Irisches Tagebuch 2015

Northward bound

 

Sonnabend, 6. Juni 2015

Zum ersten Mal seit drei (?) Jahren verfahren wir uns auf dem Weg vom Flughafen in den Westen nicht, sitzen dabei in einem fast nagelneuen VW Golf Diesel mit erst 5.000 Kilometer auf dem Tacho und ein paar scratches im Lack, die vor der Abfahrt als ‘mit dem Fahrzeug übernommen’ dokumentiert wurden. Auch mit Hertz gab es anders als in den Vorjahren keinen Ärger. Nachdem wir die Empfehlung, gegen ‘einen kleinen Aufpreis’ einen Mietwagen der nächst höheren Kategorie zu nehmen, unmissverständlich abgelehnt hatten, bekamen wir einen solchen ohne Aufpreis – denn in der gebuchten Kategorie war gerade kein Fahrzeug verfügbar. Und so parken wir unseren Golf Diesel gegen 19 Uhr hinter dem Cottage und begeben uns zur Tür.

Renvyle Thatches Cottage No. 1, © 2015 Hildegard Vogt-KullmannDoch was ist das, die Tür ist verschlossen, und beim Blick durchs (schmutzige) Fenster sieht es nicht so aus, als ob dieses Cottage heute Abend noch Gäste erwartet. “Siehst du, manchmal braucht man doch ein Handy”, meint min Deern zum Handy-Verweigerer und kramt in ihrem Rucksack nach selbigem, derweil ich unser Telefonbüchlein nach Anne Jacks Telefonnummer durchforste. “Ja, ja, hast ja recht!” Ich tippe die Nummer ein und wähle. Es ist laut am anderen Ende der Leitung, man hört viele Stimmen im Hintergrund und sie ist kaum zu verstehen. Endlich begreift sie. “Oh my God, I forgot you!” Und da kommt sie auch schon über die Straße gelaufen, denn sie war gegenüber im Paddy Coyne’s. Sie zaubert hinter einem der Blumenkästen den Schlüssel hervor (auf die Idee hätten wir auch selbst kommen können), schließt auf, rückt hier und dort etwas zurecht und macht sich wieder von dannen, “um ihr Essen nicht kalt werden zu lassen”.

Und wir putzen das Cottage, nachdem wir unseren Kram vom Dachboden geholt haben, während sie im Paddy Coyne’s diniert. Min Deern ist sauer, sehr sauer, und das kann man ihr nicht übel nehmen. Ich hingegen fühle mich schuldig, denn schließlich war ich es, der unbedingt wieder hierher wollte. Gegen halb elf ist das clean-up beendet und das Cottage bis auf die schmutzigen Fensterscheiben und Gardinen wieder gemütlich. Der Gesichtsausdruck meines Mädchens entspannt sich und ihre Miene nimmt wieder friedliche Züge an. “Eigentlich”, meint sie, “ist es ja doch ganz schön hier, und alles ist gar nicht viel anders wie in den letzten Jahren”. Wir sind müde und entkorken eine Flasche Wein. Dass es hier einen Korkenzieher gibt, ist unser Verdienst.

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Sonntag, 7. Juni 2015

Wir werden früh wach. Die Sonne scheint, das tut der gestern so gestressten Seele meines Mädchens gut. Nach dem Frühstück kommen die Gardinen vom Fenster in die Waschmaschine, derweil die Scheiben gereinigt werden – von innen und von außen. Kirchgänger wandern die Straße entlang, sehen zu uns herüber. Vielleicht spricht es sich herum, dass Renvyle Thatched Cottages seine Feriengäste nach der Anreise erst einmal putzen lässt.

Durch die Fenster kann man wieder nach draußen blicken, doch die Waschmaschine ist noch mit den Gardinen beschäftigt. Wir schließen ab und wandern nach Tully hoch. Türschlüssel haben wir jetzt zwei, denn beim Fensterputzen fanden wir unter einem der Blumenkästen einen weiteren.

