2011

Shoppen in Galway, den ganzen Tag, doch die Ausbeute ist eher bescheiden, was andererseits den Geldbeutel freut.

Strassenmusiker in Galway, © 2011 Juergen KullmannWider aller Ankündigungen des irischen Wetterdienstes wird es ein sonniger Tag. Straßenmusiker an allen Ecken, je jünger sie sind, umso mehr Beifall kommt von den Passanten. Vor der AIB-Bank haben sich unter den Fenstern von Lynch’s Castle ein Verein zur Rettung ausgesetzter Hunde, die Vereinigten Linken und die Republican Sinn Féin mit ihren Ständen breit gemacht und werben um Mitglieder, Spenden und Unterschriften für diverse Petitionen. Während mein Mädchen im Style Shop nichts kauft, beobachte ich vor dem Laden gegenüber, wo eine Bettlerin mit osteuropäischem Kopftuch einen Säugling im Arm haltend auf einer Decke sitzt und Passanten ihren Pappbecher entgegenhält, den Schichtwechsel. Es naht ein solide gekleideter Herr mit gleichfalls Migrationshintergrund und einem Kinderwagen, darin ein etwas größerer Sprössling. Mann und Frau wechseln scherzend ein paar Worte in einer mir unbekannten Sprache, dann werden die Kinder getauscht und der Herr zieht weiter.

Strassenmusiker in Galway, © 2011 Juergen KullmannAuf einer Bank unweit dieser Szene machen es sich drei Herren bequem, ganz links Oscar Wilde, ein geborener Dubliner, der allerdings sein gesamtes literarisches Leben in London verbrachte. Über einen in der Mitte sitzenden Zeitungsleser unterhält er sich mit dem estnischen Schriftsteller Eduard Vilde (1865 – 1933), den er im wahren Leben nie traf. Die estnische Bildhauerin Tiiu Kirsipuu hat ihn wie auch Wilde nach Fotos modelliert, dabei nach eigenen Worten stets im Auge behalten, dass die dargestellte ernste Unterhaltung 1892 theoretisch hätte stattfinden können. Die Figurengruppe ist – abgesehen von dem Zeitungsleser – eine Replik ihres Werkes aus dem Jahr 1980, die Estland im Jahr 2004 anlässlich seines Beitritts zur EU der Stadt Galway geschenkt hat.

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Im Licht der im Westen hinter den Twelve Bens schwindenden Sonne fahren wir am frühen Abend heimwärts. Wie schon so oft ein Stopp im Inagh Valley, doch die Stille das Tals lässt sich auch digital nicht auf ein Foto bannen. Gegen halb acht sind wir zu Hause. Der Abend ist noch zu schön, um nicht mit einer Flasche Wein vor dem Cottage zu sitzen, und als die Flasche leer ist, sind wir zu müde für die Musik in Molly’s Bar.

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Sonntag, 12. Juni 2011

Regen in der Nacht, beim Wettercheck nach dem Frühstück tropft es mir vom Vordach über der Tür in den Nacken. Wir schreiben Briefe, stricken, lesen und sprinten gegen Mittag über die Straße in die Bar des Maol Réidh Hotels. Die Preise für Dinner und Barfood liegen deutlich unter denen vom letzten Jahr. Die Barfood-Karte gefällt uns besser, auch liegt uns nichts an einem weiß gedeckten Tisch im Restaurant.

In der geräumigen Bar ist es etwas schummrig, auf der rechten Seite ein verwaister langer Tresen, an dessen hinterem Ende auf einer Projektionsfläche ein Pferderennen übertragen wird. Davor sitzt ein Paar beim Mahl, der Mann mit gelegentlichen Ausrufen von Begeisterung und Missbilligung auf die Leinwand starrend, während die Frau gelangweilt in die Gegend blickt, vor sich eine Flasche Rotwein und ein noch halb gefülltes Glas. Sie ordert einen Irish Coffee dazu, der aus dem Restaurant nebenan geliefert wird. Wir sitzen gleich hinter der Eingangstür, wo es ein wenig heller ist, und blicken durch eine Scheibe auf den Innenhof. Dann kommen zwei Pint Guinness, ein Riesenkorb Chicken Wings with Chips för mien Deern und für mich Nachos with grilled Chicken and three Dips. Lecker!

