Irisches Tagebuch 2013

Warten auf die Kreativität

 

Sonnabend, 22. Juni 2013

Auf dem Weg nach Cong legen wir in Mám einen Halt vor Keane’s Shop ein und erstehen eine Zeitung und eine Packung Cornflakes. Ein Liter Milch, einen Fünf-Kilo-Sack Mehl, einen Beutel Schrauben (6 Millimeter), Riegel für Toilettentüren und Viehgatter sowie Farbe um Schafe zu markieren und Wände zu streichen hätten wir in dem schmalen Laden gleichfalls erwerben können, hatten jedoch keinen Bedarf.

Und was gibt es aus Cong zu berichten? Nichts, was nicht schon in früheren Tagebüchern notiert wurde. Die neuen Besitzer von Ashford Castle kassieren jetzt wieder Eintrittsgeld von denen, die ums Schloss laufen aber nicht in dem Hotel wohnen wollen – es sei denn, sie kennen den hinter Cong Abbey beginnenden Geheimweg, vorbei an der alten Fishery und den Fluss entlang, der jenseits des Eingangstores auf das Anwesen führt. Angler werfen an seinem Ufer ihre Ruten aus. Bis zum Schloss erstreckt sich ein englischer Landschaftspark mit uralten Bäumen, nicht weniger beeindruckend als dieses selbst.

Cong Abbey, © 2013 Juergen KullmannNachdem sich in den vergangenen Jahren ein knappes Dutzend Dias von Ashford Castle in unserem Archiv angesammelt hat, gesellen sich heute die ersten Fotos der Ruine von Cong Abbey hinzu, wenngleich nicht auf Filmmaterial. Die Firma, die dieses produzierte, gibt es längst nicht mehr, genauso wenig wie den netten, von drei älteren Schwestern geführten Coffee Shop mit den allseits umsäumten Gardinen und Sammelbüchsen für die Missionierung der Heiden vor den Toiletten. Und so lunchen wir im Hungrigen Mönch* schräg gegenüber der alten Abtei, bis die Sonne sinkt und die Ruine ins richtige Licht rückt.

* Ziegenkäse-Panini it einer Tomaten-Paprika Pesto und Chips. Sehr lecker und sättigend für nur Euro 7,95 pro Person.

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Sonntag, 23. Juni 2013

Nach dem Erwerb von vier Schals bei den Joyces of Recess (jeweils als Geschenk verpackt) treffen wir am späten Mittag in Roundstone ein, wo mein Mädchen im Craftshop des Bodhrán-Makers einen weiteren erwirbt, den nunmehr sechsten in drei Tagen. Der nächste Winter kann kommen!

Cong Abbey, © 2013 Juergen KullmannWir wandern in einem Bogen um das frühere Kloster am Ufer entlang ins Städtchen und treffen auf die Kreativität, die hinter der National School auf einer Steinmauer hockt. Mein Mädchen setzt sich dazu und skizziert ein auf der grünen Wiese liegendes rotes Boot.

Der Sonntagsmarkt im Ort wird bereits abgebaut, und so steigen wir ins Auto und fahren Richtung Clifden. Ein Abstecher zur Gurteen Bay, wo wir an der Mauer unterhalb des Friedhofs die letzten Kekse aus dem Rucksack verzehren, hält uns dort eine Stunde auf, so dass das Café von Walsh’s Bakery gerade schließt, als wir in Clifden eintreffen. Also decken wir uns im SuperValu mit einer neuen Packung Kekse ein und marschieren mit ihnen in Lowry’s Pub. Wenn wir Guinness Cake mögen, sollten uns Schoko-Cookies zu einem Pint Guinness wohl auch munden.

Die Vorabendmusik beginnt fast pünktlich um sechs. Wir bleiben, bis die drei Musiker um halb neun ihre Instrumente packen.

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Montag, 24. Juni 2013

Brief unseres Reiseschafes Eileen Óg an Nis Puk

Moin Nis Puk — Da kann man als vernunftbegabtes Schaf nur sein weißses Haupt schütteln, wenn man mitansehen muss, wie gedankenlos und unvernünftig manche Menschen sind und dadurch ihr Leben in Gefahr bringen. Auch sonst sind sie manchmal etwas schwer von Begriff. Doch der Reihe nach.

