Irisches Tagebuch 2009

Briefe an Nis Puk
Wie Paddy-the-Sailor nach Nordfriesland kam

 

Vorwort des Herausgebers

Ich vermag nicht zu sagen, seit wie vielen Jahren uns unser Reise- und Navigationsschaf Eileen Óg begleitet. Von Moskau über die Wolga nach St. Petersburg hat sie uns, so meint sie, gelotst, im Trollfjord wäre unser Schiff ihrer Meinung nach ohne sie zerschellt, und ob wir je ohne sie den Weg von Dublin zu ihren Schafskolleginnen in Connemara gefunden hätten, würde sie doch arg bezweifeln.

Doch sollten wir uns nicht genieren, schließlich habe – was in der Geschichtsschreibung verschwiegen würde – auch Brendan-the-Navigator ein Navigationsschaf an Bord gehabt, das ihm den Weg nach Amerika gewiesen habe und von dem sie in direkter Linie abstamme. Bei dem Versuch entsprechende Quellen zu finden, stieß ich in der Tat auf einen Bericht aus dem sechsten Jahrhundert, nach dem ein Schaf in Brendans Boot gesessen hatte. Nach einer nicht enden wollenden Diskussion über den Kurs soll Brendan es in die Kombüse geschickt haben, damit es auch den Koch über die richtige Route informiere. Im weiteren Verlauf des Berichts taucht es seltsamerweise nicht mehr auf.

Eileen Óg und Jahn HinrichBei alledem hatte Eileen Óg (rechts im Bild) bislang nie Anwandlungen gezeigt, einen Schreibstift in die Hand zu nehmen. Bis sie dann Nis Puk kennen lernte, der auf dem Dachboden von uns Huus in Tönning wohnt und als friesischer Hausgeist dafür sorgt, dass dem Haus nichts passiert. Als Puk ist er interessiert an Geschichten aus aller Herren Schafe Länder. Das gilt auch für Jan Hinrich (links im Bild), der oben bei ihm im Haus wohnt, ihm bei seiner verantwortungsvollen Aufgabe Gesellschaft leistet, und in den sich Eileen Óg, so unser Eindruck, ein wenig verliebt hat. Was wohl auf Gegenseitigkeit beruht – so oft er sich schon den Bericht von ihrer kürzlichen Levada-Wanderung in den Bergen Madeiras angehört hat, ohne sie zu irgendeinen Koch in irgendeine Küche zu schicken.

Wie dem auch sei, Bildungshunger muss man fördern, meinte Eileen Óg, und versprach unserem Nis Puk und Jan Hinrich, sie in Briefen regelmäßig über ihre Irlandreise 2009 zu informieren. Ich bin gespannt, wie lange sie durchhält.

Ende des Vorworts des Herausgebers

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Sonnabend, 6. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Erster Brief

Hallo Nis – In Dublin regnete es bei unserer Ankunft Bindfäden. Als Abenteuer erprobtem Reiseschaf macht mir dergleichen nichts aus*, doch meine beiden Mitreisenden waren ‘not much amused’, als sie pitschnass im Auto saßen. In diesem Jahr haben wir einen Toyota Yaris, zwar aus dem Vorjahr und mit 70.000 km auf dem Tacho, aber sauber und adrett. H. beäugte misstrauisch den kleinen Kofferraum.

Zusätzlich die halbe Rückbank haben sie dann noch für ihr Gepäck gebraucht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für einen Krempel Menschen mit auf Reisen nehmen! Ich mache da so einiges mit, kann ich dir sagen, und es ist oft nicht leicht, einen Platz zwischen Koffern, Tüten und Beuteln zu finden. Im letzten Jahr konnte ich zunächst nicht aus dem Fenster schauen und navigieren. Es kam, wie es kommen musste, und noch ehe wir auf der Autobahn nach Westen waren, hatten sie sich zweimal verfahren. Dieses Mal waren sie schlauer und haben mich gleich aus dem Rucksack geholt, so dass ich ihnen erklären konnte, wo es lang geht.