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Nach dem Lunch klart es auf. Wir fahren nach Cleggan, vorbei an der Baustelle des ‘Clifden Airstrip’, eine Start- und Landebahn für eine angedachte Flugverbindung nach Inishbofin. Ob auch dieses Projekt der Rezession zum Opfer gefallen ist? In den letzten zwölf Monaten hat sich hier nichts getan. Selbst dem Galwayer Flughafen, der sich einst internationaler Verbindungen rühmte, droht mittlerweile das Aus.

In Cleggan hocken wir windgeschützt auf dem Sockel vor der Kaimauer und geben uns dem spannenden Schauspiel hin, was am Ende der Pier aus den die Mole hochkommenden klapprigen Vehikeln für die 15-Uhr-Fähre nach Inishbofin ausgeladen und aufgestapelt wird: Gebinde mit Getränkedosen, ein Spiegelschrank, Dämmplatten aus Styropor, ein Rasenmäher. Dann kommt die Fähre, überraschend viele Passagiere steigen aus. Mit den letzten begeben wir uns zum Auto zurück.

Ein oder zwei Stunden später. Zurück auf der Renvyle-Halbinsel, sitzen wir auf einer Bank vor dem ‘Ocean’s Alive Heritage Centre’ am Ballynakill Harbour. Drinnen waren wir noch nie, haben auch noch nie jemand hineingehen oder herauskommen gesehen. Auf der anderen Seite der Bucht glänzt vor dem sich verfinsternden Himmel die geschliffene Kuppe des Diamond Hill. Unbezwingbar sieht der Berg aus, kaum vorstellbar, dass wir dort oben schon einmal gestanden haben. Wir klopfen uns auf die Schultern.

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Musik im Angler's Rest, © 2011 Juergen KullmannGegen ein Uhr in der Früh klingt mit Molly McGuire’s und Amhrán na bhFíann die Session im Angler’s Rest aus. Für ein paar Melodien hatte sich ein junger lokaler Gastmusikant mit seinem Knopfakkordeon dazugesellt. Seit Charlies Tod hatten wir hier keinen Akkordeonspieler mehr gesichtet, vielleicht findet er ja doch einen Nachfolger. Frank und Kieran packen ihre Instrumente in die Kisten, rollen die Kabel ein und hieven die schweren Lautsprecher von den Stativen.

Wir sind dabei uns von ihnen zu verabschieden, da naht aus dem Hintergrund ein Mann, der den ganzen Abend über mit Franks Bruder Seán an der Bar gestanden hatte. Sieht unserem Landlord Patrick Sammon irgendwie ähnlich. “Your’re Hildegard and Jürgen?” Wir können das nicht verleugnen. Er sei einer der Sammon-Brüder, von denen es sieben an der Zahl gebe, stellt er sich vor, und habe unsere Sammlung von Johnnies Erinnerungen und Briefen gelesen. Großartig, echte local history und so weiter. Ob man sie im Buchhandel oder in Craftshops erwerben könne? Leider nicht, enttäuschen wir ihn, nur als Privatdruck, doch wir hätten noch zwei Exemplare drüben im Cottage.

Bei solch einer Begeisterung über die neunzig Seiten steht zu erwarten, dass das Werk demnächst in den Bestand der irischen Nationalbibliothek aufgenommen wird. Immerhin gehört ein ehemaliger Minister für Kunst, Kultur und die Gaeltacht zum Bekanntenkreis unseres Gesprächspartners. Noch kam keine Anfrage aus Dublin, aber als Gott die Zeit erschuf …

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Montag, 13. Juni 2011

Während des Frühstücks beobachten wir, wie gegenüber am Maol Réidh Hotel Fenster geputzt werden. Von innen lassen sich die Außenflächen der Schiebe-Fenster nicht reinigen, und so muss von außen eine Leiter angelegt werden. “Der macht das aber sehr ordentlich”, meint mien Deern, nachdem sie das Tun des Putzers eine Zeitlang kritisch beäugt hat. “Eigentlich haben es unsere Cottagefenster auch mal wieder nötig.”

