Irisches Tagebuch 2019

Eine neue Chance für die Insel

 

Prolog

Nicht allzu glücklich endete vor einem Jahr unser letzter Irlandaufenthalt, wollen wir der Insel nun eine neue Chance geben? Was hat sie zu bieten, was andere Länder nicht haben? Um das Jahr 1250 erschien in Norwegen der Konungs skuggsjá, der Königsspiegel, in dem ein Vater seinem Sohn die Welt erklärt:

“… Irland aber ist fast das beste der Länder, soweit die Menschen wissen, wenn auch da kein Wein wächst. Es sind da viele Dinge, die wunderbar erscheinen dürften, einiges doch von der Art, dass das Land heiliger genannt werden darf als andere Länder wegen wunderbarer Dinge, die sich dort finden. Es liegt in einem Teil der Welt, der so gemäßigt ist mit Hitze und Kälte, dass es dort niemals allzu heiß oder allzu kalt wird. Übergroße Hitze wird dort niemals im Sommer schädlich oder übergroße Kälte im Winter, denn in allen Wintern weidet dort alles Vieh im Freien, Schafe wie Rinder, und die Männer gehen dort fast ohne Kleider, im Winter wie im Sommer. Und das Land ist so heilig vor anderen Ländern, dass dort kein giftiges Tier leben kann, weder Schlangen noch Kröten, und wenn sie aus anderen Länder dorthin gebracht werden, da sterben sie sofort, wenn sie mit der bloßen Erde oder Stein in Berührung kommen. […] Und das wird auch von Irland erzählt, dass die Menschen kaum von einem Eiland in dieser Größe so viele heilige Männer wissen wie dort.”

Dieser kleine Ausschnitt, vor achtzig Jahren aus dem Altnorwegischen übersetzt von Rudolf Meissner, ließ uns dem Land eine neue Chance geben. Und so begab es sich, dass wir am 25. Mai des Jahres MMXIX zur Insel der Heiligen aufbrachen.

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Sonnabend, 25. Mai 2019

Der Flieger ist pünktlich, kein Problem bei der Übernahme des Leihwagens. Am Schalter von Hertz ist nicht viel los. Das Auto ist ein ‘191’, ein in der ersten Hälfte des Jahres 2019 zugelassener Peugeot 2008 mit gerade einmal 3.500 Meilen auf dem Meilenzähler. Jawohl, Meilen, und die Geschwindigkeit wird digital in Meilen pro Stunde angezeigt. Hauptabnehmer für Rechtslenker ist das Vereinigte Königreich, in dem man stur an der Meile festhält, so dass dies die Grundkonfiguration sein dürfte. Vermutlich lässt sich die Maßeinheit irgendwo im Menü auf ‘Kilometer’ umstellen, doch finden wir den entsprechenden Punkt nicht. Ein Handbuch liegt, wie üblich, nicht bei.

Eileen Óg und Jan Hinrich im Paddy Coynes, © 2017 Jürgen KullmannAbgesehen von zwei Ehrenrunden auf zwei Roundabouts verfahren wir uns so gut wie gar nicht. Das sei ja mal ‘echt was Neues’, meint zu ihrem Freund Jan Hinrich unser lästerhaftes Reiseschaf Eileen Óg, das der geneigte Leser dieser Seiten aus früheren Berichten kennen wird. Beim Lidl in Galway geben wir € 128,29 für die Grundausstattung der ersten Woche aus. Ohne die vier Flaschen Wein und das Achterpack Guinness wären es 36 Euro weniger gewesen.

Gegen sechs Uhr sind wir in Tully Cross. Das Cottage ist für uns vorbereitet, alles soweit in Ordnung. Ein Teller mit Scones und ein Töpfchen Himbeermarmelade stehen auf dem Tisch, eine Kanne Milch im Kühlschrank. Unsere beiden Taschen werden vom Dachboden gehievt, dann richten wir uns ein. Gegen sieben Uhr ist alles hübsch und wir wandern über die Straße ins Paddy Coyne’s, mal sehen, ob man uns noch kennt und was es heute Abend zu essen gibt. Momentan sind alle Tische besetzt, doch gegen acht dürfte einer frei werden, meint Noels Sohn. Er werde dann an unsere Cottagetür klopfen. And so he did …

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Sonntag, 26. Mai 2019

Nett war es gestern Abend bei Paddy Coyne’s. Wir saßen auf dem ‘Podium’ hinten links in der Ecke, genossen die Atmosphäre und den Fisch – und wanderten zwei Stunden später mit fünfzig Euro weniger im Portemonnaie ins Cottage zurück.