Und was soll ich dir sagen, schon um zwei waren wir in Athlone! Fast. Nicht nur, weil die Autobahn jetzt bis Athlone geht, wie sie behaupten, sondern weil ein kompetentes Navigationsschaf an Bord war.

So viel für heute. Laat di dat goot gahn, pass gut auf uns Huus auf und grüße Jan Hinrich von mir. Morgen schreibe ich mehr. Tschüüs bis dann — Eileen Óg”

* Kein Wunder, wenn man im geschlossenen Rucksack zum Auto getragen wird (Anm. d. Hrsg.)

Der Chronist fährt fort

Da war Eileen Óg aber bangig stolz, dass sie uns so schnell bis nach Athlone gelotst hat. Da die neue Autobahn im Gegensatz zu alten Nationalstraße nicht am Lidl von Athlone vorbeiführt, wurden 25 Kilometer weiter die Arbeitsplätze der Beschäftigten vom Lidl in Ballinasloe durch einen 150-Euro-Einkauf gesichert

Wahlplakat in Irland 2009, © Juergen KullmannDer Himmel wird lichter. Als wir Maam Cross, das Tor zu Connemara, erreichen, ist Schluss mit dem Regen. Ein blauer Streifen zeigt sich am Horizont, dazu passend Wahlplakate mit blauem Hintergrund am Straßenrand. Gestern wurden in Irland die Abgeordneten zum Europa-Parlament gewählt und in einem Abwasch die zu den Stadt- und Grafschaftsräten gleich mit. Bei denen ist der Hintergrund grün. Je näher wir unserem Ziel kommen, umso bekannter werden die Namen der Kandidaten auf den Plakaten: Mannion, Walsh – und da taucht doch tatsächlich ein Coyne auf, der in den Galway County Council einziehen möchte. Ein netter junger Mann lächelt uns für die Sinn Féin entgegen.

Wir fahren durchs stille Inagh Valley. Hier wohnt kaum jemand, also plakatiert man nur wenig. Dann nimmt die Plakatdichte wieder zu, und auf der Straße nach Renvyle heißt es an jedem zweiten Strommasten: Vótáil Kenneth Coyne 1, einen Kenneth Coyne soll man hier auf Platz eins setzen. Ob er zum Clan unseres verstorbenen Freunds Johnnie gehört?

Doch wir beziehen, umringt von anderen Coynes, erst einmal unser Cottage: linkerhand das Haus von Noel Coyne, dem Bestatter, gegenüber dann Brian Coynes Laden und daneben Gerard Coynes Pub, der, warum auch immer, heute Abend geschlossen ist. Er wird doch nicht schon wieder ... ? Mein Mädchen ruft: “Schau mal, ein Regenbogen über dem Maol Réidh:

Maol Réidh at sunset, © 2009 Juergen Kullmann

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Sonntag, 7. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Zweiter Brief

Hallo Nis – Mit meiner Hilfe sind wir gestern Abend gegen sechs Uhr in Tully Cross eingetroffen und haben es uns im Cottage gemütlich gemacht. Ob es hier auf dem Dachboden auch einen Nis Puk gibt, habe ich noch nicht herausgefunden, ich glaube eher nicht. Zum Urlaub machen ist das Cottage zwar sehr schön, doch mit Uns Huus in Tönning hast du es als Puk bestimmt besser getroffen. Arg schmutzig ist der Dachboden hier, und Mäuse soll es da auch schon mal gegeben haben.

Außerdem plätschert es da oben dauernd – nein, du musst jetzt nicht kommen, da steht keine Destille, nur ein Vorratstank für das Wasser. Wenn unten in der Küche Wasser gezapft wird, läuft oben Nachschub in den Tank, und dann plätschert es eben. Es gibt keine Treppe zum Dach, noch nicht einmal eine Leiter! Nicht schön für einen Puk, wenn er bei einem Sturm hoch muss, um es festzuhalten. Um die Taschen mit unseren Sachen runterzuholen, mussten wir* einen Tisch an die Wand schieben, einen Stuhl darauf stellen und zur Luke hochklettern. Ganz schön anstrengend, kann ich dir sagen!