Der Tag ist nicht nur zum Fensterputzen gut, und so wandern wir, nachdem dies erledigt ist, über den Glassilaunstrand. Die Straße dorthin hat wieder die Schlaglochdichte von 1992. Es ist Flut, das Wasser steigt, und vom Meer weht eine ausgesprochen frisch Brise. Ich wickele mir einen Schal um den Hals. Wo mag bei einer Lufttemperatur von 12 bis 15 Grad die Wassertemperatur liegen? Zwei Menschen – nicht wir! – probieren es aus und wagen sich in die Fluten.

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Zu Mittag kochen wir selbst, das heißt, gekocht (zwei Eier und drei Kartoffeln) wurde schon nach dem Frühstück. So muss für unseren Kartoffelsalat nur noch geschnibbelt werden, neben den bereits genannten Zutaten ein Apfel, Lauchzwiebeln, eine Tomate und saure Gurken. Hinzu kommen ein kleines Glas Hellmann-Mayonnaise und ein Topf Yoghurt. Am Ende fühlen sich die Kartoffeln als eher nebensächliche Beigabe. Dazu gibt es Crab-Meat und eine geräucherte Makrele.

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Musik im Angler's Rest, © 2011 Juergen KullmannDie Abendstimmung ist zu schön, um im Dorf zu bleiben. Wir haben das Auto am alten Burgturm geparkt und sind zum Friedhof hochgewandert. Charlie hat jetzt einen Grabstein – in Form eines Herzens. Uns fällt auf, dass viele Grabsteine den Tag der Geburt verschweigen und nur das Todesdatum angeben. Das wichtigere Datum im Leben eines Menschen? Nicht weit von Charlies Grab finden wir ein neues. Es hat noch keinen Grabstein, ist aber ganz mit Jakobsmuscheln belegt. Der Grabschmuck dürfte bald Vergangenheit sein, vergänglich wie die kleine Kirche der sieben Schwestern, deren Ruine über allem wacht. Oder waren es sieben Töchter?

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Nach dem Abendessen ein Pint auf das Wohl der Seele von Charlie O’Malley. Das Pint geht zur Neige. Drang da nicht gerade ein leiser Ton von seinem Akkordeon an unser Ohr, oder war es nur der Wind, der durch die sich öffnende Tür kam? Ein junger Mann mit einer Gitarrenkiste tritt ein, und etwas später erklingen erste Saitentöne aus dem hinteren Teil von Paddy Coyne’s Bar. Mit unseren Gläsern folgen wir ihnen. Nach ein paar Liedern sind die Gläser leer und wir gehen heim.

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Dienstag, 14. Juni 2011

It’s a long way from Clare to here, tönt es von einer CD aus dem Autolautsprecher, doch wir sind in Gegenrichtung unterwegs, auf dem Weg nach Clare. Auf dem Weg in den Burren, den wir schon seit mehr als einem Jahrzehnt besuchen wollten, und wenn Oliver Cromwell an der Region auszusetzen hatte, dass es dort keine Bäume gibt um die Bewohner an ihren Ästen aufzuhängen, werden wir mit diesem Makel leben können.

Musik im Angler's Rest, © 2011 Juergen KullmannIn Kinvara, der letzten Stadt in der Grafschaft Galway, legen wir einen ersten Stopp ein. Den Car park opposite the Castle gelingt es uns nicht zu finden, also parken wir mitten im Ort und laufen die zwei Kilometer zur Burg zurück. Sie entstand in der Mitte des 16. Jahrhunderts, eine vergleichsweise friedliche Zeit für die Südküste der Galway Bay, in der die führenden Familien des Landes Gefallen daran fanden, normannische Burgen zu Wohnzwecken nachzubauen. Heute Abend gibt es auf Kinvara Castle ein mittelalterliches Bankett, doch wir wandern nach einigen Fotos und dem Kauf zweier Ansichtskarten in den Ort zurück und laben uns in einem Restaurant an der Spitze der Pier an Muscheln und einem Steak mit Pfeffersauce, letzteres zum unschlagbaren Preis von € 13,95. “Very good value”, kann man der Kellnerin da nur bestätigen.