Nach dem Frühstück schlendern wir die halbe Meile nach Tully hoch. Diamond’s Food Store mit dem daran angeschlossenen Postbüro gibt es nicht mehr. Ob es die Einwohner kümmert, weiß ich nicht; wer Briefmarken braucht, bekommt sie jetzt im Tankstellenladen schräg gegenüber. Wir hatten für Diamond’s nie etwas übrig gehabt und fanden ansonsten die Posthalterin von Letterfrack viel netter. Drücken wir ihr die Daumen, dass man ihr die Poststelle im eigenen Haus nicht wegrationalisiert.

Da kümmert es mehr, dass dem Dorf Tully in den letzten Jahren beide Pubs und Restaurants abhanden gekommen sind, insbesondere das Renvyle Inn, das (in alten Zeiten als Wallace’s) eine Institution für die gesamte Halbinsel war. Hier hatten wir vor fünfundzwanzig Jahren unser erstes Guinness getrunken und mit einem sirloin steak für sieben irische Pfund zum ersten Mal bar food gekostet. Den Tankstellenladen, in dem wir heute den Irish Independent und 1 Apfel erstehen, gab es schon damals, auch wenn er anderes sortiert war. So standen dort bei unserem ersten Besuch auf dem Boden vor der Fleischtheke Kisten mit Nägeln, Schrauben, Haken und Ösen. Seltsam, an was man sich nach so langer Zeit noch erinnert! Es muss uns gewaltig beeindruckt haben.

Nach dem Einkauf geht es zum Anleger hinunter, den Rentnerweg, wie ihn die Lübecker vom Rainbow House auf dem Hügel über der Bucht getauft hatten. Nun ist ‘Rainer der Rentner’ schon seit Jahren tot, und ihr Regenbogenhaus steht – wieder einmal – zum Verkauf. Links der Pier, wohl mit Geldmitteln aus dem Projekt Wild Atlantic Way gefördert, wurde vor zwei Jahren ein Zugang zu einem kleinen Strand angelegt. Ein seltsames Gefährt auf vier verrosteten Schubkarrenrädern liegt als trockene Sitzgelegenheit halb eingesunken im Sand. Von ihm aus verläuft ein Tau den Strand hinunter und verschwindet im Wasser. Man ist versucht daran zu ziehen, zu sehen, ob und gegebenenfalls was sich dann tut. Wir lassen es lieber und schauen über die Bucht hinweg auf die Küstenlinie Mayos. Der Dunst hat sich verzogen, die Berge sind aus dem Jenseits zurück, und weit in der Ferne erkennt man den Croagh Patrick.

Nach einer halben Stunde raffen wir uns auf und setzen den Spaziergang fort. Der Anleger wurde schon oft genug fotografiert – nicht aber die seltsame Gestalt, die da zwischen alten Hummerkörben in der Ruine des Schuppens steht, meint mein Mädchen und zückt ihre Handy-Kamera. Mit dem Boot daneben dürfte er kaum angelandet sein:

Renvyle Quay, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

Wir ziehen weiter und passieren einen Mann, der seine Gartenpforte streicht. Ein netter Typ, könnte von den Gesichtszügen her dem Clan der Coynes entsprungen sein, kommt aber aus einem Dubliner Vorort. Wenn er am Wochenende von der Arbeit genug habe, sagt er, setze er sich ins Auto, um nach dreihundert Kilometern hier weiterzuarbeiten. Wie es denn mit uns ausschaue, will er wissen, ob wir zum ersten Mal in der Gegend seien? Nicht ganz, räumen wir ein, seit den frühen 90er Jahren in jedem Juni. Da macht es ihn neugierig, was nach so vielen Jahren unsere Lieblingsbeschäftigung in Irland ist. “Watching people painting their gates” fällt mir ein in einem seltenen Anfall von Schlagfertigkeit ein. “A good pastime”, stimmt er lachend zu.