Heute haben wir Sonntag, und wie immer am Tag nach unserer Ankunft sind wir zum Renvyle Quay gewandert. Menschen waren kaum unterwegs und es wehte eine frische Brise. Meine beiden Mitreisenden, die nicht so ein praktisches Fell wie ich haben (Menschen sind in mancher Hinsicht etwas unpraktisch ausgestattet) hatten sich Pullover übergezogen. Unten am Kai trafen wir zwei Kühe mit ihren Kälbchen. Eines war ganz klein und sooo süß, und es war sehr beeindruckt, das berühmte Reise- und Navigationsschaf Eileen Óg kennen zu lernen. Ich wollte ihm gleich von meiner gefährlichen Levada-Wanderung im Februar erzählen, doch seine Mutter meinte, der Kleine müsse jetzt schlafen und ich solle ganz leise sein. Klar, dass ich dafür Verständnis hatte. Schließlich weiß man als Schaf, was Verantwortung heißt.

Soviel für heute. Ich muss jetzt noch zu den Schafen am Renvyle Castle, denn ich glaube, die wissen noch gar nichts von meinen Abenteuern auf Madeira. Tschüüs, alles Gute und viele Grüße an Jan Hinrich — Eileen Óg”

* Was heißt hier eigentlich ‘wir’ ? (Anm. d. Hrsg.)

Der Chronist fährt fort

Derweil Eileen Óg die Schafe vom Renvyle Castle mit Geschichten von ihrer Levada-Wanderung beglückt, wandern wir zum Friedhof von Mullaghgloss. Johnnie hat jetzt einen Grabstein, doch ist er englisch beschriftet und nicht wie bei seinem verstorbenen Bruder irisch. Mit der ‘Republican Movement’, die an Paddies Grab eine Dankesbekundung hinterlassen hat, hatte er wohl weniger im Sinn, zumindest findet sich auf seiner letzten Ruhestätte kein Gruß von ihr. Johnnies Welt war die Musik, und so ist in jeden Eckpfeiler der Grabumrandung eine goldene Note und in den Stein eine Fiddle gemeißelt.

Graveyard Mullaghgloss, © 2009 Juergen KullmannWir setzen uns auf die Bank an der Mauer und sinnieren über die etwas andere Friedhofskultur, bei der es kaum Vorschriften für den Wohnsitz der aus der Zeit getretenen gibt und sich niemand über einen schiefen oder umgefallenen Grabstein aufregt, bis am Ende Gras über allem wächst.

Verflixt, jetzt haben uns die Midges entdeckt! Bevor die kleinen Biester uns nun auch noch ins Grab bringen, flüchten wir in unser Cottage nach Tully Cross zurück.

*  *  *

Der Bart ist ab! “Gone with the wind”, meint Kieran sich grinsend mit der Hand um den nicht mehr vorhandenen streichend, als wir kurz vor zehn Sammon’s Bar betreten, den ‘gemeinen Touristen’ eher als ‘Angler’s Rest’ bekannt. Um gute Musik zu machen, muss man nicht wie ein Mitglied der Dubliner aussehen, meint er. Frank sieht aus wie immer. “One year older, one year wiser”, sein Kommentar.

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Montag, 8. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Dritter Brief

Moin moin, Nis – Eine lange Musiknacht liegt hinter uns, erst um ein Uhr sind wir ins Bett gekommen. Wir waren gegenüber bei Sammon’s. Über der Tür steht Angler’s Rest, doch die Leute sagen immer “wir gehen zu Sammon’s”, weil der Wirt Patrick Sammon heißt. Hinter der Theke stand ‘Milch-und-Honig’, das ist seine Tochter. Eigentlich heißt sie Lorraine, doch sie sieht immer noch wie Milch und Honig aus, obwohl sie schon fünf oder sechs Lämmer Kinder hat.