“Ein Guesthouse mit individuell eingerichteten Zimmern im irischen Landhausstil am Ortseingang von Ballyvaughn”, so die Beschreibung im Internet. Mien Deern hatte es beim Surfen für 90 Euro pro Nacht entdeckt. Wir suchen und finden es, doch wo ist Ballyvaughn? Der Karte nach mindestens drei Kilometer voraus – am Abend noch einmal kurz in den Pub gehen, kann man sich da abschminken. Wir steigen wieder ein, fahren in den Ort, stellen das Auto vor einem Pub ab und machen uns auf die Suche nach einer fußläufig erreichbaren Unterkunft.

Die Straße gabelt sich im Ortskern. Wir schlendern nach rechts die Seepromenade hoch, vorbei an vielen Parkplätzen und wenigen Autos, die sie nutzen. Hinter dem award-winning Seafood Restaurant The Monk taucht das Oceanville B&B auf. Vacancies! verkündet ein Schild. Fußläufig zu allen Pubs und Restaurants, und Seeblick hat es auch. Wenn es jetzt noch über ein freies Zimmer en suite verfügt, sollte alles klar sein. Eigentlich. “Aber ist es nicht arg gesichtslos, in diesem schrecklichen 70er-Jahre-Stil?” zeigt sich die Liebste wenig begeistert. “Und dann ist rund ums Haus alles so hässlich geteert!” Also wandern wir zurück ins Dorf, nur um festzustellen, dass die anderen B&Bs auch nicht mehr Stil haben und zudem schlechter gelegen sind.

Mehr als eine Stunde später stehen wir erneut vor dem Oceanville B&B und klopfen an die Tür. Ein Inderin, die noch weniger Englisch als wir zu verstehen scheint, öffnet und führt uns in ein hübsches Zimmer mit edlem Bad und Meerblick für € 34 pro Person und Nacht. Trotz der Sprachbarrieren begreifen wir, dass die Landlady Cathleen zum Shoppen nach Galway gefahren ist und bei ihrer Rückkehr das Finanzielle regeln wird. Die Möbel sind zwar nicht mehr ganz neu, doch gemangelte weiße Baumwollbettwäsche, blitzblank geputzte Scheiben und ein Bad, das erst kürzlich von einem der wenigen fähigen Handwerker des Landes gefliest wurde, überzeugen uns. “Sehr, einladend!” meint mein Mädchen. Wir schlagen zu, und unser Reiseschaf Eileen Óg okkupiert schon einmal mit dem Gepäck das Zimmer – nicht, dass es uns noch ein anderer wegschnappt.

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Zum Essen ausgehen wollen wir heute Abend nicht mehr, so pub-satt, wie wir aus Kinvara hier angekommen sind. Doch für alle Fälle erstehen wir im örtlichen Spar-Markt vor Toresschluss noch eine Flasche Rotwein, eine Packung Crackers (Olive Oil & Oregano) und ein Päckchen Ziegenfrischkäse. Dann fahren wir, während der Himmel sich langsam zuzieht, ein Stück die Küstenstraße hoch, wollen noch etwas sehen, bevor der große Regen kommt.

Black Head, die Nordspitze der Grafschaft Clare, ist unser Ziel, doch der Leuchtturm unterhalb der Straße ist eher ein Türmchen und erweist sich als wenig pittoresk, zudem ist der Weg zu ihm versperrt. Also fahren wir weiter, der Himmel grau, die Steinformationen, die sich von den Höhen links der Straße rechts von ihr bis ans Wasser hinunterziehen, desgleichen. Da will es das Meer auch nicht anders und schließt sich der Farbwahl an. Wenn aber die graue Wolkendecke für einen kurzen Moment aufreißt und ein Streifen am Himmel zu schimmern beginnt, antworten die Steinplatten mit einem mystischen Glänzen.

Dann verschließt sich der Himmel endgültig der Sonne. Erste Regentropfen entwickeln sich zu einem Wolkenbruch, während wir im Wintergarten unseres B&B sitzen, aufs Meer schauen, zwei pitschnasse Radfahrer passieren sehen, unsere Crackers in den Ziegenkäse dippen und die Flasche Wein leeren. So lässt sich irischer Regen genießen. Schlechtes Wetter in Irland gibt es nicht, nur die falsche Art, es auszusitzen.