Pferde nahe Renvyle Castle, © 2013 Juergen KullmannAls meine zweibeinigen Mitreisenden sich heute Vormittag (oder was sie so als Vormittag bezeichnen) Renvyle Castle näherten, grasten da auf der Landzunge zwei Pferde und ein Babypferd, und plötzlich tauchte eine gewisse Kreativität auf und gesellte sich zu der Deern. Also Skizzenblock raus und zwei Stunden lang Pferde gemalt, während er dumm in der Gegend herumstand, durch die Kamera guckte und sie hin und wieder klicken ließt. Da hupte es plötzlich: Ein rotes Auto fährt vorbei, ein weißer Schopf schaut heraus und sein Besitzer, ein gewisser Kieran, ruft: “Is it the road to Renvyle?” Und wie reagiert mein Mitreisender, nachdem er sein Auge von der Kamera gelöst hat? Statt schlagfertig wie ein Schaf zu antworten: “No, that’s the way to Arnsberg”, blickt er nur verdattert aus der Wäsche und meint, das sei hier doch Renvyle.

Als die Pferde keine Lust mehr hatten sich malen zu lassen, zogen meine Begleiter den Berg hoch zum Friedhof und besuchten Charlie O’Malley. Das ist der mit dem Akkordeon, der so immer toll mein Lieblingsstück The Lambs on the Green Hill gespielt hat. The Sheep of Tralee, The Sheep of Allendale und The Wild Colonial Sheep mochte ich auch sehr.

Jetzt zu dem Vorfall von heute Nachmittag. Da wanderten meine Mitreisenden den Glassilaun-Strand entlang, bis ans äußere Ende, da wo es nicht mehr weitergeht, und dass ohne einen Blick auf den Tidenkalender zu werfen. Leichtsinn und Unvernunft gepaart! Ich konnte es nicht mehr verhindern, sie waren schon unterwegs, als ich es realisierte. Du ahnst wahrscheinlich, wie die Sache ausging. Auf dem Rückweg versperrte ihnen ein Priel den Weg. Sie mussten Schuhe und Strümpfe ausziehen und bis zu den Knien durchs Wasser waten. Ich denke, das wird ihnen eine Lehre sein. Ich hoffe es zumindest, bei Menschen weiß man das ja nie so genau!

So viel für heute. Wenn ich wieder in Tönning bin, erzähle ich dir mehr, und sollte bis dahin meine Kreativität vorbeikommen, fallen mir bestimmt noch weitere interessante Details ein. Viele Grüße aus Irland auch an Jan Hinrich und Paddy-the-Sailor* von

Eileen Óg, Reise und
Navigationsschaf”

* Siehe Reisetagebuch vom 12. Juni 2009

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Dienstag, 25. Juni 2013

Aus den Aufzeichnungen meines Mädchens

Wir unternehmen einen Ausflug an die Küste Süd-Mayos, man sieht sie von unserer Halbinsel und doch haben wir sie noch nie betreten. Kahl und trutzig versperrt im Süden der Maol Réidh den Weg. So bleibt denn, will man es nicht als einsamer Bergwanderer mit ihm aufnehmen, nur der Zugang von Norden.

RIP Currents, © 2013 Juergen KullmannVon Tully Cross geht die Fahrt nach Leenaun, dann auf der Mayo-Seite den Killary Harbour entlang und gen Norden in das Tal von Delphi. Am Ende des Tals finden wir die schmale Straße nach Killeen. Einsam ist es, eine Vorahnung der Weite Nord-Mayos. Offene Strände mit gefährlichen Strömungen breiten sich vor uns aus: RIP Currents, “Rest in Peace” all denen, die dennoch versuchen ins Wasser zu gehen. So weiß und verlockend die Strände sich darbieten, so gefährlich sind die Fluten. Am White Strand gibt es sogar Dünen und Priele, es sieht ein bisschen aus wie in Sankt Peter-Ording.

Wir passieren verlassene Höfe und Cottages. Einige waren früher recht ansehnliche Anwesen mit Ställen und Nebengebäuden. Was die Häuser wohl zu erzählen haben? Die Erben ihrer einstigen Bewohner haben vermutlich kein Interesse daran, ihren Vorfahren gleich als Bauern in dieser Abgeschiedenheit zu leben, arbeiten jetzt womöglich als Webdesigner in Dublin. Eine verfallende Kirche steht an einem Berghang. Wie lange mag es her sein, dass sich hier zum letzten Mal feingemachte Menschen zur sonntäglichen Messe versammelten? Was haben sie gefühlt, als ihre Kirche entwidmet wurde?