An der Bar stand Tom. Der ist sehr gebildet und Sekretär der Schriftsteller von Letterfrack. Er hat gefragt, ob wir den Sommer mitgebracht hätten. Darauf hat Jürgen nur gewartet und gesagt: “Go dearfa, thugamar féin an samhradh linn”. Worauf Tom meinte, wir würden besser Irisch sprechen als er, und dabei ist das nur eine Zeile aus einem alten Lied*, mit dem Jürgen so gerne angibt. Männer können ja sooo eitel sein!

Egal, auf jeden Fall hatten wir schöne Musik, The Lambs on the Green Hills zum Beispiel. Ich glaube, das hat Frank nur für mich gespielt, auch wenn er mich gar nicht gesehen hat. Zum Schluss hat er uns dann noch seine neue Gitarre rübergereicht, ein Geschenk von seiner Familie zum sechzigsten Geburtstag, auf das er mächtig stolz ist. Die hat aber auch einen Klang, kann ich dir sagen. Natürlich nur, wenn Frank sie spielt, denn er ist der beste Musiker weit und breit. Jürgen hat, weil er nicht wusste, was er damit anfangen sollte, ein bisschen darauf herumgeklimpert, doch als taktvolles Schaf kommentiere ich das lieber nicht, auch wenn Frank ein paar Flötentöne dazu blies. Wahrscheinlich, um ihn zu übertönen, damit ihn niemand hörte.

Heute Vormittag waren wir in Clifden, beim ‘neuen Aldi’, von dem uns jemand erzählt hatte, der sich aber als Lidl herausstellte. Könnt ihr euch vorstellen, was meine Mitreisenden allein für Guinness und Wein ausgegeben haben? Sage und schreibe ...

... doch da ruft mir gerade jemand zu, dass hinter dem Cottage ein paar Schafe weiden, die noch nichts von meiner gefährlichen Levada-Wanderung im Frühjahr gehört haben. Tschüss dann bis morgen, und grüß’ Jan Hinrich von mir. — Eileen Óg”

* Als der von seinem Schwiegersohn gestürzte König James II Stuart am 12. März 1689 in Kinsale landete, um mit Hilfe der Iren seinen Job zurückzubekommen, sollen ihn irische Mädchen mit dem Lied ‘Thugamar féin an samhradh linn’ (wir haben den Sommer mitgebracht) begrüßt haben. Das Unternehmen ging schief, und die Iren singen seither von einer weiteren glorreich verlorenen Schlacht. (Anm. d. Hrsg.)

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Dienstag, 9. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Vierter Brief

Moin, Nis – Fehlalarm gestern! Da erzählte man mir, hinter unserem Cottage seien Schafe, die noch nichts von meinen Abenteuern auf Madeira gehört hatten, und als ich hinausgeflitzt kam, um von meiner Levada-Wanderung zu berichten, war kein einziges da. Ob mich da jemand reingelegt hat?

Egal, heute Vormittag waren wir am Glassilaun-Strand. Auf dem Weg dorthin kamen uns plötzlich zwei Eselchen entgegen, die uns davon überzeugen wollten, dass die Straße ihnen gehört, bis sie dann endlich Platz machten. Der Strand war riesig und wurde immer größer, denn das Wasser zog sich zurück. Jemand machte die unverschämte Bemerkung, es habe wohl Angst, ich wolle von meinen Abenteuern erzählen, doch das habe ich ganz souverän überhört.

Bald konnte man bis zu einer kleinen Insel laufen. Jürgen hat einen Sitzplatz auf einem Felsen gefunden und irgendetwas in sein Buch geschrieben, und Hildegard ist mit nackigen Füßen durchs Wasser gestakt. Wenn die Füße erst richtig blau sind, hat sie gesagt, fühlt man die Mückenstiche nicht mehr. Anschließend hat sie Muscheln und Strandgut für ihre Verpackungskunst gesammelt. Ich bringe euch ein paar schöne Muscheln mit!

Später zogen schwarze Wolken über den kahlen Gipfel des Maol Réidh. Das sah toll aus. Wir aber sind zum Auto zurückgegangen und nach Hause gefahren.