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Mittwoch, 15. Juni 2011

Nach einen wunderbaren Frühstück – ‘Full Irish’ aber ohne sausages für mein Mädchen und ‘Full Irish Vegetarian’ für mich – machen wir uns zur großen Burren-Rundfahrt auf.

Poulnabrone, © 2011 Juergen KullmannGlaubt man der einschlägigen Literatur, muss der gebildete Irlandreisende den Poulnabrone Dolmen gesehen haben. Heute ist er unser erstes Ziel. Die ursprünglich von einem Steinhügel bedeckte Grabstätte wurde zwischen 3200 und 3800 v. Chr. erbaut und 1986 nicht immer ganz fachgerecht restauriert. Nach zähen Verhandlungen mit den jungsteinzeitlichen Göttern öffnet der für das Wetter zuständige die Wolkendecke und lässt just in dem Moment ein paar Sonnenstrahlen über die Steinplatten gleiten, in dem die erste Busladung Touristen ihn verlässt und die im Anmarsch befindliche zweite ihn noch nicht erreicht hat. Für ein Foto reicht es, dann ist die Steintafel wieder von Menschen der Neuzeit umwimmelt.

Auf dem Weg zur nächsten Station passieren wir Leamaneh Castle. Das Turmgebäude wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts vom vorletzten König des Königreichs von Thomond erbaut. Sein Sohn unterwarf sich dem englischen Herrscher und wurde der erste Earl of Thomond, doch dessen Stammhalter überwarf sich gleich wieder mit der Krone um als Rebell in Limerick aufgehangen zu werden. Ob sein Geist noch in der Ruine spukt, können wir nicht nachprüfen, denn das Tor zur Auffahrt ist versperrt. Immerhin bleibt uns der Wettergott gnädig und lässt für zwei Fotos etwas Sonnenlicht über das alte Gemäuer huschen. Das die Ruine dominierende Herrenhaus entstand erst Mitte des 17. Jahrhunderts.

Nun zur Hauptattraktion des Burren, denn das muss sie sein, so oft mein Mädchen sie in den letzten zwei Wochen erwähnt hat. Zur Erleichterung manch eines Ehemanns gut in der kargen Landschaft versteckt und nur über schmale Fahrwege – hoffentlich kommt uns jetzt keiner entgegen! – erreichbar, liegt die Burren Parfümerie. Doch alles Verstecken nützt nichts, denn es führen, wie Tony Whilde vor zwanzig Jahren schrieb,

“Hinweisschilder von allen Ecken des Burren direkt zu dieser Parfümerie, die einzige in Irland produzierende. Der Inhaber Vincent hat bei führenden Parfümiers in Europa gelernt, ehe ihn jemand bei einem Besuch auf den Araninseln auf die Idee brachte, in dieser blumenreichen Region Irlands eine Parfümerie zu gründen. Der an die Rückseite seines Hauses gebaute Workshop ist im Herzen dieses Kalkgesteins zwischen Bäumen gut versteckt”,

Badender, © 2011 Juergen Kullmann… doch nicht gut genug, als dass mien Deern ihn nicht erschnuppert hätte. Durch einen Baumgürtel (womit Oliver Cromwell widerlegt ist ) gelangt man zu einigen Gebäuden mit Bruchsteinfassaden, links die einer alten Apotheke ähnelnde Hexenküche mit einem kleinen Ausstellungsraum und angeschlossenen Laden, rechts ein Haus mit einem Tea Room und daneben die Destille. Mein Mädchen begibt sich in die Hexenküche, schnuppert sich durch und tauscht 36 Euro gegen 100 ml einer männerbetörenden Substanz genannt ‘Summer Harvest’ ein. Dann wandern wir durch den Kräutergarten der Parfümerie und entdecken ganz hinten einen Badenden, der dort wohl schon etwas länger ruht.