*  *  *

Heute wird selbst gekocht, es gibt Wildlachs an einer Meerrettichsauce. Für die Sauce war der Apfel aus dem Tankstellenladen gedacht, den Meerrettich hatten wir aus Deutschland importiert. Dazu gibt es ein Mash aus drei Kartoffeln, drei Möhren und einer Petersilienwurzel. Nach dem Essen scheint weiterhin die Sonne. Das muss man nutzen, denn das Wetter soll in der kommenden Woche schlechter werden. Also ein zweiter Spaziergang an unserem ersten Tag in Irland, dieses Mal zum Friedhof von Mullaghgloss. Die Gruft mit Johnnies Grab scheint kürzlich geöffnet worden zu sein, dann ist Margaret jetzt wohl auch gestorben. Da ihr Ältester vor zwei Jahren siebzig wurde, dürfte sie über 90 Jahre alt gewesen sein.

*  *  *

Ankündigung vor Veldons Pub, © 2019 Jürgen KullmannAm frühen Abend fahren wir nach Letterfrack. Die Bog Week hat begonnen – mit typisch irischer Zeitrechnung, wie das Plakat am Eingang von Veldon’s Pub zeigt. Die Musik ist ganz nett, doch es ist rappelvoll und Stehveranstaltungen sind nicht unser Ding. Vor der Tür treffen wir Frank und Rose mit ihrem Ältesten Kevin, den ich ihn nicht wiedererkenne. Ich habe ihn noch als Sechzehnjährigen vor Augen. Jetzt ist er über 40 und lebt nach vielen Jahren in der Schweiz – for the moment, wie er sagt – wieder im Land seiner Väter.

Wir verabschieden uns und wandern rüber zu Molly’s, wo es auch schöne Musik gibt, der Pub aber je nach Sichtweise erst halb voll oder noch halb leer ist und somit keinen Mangel an Sitzplätzen aufweist.

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Montag, 27. Mai 2019

Ganz nett war es auch gestern Abend in Molly’s Bar, doch kurz nach halb neun Schluss mit der Musik, so dass wir nur noch unser Guinness austranken und ins Cottage zurückfuhren. Das Feuer im Kamin wurde neu entfacht und eine Flasche Wein geöffnet. Mien Deern kramte ihr Strickzeug hervor, und ich las weiter aus dem Fontane-Krimi vor.

Heute Vormittag, eigentlich war es schon fast Mittag, ging es nach Clifden. Wir bummelten durch die Läden und erstanden bei Hehir’s einen Weird-Fish-Pullover – ein Sonderangebot, bei dem man einfach nicht Nein sagen kann, meinte my one true love. Dazu kamen ein paar Kleinigkeiten aus dem SuperValu, vor allem eine Zeitung mit dem aktuellen Stand der Auszählung der Stimmen bei den Europa- und Kommunalwahlen. Auf der Bank vor einem Café gab es ein großes Eis zum Hochzeitstag, es ist der zweiunddreißigste. “Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, aber man kann sie immer wieder neu aufziehen” stand gestern in einer Kolumne des Irish Independent.

Am Nachmittag schaute unsere Landlady vorbei, hatte es schon vorgestern und gestern Abend versucht, uns aber nicht angetroffen. Nach derzeitigem Plan soll der große Umbau der Cottages im September beginnen und zwölf bis vierzehn Monate dauern. Im nächsten Jahr also keine Vermietung, mal sehen, wo wir dann unterkommen. Später klopfte die cleaning lady der Cottages an die Tür, sich erkundigend, was aus dem Fuß der Deern geworden ist. Für sie bedeuten die Umbaumaßnahmen erst einmal den Jobverlust, doch es gibt Schlimmeres: Im Januar, erzählt sie, hatte sich Tony, der Küchenchef des Maol Réidh Hotels, das Leben genommen hat. Depressionen, hieß es im Nachhinein, die er so gut verborgen hatte, dass niemand davon wusste.