Soviel für heute. Alles Gute und viele liebe Grüße an Jan Hinrich.

Eileen Óg”

Der Chronist fährt fort

Leenaun Bridge, © 1995 Juergen Kullmann
Alte Brücke aus dem Jahr 1820, Foto: 1995
Leenaun Bridge, © 2009 Juergen Kullmann
Neue Brücke aus dem Jahr 2008

Direkt nach Hause gefahren sind wir nicht, da hat Eileen Óg etwas ausgelassen, sondern nach Leenaun, wo wir jetzt vor dem Sheep-and-Wool-Centre sitzen und nach alter Sitte zu einer Tasse Tee unseren Lemon-Cheesecake genießen. Mit € 4,25 pro Stück ist er zwar verdammt teuer, aber auch unbeschreiblich lecker, so unbeschreiblich wie der Blick auf den Killary-Fjord an diesem stillen Nachmittag. Bei dem Schnäppchen, das ich im Craftshop hinter unseren Rücken erstanden habe, darf der Kuchen kosten, was er will: William Makepeace Thackery’s Irish Sketch Book of 1842, heruntergesetzt von € 24,99 auf € 7,99. Vor 167 Jahren fuhr der Autor des ‘Book of Snobs’ links von uns über eine Brücke, die noch anderthalb Jahrhunderte lang ihren Dienst tun sollte, bis sie vor zwei Jahren von den Fluten des River Lahill fortgerissen wurde.

Die Neugier auf ihre Nachfolgerin hatte uns hierher getrieben. Großes Aufatmen: das Dorf wurde nicht verschandelt, und die neue Brücke sieht fast wie ihre Vorläuferin aus dem Jahr 1820 aus, auch wenn der Kern jetzt aus Beton besteht. Die Behelfskonstruktion vom vergangenen Jahr ist verschwunden und ebenso die großflächig asphaltierte und beampelte Kreuzung davor. Die Straße über die Brücke führt jetzt wieder durchs Dorf, und wenn sie auch einen neuen Belag hat, bedarf es nur einer Fuhre von auf die Fahrbahn gekipptem Stroh und Mist, um hier wieder historische Filme zu drehen.

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Mittwoch, 10. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Fünfter Brief

Moin Nis, hallo Jan Hinrich – Was tut sich bei euch in Tönning, war der Maler schon da um die Fenster zu streichen? Die Fenster hier müssten auch mal gestrichen werden, aber die Iren haben kein Geld, steht jeden Tag in der Zeitung. Eine ‘Recession’ soll Schuld daran sein. Ich weiß auch nicht, was das ist, doch hat uns Anne Jack erzählt, dass in diesem Sommer viele Urlauber, die sich für Juli und August angemeldet hatten, wieder abgesagt haben. Damit wenigstens wir wiederkommen, hat sie mir ein rotes Kissen spendiert, auf dem ich mich jetzt von unserer heutigen Wanderung ausruhe!

Bei dieser Wanderung sind wir im großen Bogen um unsere Halbinsel zum Derryinver Kai marschiert. Tolle Muscheln lagen da am Ufer, und meine beiden Mitwanderer haben eine geschlagene Stunde lang aufs Meer gestarrt. Es gibt nur wenige Menschen, die so viel Ausdauer beim aufs Meer gucken zeigen, kann ich euch sagen. Ob die nach Selkies Ausschau gehalten haben? Selkies sind Seehunde, die an Land kommen, dort ihr Fell ablegen und als Mensch herumlaufen. Bis sie es eines Tages wieder anziehen und ins Meer zurückkehren. Doch wenn ihnen einer das Fell klaut, müssen sie an Land bleiben. Darüber gibt es auch einen Film, der heißt Das Geheimnis von Roan Inish.