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Wir sind wieder ‘on the road’ und erreichen Doolin, von der alle Welt nur die Fisherstreet kennt und viel mehr auch nicht kennen muss. Doolin gilt als Hochburg der traditionellen irischen Folkmusik; somit muss jeder Irlandreisende, der etwas auf sich hält, einmal im Leben in Doolin eine Irish-Folk-CD gekauft haben – selbst wenn er daheim feststellen sollte, dass er die Aufnahmen hinter einem anderen Cover verborgen bereits besitzt. Dieser Verpflichtung stellen wir uns und haben, wie wir in Kürze feststellen werden, Tony MacMahons melancholische Akkordeonaufnahmen aus dem Jahr 1972 doppelt. Im Coffee Shop nebenan gibt es zum Abschluss des Geschäfts noch einen Kaffee, ehe wir zur Pier wandern.

Dort stehen wir nun nach einem zwei Kilometer langen Fußmarsch, beobachten die ans steinige Ufer schlagenden Brecher und das sich schaukelnd dem Anleger nähernde Ausflugsschiff … und kommen zu dem Schluss, dass einmal seekrank für zwei Personen keine vierzig Euro wert sind. Die in Erwägung gezogene Umrundung der Cliffs of Moher im Boot fällt aus.

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Lisdoonvarna ist, wenn nicht gerade der Heiratsmarkt stattfindet, ein beschauliches Örtchen. Auf dem Platz vor dem Ritz – wer seine Mitmenschen mit der Bemerkung, er habe im Ritz gespeist beeindrucken möchte, kann sich das hier leisten – lässt sich mein Mädchen zwischen zwei in Stein gehauenen Musikanten fotografieren,Anbetung des Meeres, © 2011 Juergen Kullmann ehe wir uns erneut der Küste zuwenden und entlang der R 477 die Steinformationen des Burren erkunden. Stopp and go. Ich glaube, es war bei Callahanamoe, wo uns die gegen die Felsen donnernden Wellen bestätigten, dass es eine gute Idee war, sie nicht in einem Boot umrunden zu wollen. Wir beobachten noch vier dem Meeresgott huldigende, wer weiß woher entsprungene Gestalten, dann geht es die Nordspitze Clares umrundend zurück nach Ballyvaughn.

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Das Abendprogramm als Telegramm: Dinner umgeben von anderen deutschen Touristen in Green’s Bar an der Straßengabelung +++ abendlicher Spaziergang entlang der Wasserkante zum Anleger +++ Musik bei einem Pint Guinness im Pub.

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Donnerstag, 16. Juni 2011

Nach dem Auschecken und Abschied von unserer netten Landlady nehmen wir Kurs auf Gort, wo wir Lady Gregory besuchen wollen – ein paar Zwischenstationen inbegriffen. Gleich hinter Ballyvaughn die erste, Newtown Castle. Der vom Clan der O’Briens im 16. Jahrhundert erbaute Burgturm ging schon bald in den Besitz der ‘Prinzen des Burren’ über, wie die O’Loghlins als mächtigster Clan der Gegend genannt wurden. 1993 wurde er restauriert und Teil des Burren College of Art, das die damalige Staatspräsidentin Mary Robinson 1994 eröffnete. Vier Meter dick sind die Wände im Erdgeschoss, das einst als Vorratskammer diente – eine Klima-Anlage braucht diese selbst im heißesten Sommer nicht. Andererseits dürfen die Studenten im Turm nicht kälteempfindlich sein, denn eine Heizmöglichkeit hatten die Bauherren nicht vorgesehen.

Weiter geht die Fahrt durch die karstigen Sandsteinhügel. Hier und da ein Stopp an einem Aussichtspunkt, von dem aus man bei dem regnerischem Wetter nicht viel sehen kann. Wir steigen schnell wieder ein. In Kilfenora lichtet es sich etwas auf und wir besichtigen die Reste eines alten Hochkreuzes, geschützt von einem modernen Glasdach, das sich über die Mauerreste einer im Jahr 1195 von Zisterziensermönchen gegründeten Abtei erhebt. Vor den Exkrementen der Vögel, die sich unter dem Glasdach erleichtern, schützt es allerdings nicht.