Ob das Renvyle Inn, in alten Zeiten als Wallace’s der Mittelpunkt des dörflichen Lebens, wieder geöffnet hat? Hier hatten wir 1992 Charlie O’Malley mit seinem Akkordeon kennen gelernt und unser erstes Pint Guinness getrunken. Von weitem sieht es nach Bautätigkeit aus, das lässt hoffen. Doch beim Näherkommen lesen wir einen neuen Schriftzug über den Fenstern:

Agatha’s Pharmacy

Eine Apotheke an diesem westlichen Rand des Universums, das kann doch nicht wahr sein? Wir spähen durch ein Fenster. Tatsächlich, das könnte eine Apotheke werden. Ob sich die hier in Tully lohnt? Sicher, schräg gegenüber liegt das Health Centre, in dem seit einer Weile mit Dr. Michael ein deutscher Arzt seinen Dienst tut, und die nächste Apotheke in Clifden ist zwanzig Kilometer entfernt, aber Letterfrack an der N59 wäre ein sehr viel zentralerer Standort gewesen. Im ehemaligen Restaurant im Obergeschoss will der neue Besitzer laut Baustellenschild vier Appartements einrichten.

Am Renvyle Quay, © 2015 Jürgen KullmannWir gehen in den Tankstellenladen, den wenigstens gibt es noch. Daniel Sammon, ein Bruder des Wirtes vom Angler’s Rest, wohnt nur wenige Meter entfernt auf der anderen Straßenseite und hat wieder ein Buch geschrieben: Saints of Connemara Coast & Other Stories lautet der Titel. Vielleicht später, wir lassen es im Regal stehen und wandern zum Renvyle Quay, genießen die Sonne, den blauen Himmel und eine frische Brise. Ein junges Paar sitzt am Ende der Pier im Windschutz der hohen Mauer. Ein hübsches Motiv, doch wir sind diskret und ich fotografiere Gänseblümchen vor einem Teerfass. Dann setzen wir uns auf einen Steinblock, trinken einen Schluck Wasser (aus der Flasche) und öffnen eine Packung Shortbread Fingers, gestern für 79 Cent bei Lidl in Galway erstanden. Im Online Versand eines British Shop aus Meckenheim kostet sie € 2,99.

*  *  *

Zurück im Cottage. Anne Jack ist dagewesen, hat die defekte Stehlampe ausgetauscht und den nicht funktionsfähigen Toaster, den wir mit einer Notiz dazugestellt hatten, gleich mit. Dass wir die Fenster geputzt haben und die Gardinen in der Waschmaschine rödeln, sollte sie bemerkt haben. Das Waschpulver hatten wir nach dem Frühstück bei Veldon’s in Letterfrack gekauft, desgleichen die neue Spülbürste, die deutlich sichtbar auf der Spüle liegt, und dass die Bratpfanne neben ihr nicht aus dem Cottagebestand stammt, hat sie hoffentlich auch zu Kenntnis genommen. Ob das für ein schlechtes Gewissen reicht?

Wir kochen heute selbst, hatten gestern in Galway bei Lidl Station gemacht und den Laden nach einer Stunde mit 153 Euro weniger im Portmonee wieder verlassen, in der Einkaufskiste unter anderem für 40 Euro Wein, für 17 Euro Dosen-Guinness sowie Hackfleisch und Nudeln. Die daraus fabrizierten Spaghetti Bolognese à la Hildegard sollte es eigentlich schon gestern zum Abendessen geben, doch als das Cottage endlich auf Vordermann gebracht war, war uns die Lust am Kochen vergangen.

*  *  *

Die Sonne scheint, eine leichte Brise hält die Midges fern, und wir dinnieren vor der Tür. Die Biergartenbank hatten wir am Vormittag von No. 3, in dem sich Handwerker auszutoben scheinen, gekapert und zu uns entführt. Unsere No. 1 scheint das einzig belegte Cottage zu sein.

Am frühen Abend – wir sitzen immer noch draußen und ‘bügeln einen Krimi’* – taucht Anne Jack auf, in der einen Hand einen Sack Torf und in der anderen eine, dem Etikett nach zu urteilen sündhaft teure Flasche Wein.