An einem Tag wie heute bleibt die eigene Küche kalt und wir fahren zu Veldon’s nach Letterfrack. 24 Euro kosten die Crab Claws för mien Deern und 18 Euro der Lachs für mich. Da die angekündigte Musik ausfällt, machen wir uns kurz nach neun Uhr auf den Weg ins Cottage zurück. Kurz vor Tully Cross trete ich auf die Bremse: Ein riesiger Regenbogen spannt sich über Renvyle. Bestellt zum Hochzeitstag.

Regenbogen über Renvyle, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

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Dienstag, 28. Mai 2019

I will rise now and go to Inishfree, and a small cabin there, of clay an wattles there …” heißt es in dem Gedicht, es ist wohl eines seiner bekanntesten, von William Butler Yeats. Wir machen aus dem ‘Inishfree’ ein ‘Inishnee’ und besuchen die so genannte Insel in der Bucht von Roundstone. Das kaum besiedelte Eiland ist über eine Brücke erreichbar, gleich dahinter gibt es am Wegesrand so etwas wie einen Parkplatz, von dem aus ein Rundweg markiert ist.

And I shall have some peace there,
for peace comes dropping slow …

Postkasten auf Inishnee, © 2019 Jürgen Kullmanngeht es in dem Gedicht weiter, und so lassen wir uns viel Zeit für die sechs Kilometer. Auch der Postkasten vor einem der wenigen Cottages lässt erahnen, dass die Uhren hier langsamer gehen. Der Himmel ist bedeckt mit vereinzelten sunny spells.

Neben den wenigern bewohnten Häusern sorgt oft ein zerfallenes Feldstein-Cottages für den historisch-romantischen Flair, dahinter mitunter ein kleiner Anleger. Von der höchsten Stelle der Insel aus – mal wird sie mit dreißig und ein anderes Mal mit vierzig Meter über dem Meeresspiegel angegeben – blicken wir auf einen Friedhof mit einer Kapelle hinab, auf der Wanderkarte als Sehenswürdigkeit so eingemalt, wie sie vor einem Jahrhundert ausgesehen haben mag. Wer sie sucht, wird sie kaum finden, denn es existiert nur noch ein kleiner Mauerrest. Die schief stehenden Grabsteine am Abhang zum Wasser haben Mühe, sich im hüfthohen Gras erkennen zu geben. Man sieht nicht, wohin man tritt, und da wir in diesem Jahr weder Lust auf den Besuch des Galway University Hospital haben noch den exzellenten Service von Aer Lingus für Passagiere mit dreifach gebrochenen Fußgelenken in Anspruch nehmen wollen, hocken wir uns auf eine von den Giganten prähistorischer Zeiten platt- und glattgesessene Steinplatte und warten auf Yeats slowly dropping peace.

Inisnee, © 2019 Jürgen KullmannHinter dem Friedhof wird die road zum track, zu einem Trampelpfad, über den der loop (Rundweg) weiterverläuft. Keep the Gate closed, steht an vielen Toren, die oft nur mit Tauen verknotet sind. Da heißt es dann, das Gewirr nach dem Passieren wieder richtig zu arrangieren. An einer – wenn man für das Foto den richtigen Ausschnitt wählt – romantischen kleinen Bucht mündet der Trampelpfad in die Straße, an der kurz vor der Brücke unser Auto steht.

Wir fahren über Clifden nach Renvyle zurück, die Baustelle im Inagh Valley meidend, vor der wir auf dem Hinweg fast eine Stunde gewartet hatten.