Tschüüs und alles Gute
Eileen Óg”

Der Chronist fährt fort

Der Derryinver Quay präsentiert sich arg zugemüllt, wahrlich keine Touristenattraktion, auch wenn von hier aus hin und wieder ein Glasbodenboot mit eben solchen ausläuft. So auch gerade jetzt, wo wir außer Sicht des Gemülles auf einer kleinen, in die Bucht ragenden Landzunge sitzen. Ob die sechs Passagiere durch den Glasboden etwas sehen? Vielleicht Müll auf dem Meeresboden? Es dauert nicht lange, bis dass Schiffchen zurückkommt. Bei den Korallenriffen, die man im Frühjahr 300 km vor der Küste entdeckt hat, kann es kaum gewesen sein.

Wollen wir aufbrechen? Wir sehen uns an. Bleiben wir noch ein wenig hier am sonnigen Südhang des Tully Mountain. Nur ein paar Kräuselwolken sind am Himmel, und eine leichte Brise hält die Midges fern, die die Liebste in den letzten Tagen so arg traktiert haben. Rechts öffnet sich der Ballynakill Harbour zum Atlantik. An einer der Felsnasen, die den Tully Mountain zum Wasser hin abstützen, liegt ein Curragh, und in der Bucht schaukelt sacht ein zweimastiger Segler mit eingrollten Segeln.

Strecken wir die Zeit.

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Donnerstag, 11. Juni 2009

Hildegard an Brigitte und Klaus – Gruß aus Irland

Hallo ihr Zwei – Viele Grüße aus Tully Cross senden euch Jürgen und Hildegard. Ich sitze im Sonnentop und ohne Socken vor dem Cottage und Jürgen fragt, wo man die Temperatur um fünf Grad herunterdrehen kann. Einen solchen Schalter haben wir noch nicht gefunden, ebenso wenig einen, mit dem man bei Bedarf den Regen abstellen kann. Den könnte man dann und wann auch gebrauchen.

Hoffentlich bleibt es noch länger so schön. Der Pub gegenüber, in dem Frank & Johnnie bei eurem letzten Besuch musiziert hatten, ist zur Zeit – ‘temporarily’, wie es heißt – geschlossen. Der Besitzer hat wieder einmal seine Steuern nicht bezahlt. Doch wir werden schon nicht verdursten.

Tschüüs und einen schönen Sommer
Hildegard und Jürgen”

Hildegard an Gisela – Brief aus einem irischen Cottage

Hallo Gisela – Fast sechs Tage sind wir nun schon wieder im Lande. Die wesentlichen Orte und Essensplätze haben wir besichtigt, so dass ich jetzt in Ruhe berichten kann. Im Cottage war alles wie gehabt, typisch irisch eben: über dem Spiegel im Schlafzimmer war die Lampenröhre kaputt, die baugleichen über den Betten im Kinderzimmer (brauchen wir nicht!) ebenso. Einer der vier Stühle, die um den Tisch stehen sollten, fehlte und einer wackelte. Aber unsere Reisetaschen auf dem Dachboden waren unversehrt, so dass wir es uns gemütlich gemacht haben. Für € 2,75 (Hardwareshop, Letterfrack) haben wir die Lampenröhre im Schlafzimmer ersetzt.

Am Sonnabend sind wir in Rekordzeit hier angekommen, bereits gegen 18 Uhr waren wir da. Die Autobahn von Dublin geht jetzt bis Athlone, da ist man schon mitten in Irland. 25 Kilometer weiter haben wir im Lidl von Ballinasloe unseren ersten Einkauf gemacht, das Auto war schon fast überladen. Wir haben dieses Mal einen Toyota Yaris, Erstzulassung 2008, aber noch ganz gut in Schuss. Allerdings mit sehr wenig Kofferraum.

Der Flieger war pünktlich, der Flughafen von Düsseldorf leer, der von Dublin rappelvoll. Auch wie immer. Aus Dublin sind wir gut rausgekommen, weniger Verkehr als sonst. Glaubt man den Zeitungen, hat er um 15 % abgenommen. Die Wirtschaftskrise lässt grüßen!