* Ein Ausdruck, der daher rührt, dass, wenn einer bügelt, der andere etwas vorzulesen hat.

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Montag, 8. Juni 2015

Was gibt es von gestern noch nachzutragen? Nachdem uns unsere Landlady verlassen hatte, fuhren wir an den Renvyle Strand, schlenderten die Wasserkante entlang und ließen die letzten 24 Stunden Revue passieren. Ob das Cottage abgesehen von den Fenstern – unser Putzen war also bemerkt worden – sauber gewesen sei, wollte sie zum Schluss wissen. Wir beließen es bei einem aussagekräftigen “not too much”. Die Bank, die wir von No. 3 gekapert hatte, sei auch für uns gedacht gewesen, fiel ihr noch ein, sie sei nur nicht dazu gekommen, sie vor das richtige Cottage rücken zu lassen. Märchen und Sagen von der Grünen Insel.

Am Abend gab es Musik bei Sammon’s mit Frank und Kieran. Frank bestand darauf, jedem von uns ein Guinness zu spendieren, € 4,10 kostet das Pint in diesem Jahr. Ein “welcome back” von Patrick Sammon – ob das junge Mädchen hinter der Theke wohl seine Enkelin ist, eine Tochter von Milch-und-Honig?

CD-Cover, © 2004 Jürgen KullmannLeben wir nur noch in der Vergangenheit? Ein uns irgendwie vertrautes Gesicht sprach uns wenig später an und bedankte sich für “the great CD with the historical recordings”. ??? Es dauert eine Weile, doch dann fiel der Groschen: die Mitschnitte aus der Knowland-Sammlung. Als die Renvyle-Halbinsel Mitte der 1950er Jahre an das Stromnetz angeschlossen wurde, zog der Oxford-Professor Tony Knowland als Schwiegervater eines der Söhne des seligen Paddy Coyne mit seinem Tonbandgerät durch Pubs und Cottages, in denen Musik gemacht wurde. Jahre später stellte er die Aufnahmen im Connemara Community Radio vor, und jemand aus dem Dorf nahm die Sendungen auf Tonbandkassetten auf. Kopien davon entdeckten wir zu Beginn dieses Jahrhunderts bei unseren Freunden im Rainbow House, die sie uns zum Digitalisieren überließen. Auf CDs gebrannt schickten wir sie einigen mitwirkenden Musiker, die wir identifizieren konnten.

Mehr als zehn Jahre ist das her. Während ich zu dem Schluss komme, dass mein Gegenüber der geniale Flötist Phil Coyne ist, taucht der ehemalige Postbote von Letterfrack auf, dem auch in diesem Jahr wieder einfällt, dass er uns in den 1990-er Jahren im Paddy Coyne’s fotografiert hat, und ein weiteres Mal verspricht, das Foto zu suchen und im Pub für uns zu hinterlegen.

*  *  *

Wir sind wieder im Hier & Heute und fahren nach dem Frühstück nach Clifden. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Suche nach einer Glückwunschkarte für eine Silberhochzeit, passend zu Christy Moores The Voyage. Was sich als nicht so einfach erweist, denn alles, was uns vor die Augen kommt, hat in den Augen von min Deern zu wenig Niveau für den Empfänger. Der schmale Laden der Damen Joyce an der Market Street bringt die Rettung. Zum Lunch geht es zu Mitchell’s. Das einst von uns so geschätzte Derryclare Restaurant ist zwar unter neuer Leitung wieder geöffnet, doch die Speisekarte strotzt vor Einfallslosigkeit.

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Dienstag, 9. Juni 2015

s ist wärmer geworden. Wir frühstücken am Biergartentisch auf der Wiese hinter dem Cottage. Rechterhand glänzt der Diamond Hill in der Morgensonne, vor uns erhebt sich der kahle Gipfel des Maol Réidh aus dem Meer, und weit in der Ferne erwacht der Croagh Patrick aus seinem Schlaf.