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Mittwoch, 29. Mai 2019

Letter from home: Brief an Gisela

LAnkündigung vor Veldons Pub, © 2019 Jürgen Kullmanniebe Gisela — In der Altersteilzeit muss man sparen, wo immer man kann, und somit sein Briefpapier und seine Postkarten selbst malen. Das Ergebnis hast du nun vor dir liegen. Wir sind gut angekommen, das Wetter ist wie üblich: 14 Grad Celsius und Regen. Das Cottage rumpelig wie immer, aber irgendwie ein Zuhause. Wie es heißt, soll im Herbst der seit Jahren angekündigte Umbau der Cottages starten, womit auch No. 1 im nächsten Jahr nicht zu Verfügung steht. Mit etwas Wehmut mache ich von allen hübschen und weniger hübschen Ecken Fotos. Es ist so etwas wie ein Abschied, doch jetzt bloß nicht depressiv werden!

Gestern sind wir sechs Kilometer gewandert, auf Inishnee bei Roundstone, jener Insel, auf der du anno ’93 eine dir im Weg stehende Steinmauer ab- und hinter dir wieder aufgebaut hattest. Das Laufen klappte ganz gut mit dem heavy metal, das ich immer noch in meinem linken Fuß habe: eine kleine Straße und Wirtschaftswege fast ohne Steigungen. Keine Autos, alles sehr ruhig, fast einsam. Schön.

In diesem Jahr haben wir als Leihwagen einen Peugeot 2008 mit einem 191er Kennzeichen, also fast funkelnagelneu, und mit allem erdenklichen Schnickschnack. So fahren wir jetzt erstmals ein Auto mit ‘Bordcomputer’, und eine Kamera nach hinten raus zum Einparken hat das Gefährt auch. Im Gegenzug sparte man den CD-Spieler ein, und da es auch keinen Anschluss für einen MP3-Player gibt, geht es in diesem Jahr ohne Irish Folk über Irlands Straßen.

Bis jetzt – aber wir sind ja erst drei Tage hier – hatten wir in Tully Cross keine Pubmusik, nur in Letterfrack im Rahmen der bog week und dann natürlich in Clifden. Doch abends noch nach Clifden zu fahren, haben wir keine Lust mehr. Sind wir alt geworden? Da gab es schon andere Zeiten, wie du dich erinnern wirst: drei Mal in der Woche mit dem ‘Man from Mullaghgloss’ nach Clifden und in den frühen Morgenstunden wieder zurück. Jetzt ist Johnnie seit mehr als zehn Jahren tot, und Spancil Hill wird wohl auch bald mein Lied sein:

Last night as I lay dreaming of pleasant days gone by,
Me mind bein’ bent on rambling, to Ireland I did fly.
I stepped a-board a vision and followed with my will,
Till next I came to anchor at the cross of Spancil Hill.

I went to see my neighbours, to here what they might say,
The old ones were all dead and gone, the others turning grey.
I met with tailor Quigley, he’s as bold as ever still,
Sure, he used do make my britches, when I lived in Spancil Hill.

Aber irgendwie fühlen wir uns hier noch immer wohl. Heute regnet es Bindfäden, und ich bereite gerade ganz spontan aus den Resten der gestrigen Sauce Bolognese ein Moussaka zu. Die dazu benötigten Auberginen kommen aus Veldon’s Shop. Vielleicht ist es das reduzierte Drumherum, das die Gelassenheit erzeugt: ein Ofen, drei Töpfe, eine Pfanne, eine Spüle und einen Kühlschrank – was braucht man mehr? Und ein halber Meter Kleiderschrank pro Person reicht auch. Bei vierzehn Grad und Regen zieht man doch immer wieder dasselbe an.

Am Sonntag trafen wir bei Veldon’s Rose, Frank und Kevin mit Frau. Kevin, den wir anno tuck als Sechzehnjährigen kennen gelernt hatten, ist jetzt ein mittelalterlicher Mann, und seine Schweizer Frau wird langsam grau zwischen ihren dunklen Haaren. Momentan sind die beiden wieder in Irland, wohnen irgendwo an der Straße von Mullaghgloss nach Tully Cross, sollte ich Kevin richtig verstanden haben. Ansonsten wurden wir vor dem Pub von einem halben Dutzend Leuten begrüßt, die uns völlig fremd schienen. Jürgen hatte selbst Kevin nicht wiedererkannt! Als er am nächsten Tag bei ‘seiner’ Postfrau für dreißig Euro Briefmarken kaufte, hatte sie ihn schon erwartet. Ja, sie wisse, dass wir wieder im Lande sind, meinte sie, denn jemand habe uns bei Veldon’s gesehen. Die Poststellen in Tully und Moyard wurden im letzten Jahr geschlossen, die in Letterfrack gibt es zum Glück noch.