Kilmacduagh Rundturm, © 2011 Juergen KullmannGegen Mittag erreichen wir Gort, nachdem es uns kurz zuvor noch gelungen war, den Kilmacduagh Round Tower auf den Speicherchip der kleinen Kompaktkamera zu bannen. An einem etwas rostigen Geldautomaten der örtlichen AIB-Bank füllen wir unsere Geldbörsen auf. Viel hat sich im Ortskern seit unserer letzten Durchfahrt nicht getan, und die liegt bereits zehn Jahre zurück. Nur dass jetzt hinter der Brücke am Ortseingang, wo uns bei der Anreise von Shannon die nette Angestellte eines kleinen Supermarkts unzählige Tüten über die Straße zum Auto trug, ein Aldi-Laden steht. Das Pendant Lidl findet sich am anderen Ende des Städtchens.

Unser Navigationsschaf Eileen Óg lotst uns in den Coole Park. Romantisch in einem Wäldchen gelegen empfangen uns die Mauern und Ruinen des Anwesens von Lady Augusta Gregory (1852–1932), die nach dem Tod ihres um 35 Jahre älteren Mannes zur Organisatorin und einer der treibenden Kräfte des Irish Literary Revival wurde. Mit William Butler Yeats und anderen gründete sie das Abbey Theater, das heute als irisches Nationaltheater gilt. Die Stallungen sind restauriert und beherbergen einen Tea Room, in dem wir uns stärken. Waren wir im Burren hauptsächlich von deutschen Touristen umgeben, fällt auf, dass hier fast aller Besucher Iren sind, in der Mehrheit ältere Damen der Kategorie ‘Ausflug der katholischen Frauenvereinigung St. Sowieso’. Der Coole Park liegt offensichtlich nicht an der Touristenautobahn, und dennoch, der Besuch lohnt sich. Ich mache es mir einfach und zitiere aus einem Brief von Eileen Óg an Nis Puk:

 
Eileen Óg an Nis Puk in Tönning
– Brief aus dem Burren

Moin Nis —

Nach drei Tagen anstrengender Burren-Erforschung sind wir endlich auf dem Anwesen von Lady Gregorys Verwandten* eingetroffen, dem eigentlichen Ziel meiner Expedition. Was habe ich mir den Mund fusselig reden müssen, um meine Mitreisenden hierher zu locken!

Nachdem ich mich ein wenig umgeschaut habe, verstehe ich, warum unsere Lady Gregory es vorzieht, bei dir im Zimmer ‘Captain’s Daughter’ zu wohnen, statt auf dem Anwesen ihrer irischen Ahnen, auch wenn der Coole Park schon ein bisschen größer ist als der Garten von uns Huus. Denn das Haus, in dem die irische Lady vor einhundert Jahren lebte, hat kein Dach mehr. Und auch keine Wände. Dort, wo es einmal stand, sieht man nur noch einen Sockel und eine Mauerkante.

Statt dessen gibt es am Eingang zum Park ein Heritage Centre, in dem gezeigt wird, wie alles früher einmal war. Schlau gemacht, hätte auch mein Konzept sein können. Geht man die Treppe hoch, kommt man in verschiedenen Räume, die ein bisschen so eingerichtet sind wie in dem verschwundenen Haus, zum Beispiel das Kinderzimmer der Enkelinnen von Lady Gregory und die Schreibecke der Hausherrin. Ihr Mann war mal Gouverneur von Ceylon, da hatten sie wohl massig Geld. In jedem der Räume hängt ein großer Bildschirm, auf dem Anne und Nu, so heißen die beiden Enkelinnen, in einem Film zeigen, wie es früher bei ihrer Oma aussah. Ich glaube aber, die Enkelinnen sind nicht echt, sondern zwei kleine Schauspielerinnen. Aber ganz süß, kann ich dir sagen.

Autograph Tree, © 2011 Juergen KullmannAnn und Nu erzählen auch von den berühmten Schriftstellern, die ihre Oma besucht hatten, von einem, den sie ganz toll fanden, und einem anderen, der etwas stur war. Zwischendurch werden ein paar alte Filme aus dieser Zeit eingespielt, auch wenn sie etwas flackern. Eines der beiden Mädchen hat später ein Buch über das Leben bei ihrer Großmutter im Coole Park geschrieben. Dort sind sie groß geworden, weil ihr Vater in einem Flugzeug vom Himmel gefallen ist und ihre Mutter keine Zeit für sie hatte. Auf mein Drängen haben wir das Buch dann gleich gekauft.