Letterfrack Post Office, © 2015 Jürgen KullmannNach dem Frühstück geht es zur Postmeisterin nach Letterfrack, um das Päckchen für unser Silberhochzeitspaar aufzugeben. Erst gestern hatte ich hier gestanden um zwanzig Briefmarken zu kaufen. Es hatte eine Weile gedauert, denn der Computer stürzte ab, und sie musste erst ihren ‘Boy’ holen, damit er ihn wieder zum Laufen brachte. Heute sitzt ihr Sohn selbst hinter dem Schalter. Nachdem er die Sendung gegen eine Zahlung von € 4,80 in Empfang genommen hat, mache ich draußen noch zwei Fotos von der bedrohten Art Rural Post Office, als er aus der Tür gestürzt kommt und mir zuruft, es müsse noch eine Zollerklärung über Inhalt und Wert des Päckchens ausgefüllt werden. Wir einigen uns auf eine “used CD” im Wert von fünf Euro und darauf, dass der Absender in Tully Cross wohnt.

*  *  *

Áit Eile, © 2010 Jürgen KullmannWir haben uns den ‘Renvyle West Loop’ vorgenommen: Von unserem Cottage führt der Rundweg nach Tully Village, dann hinter dem Dorf links am Teach Ceol vorbei über den Feenhügel mit dem Sendemast. Áit Eile, hier wohnt das Kleine Volk. Hinter dem Hügel geht es erneut nach links und dann entlang der Flanke des Tully Mountain zum Derryinver Quay hinunter, von wo aus man längs des Ballynakill Harbour zur Dawros-Brücke und über die Straße zurück nach Tully Cross gelangt.

Während wir an der Flanke des Tully Mountain zum Anleger hinunter wandern, taucht auf seinem Grad ein Hillwalker auf, mit flottem Schritt und, wie es scheint, schneller als wir am Fuß des Berges. Am Kai kommt er uns entgegen. Mein Mädchen spricht ihn an und lässt sich den Weg erläutern, er scheint sehr viel einfacher zu sein als der, über den wir vor vielen Jahren den Gipfel erklommen hatten. Vielleicht sollte wir es bei Gelegenheit noch einmal probieren.

Sitting on the dock of the bay,
Watching the tide roll away,
Wasting time.

Wir sitzen auf der Kaimauer, reißen eine Packung Shortbreads – die preiswerten von Lidl für 79 Cent – auf und holen die Wasserflasche aus dem Rucksack. Der kleine Hafen ist noch genauso schmuddelig und unordentlich wie vor zwanzig Jahren, und so wird er trotz seiner großartigen Lage wohl nie eine Touristenattraktion werden. Vielleicht will er das auch gar nicht.

*  *  *

Am späten Nachmittag sitzen wir wieder vor dem Cottage und ‘bügeln ein bisschen unseren Krimi weiter’, derweil mien Deern strickt. Da taucht aus dem Nirgendwo die Cottage-Katze auf. Sie lebt also doch noch, wir hatten sie schon abgeschrieben. Sie rollt sich zusammen und hört gleichfalls zu, denn schließlich spielen in dem Krimi auch zwei Katzen eine Rolle. Allerdings nur zu Beginn des Romans, denn später segnet eine von ihnen durch die für ihren Besitzer bestimmte vergiftete Milch das Zeitliche, während die Klügere von beiden selbige verschmäht. Vergiftete Milch trinken, das könne auch nur einem dummen Hauskätzchen passieren, schnurrt kopfschüttelnd die Cottage-Katze, und außerdem sei der Begriff ‘Besitzer’ völlig falsch. ‘Personal’ müsse es heißen.

Oben auf dem Gehweg flaniert Noels Hund vorbei und hebt eine Pfote, um die drei Stufen zu uns herunterzukommen. Da sieht er die Katze an der Mauer liegen und es fällt ihm ein, dass er noch ganz dringend andere Dinge zu erledigen hat. Er zieht die Pfote zurück und trottet auf dem Gehweg weiter.