Im Vergleich zu unseren ersten Jahren in Irland hat sich eine Menge getan. Einkaufen kann man besser und preiswerter, seit es Lidl und Aldi gibt. Auch in den anderen Läden ist das Angebot umfangreicher und billiger geworden, doch viele kleine Shops in den Dörfern sind weg, ‘lost and gone for ever’, wie es in dem Lied heißt. Kein Brian und kein Butcher mehr in Tully Cross, kein Diamond’s in Tully und auch kein King’s Store mehr in Lettergesh. Das setzt sich mit dem Verschwinden der rural post offices nun fort. Aus dem King’s Store wurde ein Coffee Shop, was immerhin ein Trost ist!

Irland ist nun einmal kein Museumsdorf, und eine moderne Versorgung in allen Bereichen ist, auch wenn man sie nicht vor der Haustür findet, auch etwas wert. Vor allem, wenn man sich die Knochen bricht und Hilfe braucht, weiß man das zu schätzen. Der Gehbock, den ich letztes Jahr aus der Uniklinik in Galway mitbekommen und bei der Abreise im Cottage zurückgelassen hatte, scheint einen Abnehmer gefunden zu haben. Hier steht er jedenfalls nicht mehr rum, und das ist auch gut so !!! Vielleicht findet er sich unter anderen von uns mitgebrachten Dingen, die *** beim Aufräumen der Cottage als nicht zum Inventar gehörend zu ihrem Eigentum gemacht hat, als da wären die Pfeffermühle, diverse Kerzenständer, verschiedene Blumenvasen und Einiges mehr. Oder alles taucht eines Tages auf dem Flohmarkt der Tierschützer in Letterfrack wieder auf.

So, die Kartoffeln für das Moussaka sind gar. Schöne Grüße von meinem Jürgen und viel Spaß bei eurem Urlaub auf Borkum.

Hildegard aus Tullycross”

P.S.: Bitte beachte die Briefmarke. Wir müssen die irische Musik fördern, wo es geht, auch wenn der ‘Danny Boy’ auf der Marke weder zu unseren noch zu deinen Favoriten gehört. Sonst stirbt die schöne Musik am Ende auch noch aus. H.

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Donnerstag, 30. Mai 2019

Der zweite Regentag in Folge, und es regnet ohn Unterlass. Zehn Busse hat mien Deern auf dem Parkplatz vor Kylemore Castle gezählt. Wenn jeder fünfzig Touristen befördert, werden jetzt fünfhundert auf dem Gelände, im Restaurant und im Craftshop sein. Wir drängeln uns durch den Laden, erwerben für einen Euro drei Ansichtskarten und für € 9,90 den Folgeband für dieses Reisetagebuch, denn seine Seiten sind bald vollgeschrieben. Vorne im aktuellen findet sich mit Bleistift eingetragen die Nummer 33; es wird also das vierunddreißigste sein, doch nicht in allen geht es um Irland. Dann fahren wir weiter nach Leenaun.

Im Craftshop des dortigen Cultural Centre ist die absolute Zahl der Besucher zwar geringer, doch die der Füße pro Quadratmeter ohne jeden Zweifel höher. Das irische Liederbuch, nach dem wir als Mitbringsel für unsere weisen Nachbarn in Tönning Ausschau halten, gibt es hier genau so wenig wie in Kylemore. Durch den Regen huschen wir über die Brücke in Hamilton’s Store; hier ein Foto aus alten Tagen, als die alte Brücke noch existierte und das Wetter noch besser war. Doch davon abgesehen hat sich in den letzten 25 Jahren kaum etwas geändert.