Nach dem Besuch des Museums sind wir im Park spazieren gegangen, und ich habe meinen beiden Expeditionsteilnehmern den Baum gezeigt, in dem die Schriftsteller, die die Lady vor hundert Jahren oder so besucht hatten, die Anfangsbuchstaben ihrer Namen geschnitzt haben. Einer war sehr eitel und hat sein ‘GBS’ besonders kunstvoll in den Baum geritzt. Jetzt ist um dem Baum ein Gitter, so dass niemand herankommt, um seine Buchstaben hinzuzuschnitzen. Zumindest kein Mensch**, doch das bleibt unter uns. Wenn ich im August nach Tönning komme, verrate ich euch mehr.

Tschüüs und bis bald
Eileen Óg”

Anmerkungen des Herausgebers:

* Eileen Óg meint hier eine in Tönning/Nordfriesland lebende Katze namens Lady Gregory, die von sich behauptet, ihre Vorfahren stammen aus dem Coole Park zu Gort.

** Zumindest kein Mensch? Da würde es nicht wundern, wenn Forscher demnächst an dem Baum die bisher völlig übersehenden Initialen E.Ó. finden würden und sich fragen, wem sie wohl zuzuordnen sind.

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Freitag, 17. Juni 2011

in soft day, wie man so sagt, und für Brian ein guter, um seine Briketts an die Frau bzw. den Mann zu bringen. Auch ich lasse ein Pack für € 2,99 mitgehen, als ich die Zeitung hole.

Devils Mother Lodge, © 2011 Juergen KullmannEin paar Tropfen von oben sollen uns nicht schrecken. Zwei Kilometer hinter Leenaun parken wir vor der Schenke, die sich einst Coyne’s first Pub into Connemara nannte. Nicht zum ersten Mal wandern wir durch das Tal der Gefangenen, ein stilles Tal mit mehr Schafen als Menschen. Auf halber Strecke ein B&B. Wer hier um Unterkunft nachsucht, muss die Einsamkeit lieben und darf den Teufel nicht fürchten, denn gleich nebenan liegt die Devil’s Mother Lodge. Verfallende Feldsteinkaten am Hang, romantische Wahrzeichen Irlands, wenngleich die Bewohner sie alles andere als romantisch empfunden haben dürften. Eines der vielen verlassen Dörfer? Mehr noch als die Frage, wann und warum die Häuser verlassen wurden, beschäftigt mich die, wann & warum sie von wem errichtet wurden, wer diese Menschen waren, welche Pläne, Hoffnungen, Ängste und frohen Erwartungen sie mit dem Bau verbunden hatten und was aus ihnen wurde.

Der Ausgang des Kessels liegt nur hundert Meter von seinem Eingang entfernt, ein kleiner, das Tal verlassender Fluss kreuzt hier die Nationalstraße. Auf einem Felsplateau links des Flüsschens die Skulptur einer irischen Meerjungfrau, ihr gegenüber auf der anderen Seite das Grab eines im Alter von sechzehn Jahren verstorbenen Mädchens.

Laura (Lolly) Marray
1985 – 2001

lesen wir auf dem Holzkreuz. Ob sie wirklich hier unten am Fluss begraben liegt?

Wir wandern die paar hundert Meter zum Auto zurück. Gegenüber dem Pub parkt neben einem historischen Traveller-Wagen nicht weniger historisch wirkend die mobile Filiale der AIB-Bank und wartet mit stumpfem Lack auf Kunden. Einen sehen wir kommen und bald darauf wieder gehen, dann schließt sich die Tür und der Wagen tuckert weiter. Vielleicht um neues Geld vom Internationalen Währungsfonds zu holen, ohne das die AIB-Bank nicht einem Pubgänger auch nur einen Cent auszahlen könnte.

AIB-Bank in Leenaun, © 2011 Juergen Kullmann

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara & Burren 2011
© 2012 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 10.12.2020