Am Sonntagabend spielten Frank und Kieran im Angler’s Rest. Kieran hat keinen Bart mehr, “gone with the wind” war seine Erklärung. In welchem Wind er sich wohl herumgetrieben hat? Das erste Mal hatten wir Frank an gleicher Stelle vor 17 Jahren getroffen. Seither ist viel Zeit und Leben ins Land gegangen, und einige Bekannte können wir nur noch auf dem Friedhof besuchen. Die Landschaft, der Himmel, die Luft und der Wind haben sich aber kaum geändert.

In den ersten Tagen hatten wir vormittags Sonne, mittags wurde es bewölkt und gegen 16 Uhr setzte Regen ein. Nachdem wir uns jetzt darauf eingestellt haben (morgens wandern, nachmittags die Craftshops besichtigen und einkaufen), scheint die Sonne heute den ganzen Tag, und so sitzen wir nun seit halb vier vor dem Cottage und warten vergebens auf den Regen.

Paddy Coynes, Tully Cross, © 2008 Juergen KullmannGestern Abend ein kleiner Schock! Da wollten wir nach einem köstlichen, von mir selbst fabrizierten Abendessen auf ein Pint rüber ins Paddy Coyne’s – und die Pubtür war verschlossen. Nicht erst seit gestern, doch irgendwie war uns das bislang nicht aufgefallen. Anne Jack hat uns heute erzählt, dass Gerard wieder einmal seine Steuern nicht bezahlt hat. Manch einer lernt es nie! Als ihm das vor zwölf Jahren passierte, hieß es, er sei mit knapp vierzig einfach noch zu jung und unerfahren für einen Wirt. Jetzt fragen wir uns, ob er zu alt ist oder immer noch nicht alt genug. Man hoffe, meint Anne, dass er im Juli wieder öffnen kann – die Frage ist nur, in welchem Jahr. Auf ein gemütliches Guinness an seinem Kamin umgeben von lokalen Pubnasen müssen wir in diesem Jahr wohl verzichten.

Noch etwas Neues: Rose trotzt der Wirtschaftskrise und macht Ende des Monats in Letterfrack einen eigenen Friseur-Salon auf, gleich neben Molly’s Bar. Da stand ganz früher ein verwaister kleiner Craftshop, du erinnerst dich? Seit dem letzten Jahr steht dort ein recht großer Gebäudekomplex mit Appartements und drei Ladenlokalen. Im ersten findet man ein nicht sehr einladend wirkendes Café (Snacks), das zweite dient als Büro zur Vermietung der Appartements. Im dritten befand sich im letzten Jahr ein Edel-Craftshop. Der hat sich aber nicht lange gehalten, und dort richtet Rose jetzt ihren Frisörsalon ein. “Open soon” steht an der Scheibe. Wir haben hindurchgelukt, aber es ist noch nicht alles fertig. Wände, Theke und Fußboden wirken schön und edel. Vier ‘Styling Chairs’ stehen verpackt herum, dazu noch zwei ‘Shampoo Chairs’.

Ansonsten ist hier alles immer noch recht teuer. Auch wenn wir beim Lidl viele Grundnahrungsmittel zu einem ähnlichen Preis wie in Deutschland bekommen, wird der Urlaub nach einem ersten Kassensturz zu urteilen nicht billiger. Ich glaube, ich esse im Urlaub viel mehr und denke auch laufend übers Essen nach. In Dortmund oft völlig ideenlos, fällt mir hier immer etwas Kreatives mit interessanten Zutaten ein, das ich kochen könnte – und das manchmal zu einem wahren Geschmackserlebnis wird! An der Ausstattung der Cottage-Küche kann es nun wirklich nicht liegen!

Viele Grüße von
Hildegard und Jürgen”

Postskriptum: Wir sitzen vor dem Cottage, die Sonne brennt, und die Cottage-Katz verschmäht das Katzenfutter vom Lidl. Ich glaube, wir fahren noch einmal zum Renvyle-Strand.