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Mittwoch, 10. Juni 2015

in weiterer Morgen, an dem man hinter dem Cottage frühstücken kann. Aus dem rückwärtigen Fenster unserer Kate klingt – wir haben die Lautsprecher des CD-Spielers auf die Fensterbank gestellt – irische Harfenmusik. Ein Frühstück im Freien dauert immer etwas länger, schließlich muss noch der Irish Independent von gestern studiert werden. Seit Brian seinen Laden aufgegeben hat, heben wir uns die im Laufe des Tages gekaufte Zeitung ungelesen für das Frühstück am nächsten Morgen auf. Wenn heute die Welt untergeht, reicht es, morgen davon zu erfahren. So ist es schon nach elf, als wir zu unseren Tagesaktivitäten aufbrechen.

Diamond Hill von Kylemore Abbey aus, © 2015 Jürgen KullmannEinmal um die Berge mit einem Abstecher nach Leenaun. Los geht es links an der Kirche von Tully Cross vorbei die schmale Straße nach Kylemore hinunter. Das Kassenhäuschen vor Kylemore Abbey wurde um fünfzig Meter vorverlegt, so dass der beste Fotoblick auf das Schloss jetzt 13 Euro kostet. Dann eben nicht, doch ein Foto von der kleinen Brücke etwas weiter rechts ist noch gebührenfrei. Eine Drehung um 180 Grad rückt den Diamond Hill ins rechte Licht. Als wir vor einer halben Stunde hier ankamen standen drei Busse auf dem Parkplatz vor dem Schloss, wo wir nun weiterfahren sind es zwölf.

In Leenaun stehen zwar nur zwei Reisebusse auf dem Platz vor dem Sheep and Wool Centre, doch brachten sie Menschen genug, um sich drinnen nicht mehr bewegen zu können. So sitzen wir auf der Mauer vor der Brücke über den River Lahill und genießen die Aussicht über den Fjord.

u-forge, © 2015 Jürgen Kullmann,

Alte Schmiede Letterfrack, © 1998 Jürgen KullmannDie Hufschmiede, liest man über dem Eingang des kleinen Craftshops jenseits der Brücke, bei dem die Zeit im letzten Vierteljahrhundert stehen geblieben zu sein scheint. Ob er in alten Zeiten tatsächlich eine Hufschmiede war? Am Knotenpunkt der Handelswege nach Mayo, Galway und Nordwest-Connemara kann man sich das gut vorstellen. Das Hufeisen ist nach oben hin offen, um das Glück einzufangen. Mein Mädchen geht in den Laden und ich versuche ihn zu fotografieren, doch ein Kleinlaster versperrt die Sicht. Später finde ich in unserem Archiv ein Dia aus dem Jahr 1998. Damals gab es den Bürgersteig noch nicht, die Straße war voller Schlaglöcher, und das Gebäude sah einer Schmiede noch mehr ähnlich.

Die Fahrt um das Bergmassiv zwischen der N59 im Süden und der Küste im Norden geht weiter, zunächst ein Stück zurück Richtung Kylemore und dann rechts ab über die Küstenstraße via Loch Fidh und Loch Muc gen Renvyle. Nach einem Abstecher zum Glassilaun Strand, wo jugendliche Kanuten sich im flachen Wasser tummeln und erste Gestalten in Badebekleidung gesichtet werden, sitzen wir in Lettergesh vor King’s Shop & Postoffice, schlecken in der warmen Sonne ein Minz-Eis weg, blicken über die Straße auf die Bucht und philosophieren über die Welt. Wie diese wohl ausgesehen hat, als vor einem Menschenalter in dem Laden ein österreichischer Philosoph nach Kriminalromanen fragte?* Sehr viel anders als jetzt wohl auch nicht.

* Siehe Tagebuch vom Juni 2004

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Donnerstag, 11. Juni 2015

Zum dritten Mal in Folge scheint die Sonne beim Wachwerden und wir können im Freien hinter dem Cottage frühstücken. Dann geht es nach Rosroe. Wir parken das Auto am Anleger, um ein Stück den Killary Harbour hochzuwandern. Wirklich geniale Fotos von dem Fjord sind mir in den letzten Jahren nicht gelungen; entweder ließ sich die Sonne nicht blicken, und wenn sie dann schien, war der Himmel wolken- und ausdruckslos. Heute zeigen sich zumindest ein paar Wölkchen am blauen Himmel.