Renvyle Quay, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

Post Office, Petrol & Diesel, General Provisions
and National Lottery

ist über dem Eingang zu lesen, ein Laden für alles, wie es ihn mit Paddy Coyne’s vor einem Vierteljahrhundert auch in Tully Cross gab. Das Post Office erweist sich als Durchreiche in einem engen Winkel rechts der Ladentheke, für Kunden mit der Konfektionsgröße XXL wohl schwer zu erreichen. Petrol & Diesel kommen bei Bedarf aus zwei rostigen Tanksäulen vor der Eingangstür. Wir erwerben den Irish Independent und sind gespannt, ob die Iren nach fünftägigem Auszählen der Stimmen nun endlich wissen, welche dreizehn Abgeordneten sie ins Europaparlament geschickt haben.

Vorbei am Loch Fidh und Loch Muc geht es via Lettergesh und Mullaghgloss über die schmale Küstenstraße nach Renvyle zurück. Der King Store von Lettergesh ist nun endgültig Vergangenheit. Erst schloss das Post Office. Als sich der Laden dann nicht mehr rentierte, konvertierte man ihn in einen Coffee Shop, doch auch der wurde nun aufgegeben. Gardinen hängen hinter den Fenstern des ehemaligen Ladens bzw. Cafés. “Da ist mein Brief von gestern schon wieder überholt”, meint mien Deern.

Im Cottage wird ein Kaminfeuer entfacht, die Malutensilien werden ausgepackt, und ein neues Kapitel von Die Frau im Moor wird aufgeschlagen.

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Freitag, 31. Mai 2019

Der dritte Regentag in Folge, und – ich mag es kaum hier festhalten – wir sind schon wieder in Clifden und kaufen beim Lidl ein. Doch dabei bleibt es nicht; seitab der Touristenmeile finden wir in dem kleinen Musik- und Secondhandbuchladen an der Bridge Street für € 7,95 das irische Liederbuch aus den 1970-er Jahren, nach dem wir seit unserer Ankunft Ausschau halten. Die Tür steht meist offen, doch noch nie sahen wir Kunden in dem Laden. Wovon der Inhaber wohl lebt?

Wir machen die Runde ums Karree und besuchen den Clifden Book Shop an der Main Street, der sich nun schon seit mehreren Jahren behauptet. Außer Bücher findet man hier auch Künstlerbedarf. Zuvor hatte der Celtic Shop schräg gegenüber ein umfangreiches Buchsortiment, desgleichen das Tourist Office, aber beide hatten nach der Eröffnung des Ladens Gedrucktes fast komplett aus dem Programm genommen.

Buchcover, © 2019 Jürgen KullmannYesterday we were in America lautet der Titel des Buches, das wir abgesehen von ein paar Grußkarten erwerben – nach einigem Zögern, denn € 23,90 sind für die Urlaubskasse kein Pappenstiel. Es gibt auch eine ältere Taschenbuchausgabe für 12 Euro, doch auf grobem, schon jetzt vergilbtem Papier und nicht fadengeheftet, sondern brüchig verklebt. Erschienen ist die Neuausgabe anlässlich des hundertsten Jahrestags des ersten Nonstop-Flugs über den Atlantik, der am 15. Juni 1919 mit einem sanften Crash im weichen Moor vor Clifden endete.

Am Nachmittag kochen wir – eine gute Beschäftigung für Regentage – ein leckeres ‘Wolfsstew’, und am Abend geht es zu Veldon’s nach Letterfrack, wo im Rahmen der Bog Week für 18 Uhr Musik angekündigt ist. Ein ‘Irish Colleen’ mit schwarzem Haar und leicht asiatischen Gesichtszügen spielt die Fiddle, derweil ein ‘Wild Irish Rover’ mit Bart und langer Mähne, aus der zur Kopfmitte hin eine runde blanke Fläche schaut, sie auf zwei Quetschkommoden in unterschiedlicher Größe und Tonlagen begleitet. Die mit den höheren Tönen, erzählt er, sei eine 1935 in den USA gebaute Rarität. Und tanzen kann die Deern mit den asiatischen Gesichtszügen im Verlauf des Abends dann auch noch.

Renvyle Quay, © 2019 Hildegard Vogt-Kullmann

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2019
© 2020 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 02.09.20