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Freitag, 12. Juni 2009

Eileen Óg an Nis Puk – Sechster Brief

Moin moin Nis – man, was war das gestern aufregend, da bin ich gar nicht zum Schreiben gekommen. Es war ein schöner Juniabend, und so sind wir bei Sonnenuntergang noch einmal zum Renvylestrand gefahren. Die Tide hatte ihren Höchststand überschritten und allerlei Strandgut am Ufer zurückgelassen. Plötzlich hörte ich ein klägliches Brummen. Da saß doch pitschnass und ganz schlimm verletzt mit nur noch drei Pfoten ein kleiner Bär auf einem Stein und guckte uns ganz lieb an. So wie Jan Hinrich.

Paddy-the-Sailor am Renvyle-Strand, © 2009 Juergen KullmannNatürlich musste ich ihn retten! ‘Hab keine Angst’, habe ich gesagt, ‘diese Deern hier hat mir schon mal einen neuen Anzug verpasst, eine ziemlich komplizierte Operation kann ich dir sagen, bei der ich arg zerlegt aussah, und die macht auch dich wieder heil.’ Dann haben wir ihn mit ins Cottage genommen, wo er erst einmal gebadet und sich dann über Nacht am Kamin getrocknet hat. Durch sein gefährliches Abenteuer, das er uns bestimmt noch erzählen wird, war er etwas abgemagert, und so hat ihn die Hildegard mit einem Implantat aus einem Sofakissen ein bisschen aufgepäppelt, bevor sie ihm heute Morgen seine schlimme Wunde vernäht hat. Etwas erschöpft ist er noch, aber es geht ihm schon wieder ganz gut, und er findet das Leben auch mit drei Pfoten sehr schön.

Tschüüs und viele Grüße an Jan Hinrich
Eileen Óg”

Der Chronist fährt fort

Derweil Eileen Óg einen Brief schreibt, fahren wir nach Cleggan. Wenn die Iren wegen der Rezession weniger mit dem Auto fahren, ist das für uns Touristen nicht unbedingt von Vorteil, denn wer nicht fährt, der parkt. Es erweist sich als gar nicht so einfach, in dieser Häuserzeile mit dem Flair eines Schmugglernestes ein Stellplatz zu finden.

Doch nun sitzen wir zwischen alten Netzen, Tauen, Reusen und leeren Pappkartons auf einem Vorsprung der Kaimauer und betrachten das Ablegen der Fähre nach Inishbofin. Dann tut sich erst einmal nichts, was wir eine halbe Stunde lang interessiert beobachten, bis ein floßartiges Gefährt, über dessen Bestimmung wir zuvor gerätselt hatten, mit zwei Autos und augenscheinlich Baumaterial an Bord aus der Hafeneinfahrt kommt und gleichfalls Kurs auf Inishbofin nimmt. Viel Wellengang scheint es nicht vertragen zu können, doch die See bleibt ruhig.

*  *  *

Scones beim Tiny Teapot, © 2009 Juergen KullmannNach einer Wanderung zur Sellerna Bay und zurück sind wir wieder in Cleggan. In der Hafenecke hinter der etwas schmuddeligen Pier Bar, da, wo der Fußweg zur Bay beginnt, hat im ersten der vor einigen Jahren in Bruchstein-Optik errichteten Ferienhäuser der Tiny Teapot aufgemacht. Eine kleine Terrasse dahinter bietet einen schönen Blick auf die Cleggan Bay, ohne dass man das Hafengerümpel sieht. Erst vor zwei Tagen haben zwei junge Leute dieses winziges Café eröffnet und sind mit viel Begeisterung dabei, alles hübsch zu machen. In so netter Atmosphäre und bei so netter Bedienung haben wir seit Jahren keine Scones mehr gegessen. So, wie sie serviert werden, kann das ein Fünf-Sterne-Restaurant zum Fünf-Uhr-Tee nicht besser machen.

Neun Euro kostet das für zwei Personen, und dazu gibt es ein Scone extra, damit keine Butter, Marmelade und Sahne übrig bleibt. Wir wünschen den beiden jungen Leuten ganz viel Glück und Erfolg!

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2009
© 2009 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 09.08.2010