Wir wandern über die alten Famine Road ins Landesinnere. Von einer ‘Road’ ist kaum noch etwas zu erkennen, und an manchen Stellen wird der Pfad am Hang über dem Wasser so schmal, dass sich nicht ganz Schwindelfreie und Trittsichere schon etwas konzentrieren müssen. Weiter oben am Berg mokieren sich drei Schafe über mein unsicheres Getrappse auf zwei Beinen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords in Mayo gibt es nicht einmal mehr Schafe, aber immer noch erkennt ein geübter Blick die Lazybeds des verlassenen Weilers Uggool aus der Zeit der Großen Hungersnot.

Lazybeds von Uggol, © 2015 Jürgen Kullmann

Vor uns die Loreley, wie wir den Felsvorsprung nennen, doch er ist besetzt. Ein Paar aus Holland, wie sich herausstellt. Mien Deern nimmt Kontakt auf, erläutert die Region und die ortsüblichen Highlights und erklärt, wie man ohne den gleichen Weg zurücklaufen zu müssen in einer Schlaufe über den Salroc Pass retour zum Anleger von Rosroe kommt.

Dann ziehen wir weiter. “Das war ja noch gar nicht die Loreley!” wird uns plötzlich klar. Im Nachhinein kommt uns der Felsvorsprung in unserem Rücken auch etwas klein vor. Doch nun liegt ‘die Loreley’ vor uns, und wir lassen uns auf dem Plateau über dem Fjord nieder, packen Kekse und die Wasserflasche aus und lassen unter uns ein Ausflugsboot vorbeiziehen, ohne es durch süßen Gesang auf die Felsen zu locken. 21 Euro kostet die 90-minütige Bootstour ab Leenaun, das war uns dann doch zu teuer gewesen.

Killary Harbour, © 2015 Jürgen KullmannDie Pause ist beendet, und es geht weiter. “Hoffentlich kommen uns jetzt die Holländer nicht entgegen”, denken wir eine Stunde später, denn den Pfad, den wir ihnen zum Salroc Pass beschrieben haben, gibt es nicht mehr. Wenn es ihn denn je gegeben hat, denn wir selbst sind ihn nie gegangen, glaubten nur in früheren Jahren von unserem Hochsitz auf der Loreley aus ‘so etwas wie einen Weg’ gesehen zu haben. Und so steigen wir wie in den Jahren zuvor querfeldein den grünen Hang zum Eingang des Passes hoch – ein Malheur inbegriffen, welches zu Folge hat, dass ich zwei Rucksäcke über den Pass und weiter zum Auto trage, während sich my poor girl mit völlig verdreckter Hose humpelnd heimwärts bewegt.

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Freitag, 12. Juni 2015

Zu langen Wanderungen sieht sich mein Mädchen nach dem gestrigen Sturz nicht in der Lage, schon das aus dem Bett kommen und selbst das Ein- und Aussteigen aus dem Auto bereiten ihrem Kreuz Probleme. Wir fahren nach Clifden, um beim Tourist Office ein paar ‘Free Guides’ auch für den Donegal einzusammeln, durch die Läden zu strolchen, Fisch für morgen einzukaufen und in Walsh’s Bakery mit Blick auf die Clifden Bay ein Stück Irish Cream Cake zu verspeisen.

Clifden Bay, © 2014 Hildegard Vogt-Kullmann

Am Nachmittag, es muss so gegen vier Uhr sein, sind wir wieder in Letterfrack und testen, ob das Chicken Kiev im Bard’s Den noch genauso gut wie im letzten Jahr ist. Um die Wahrscheinlichkeit, dass dem so ist, zu erhöhen, weisen wir bei der Bestellung nachdrücklich auf diesen ‘Test’ hin, der dann auch bestanden wird. Gegen halb sechs betreten wir wieder unser Cottage und zünden ein Feuer an. Draußen vor der Tür stand ein neuer Sack mit Torfsoden.

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2015
© 2015 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 20.02.16