Murrisk Abbey, © 2013 Juergen KullmannZurück nach Norden, in Louisburgh ein Stopp für eine Kaffeepause. Die Stadt wirkt fast ausgestorben. Dann rambeln wir gen Westport und finden dieses Mal sogar die Zufahrt zur Murrisk Abbey, damit Jürgen endlich sein Foto machen kann. Allerdings wussten wir nichts von dem kostenfreien Parkplatz vor der Ruine; als wir ihn entdecken steht das Auto bereits auf dem kostenpflichtigen am Fuße des Croagh Patrick. Nicht ärgern, betrachten wir es als Spende an den Heiligen.

*  *  *

Am Abend speisen wir in Clifden. Die anvisierten Crab Claws sind im Rahmen des Early Bird Menüs nicht wählbar, vermutlich zu teuer. Der Kompromiss ist auch ok, aber nicht umwerfend – ebenso wenig wie die Musik, die darauf folgt. Dabei hatte ich mich so auf Sean Halpenny gefreut, den größten Bodhrán-Spieler der westlichen Welt. Doch heute streichelte Sean sein Instrument nur mit dem Besen, statt ordentlich draufzuklopfen. Um mehr Leute in den Pub zu locken, öffnete der Wirt dann auch noch die Tür. Es wurde mir kalt, und wir fuhren nach Hause.

Jetzt sitze ich vor dem Torffeuer und schreibe alles auf. Bin etwas erschöpft!

Hildegard

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Mittwoch, 26. Juni 2013

Wir parken das Auto an der Pier von Uachter Ard, werfen einen Blick auf den See, und schon kommt uns der Skipper der Corrib Queen entgegen. Unter anderen Umständen hätten wir uns jetzt betont gleichgültig vom Anleger abgewendet, doch sind wir eigens für seine Full Day Corrib Cruise (täglich 12 bis 18 Uhr) angereist, und so lassen wir uns “das großartige Erlebnis”, das uns für 25 Euro pro Person erwartet, ausführlich erläutern.

Drei Stunden später. Wer hätte vor zwei Tagen gedacht, dass wir heute schon wieder beim hungrigen Mönchen von Cong sitzen, an einem Tischchen draußen vor der Tür, denn drinnen ist kein Platz mehr. Der Summer Fruit Cheese Cake ist lecker und die Stücke sind groß. Doch bevor ich mich weiter dem Genuss hingebe, muss ich noch im Tagebuch festhalten, wie wir hierher gekommen sind.

Inchagoill, © 2013 Juergen KullmannEs war eine eindrucksvolle Fahrt über den mit einer Fläche von rund zweihundert Quadratkilometern größten See der Republik, die uns hierher geführt hat. Ein See mit 365 Inseln, wie der Kapitän betont, eine für jeden Tag des Jahres, von denen aber nur zehn bewohnt sind. Bei 365 dauert das Nachzählen so lange, dass wir ihm auch so glauben. Der Skipper spielt auch den Tourist Guide und legt nach einer halben Stunde auf der Insel Inchagoill an, die mit der Ruine einer 1500 Jahre alten Kirche und dem dazugehörigen Friedhof aus St. Patricks Zeiten sowie einer Augustinerkirche aus dem 12. Jh. die bekannteste und am häufigsten besuchte auf dem Lough Corrib ist. Seit 1948 ist sie unbewohnt. Die Details finden sich in einer vom Bruder unseres Skippers verfassten Broschüre, die wir für fünf Euro erwerben.

Vor einundzwanzig Jahren, bei unserem ersten Irlandbesuch, gingen wir schon einmal hier an Land. Es ist lange her, und doch ist uns der Weg durch den dichten Wald zu den beiden Heiligtümern seltsam vertraut. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, ganz anders als im übrigen Irland. Wie oft der Grabstein aus dem fünften Jahrhundert, dessen Inschrift immer noch lesbar ist, wohl schon fotografiert wurde? Vor 21 Jahren von uns auf Diafilm, hier und heute auf einer Speicherkarte. Ich zitiere ein wenig gekürzt aus dem soeben erworbenen Heft von Patrick Luskin:

Lunga-Stein, © 2013 Juergen Kullmann“Mehr als irgendein anderes Baudenkmal auf der Insel hat der Lunga-Stein die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich gezogen. Die Inschrift aus dem 5. Jahrhundert, die immer noch lesbar ist, lautet ‘Lia Lugnaedon Macc Lmenueh’. Das ist Alt-Gälisch und bedeutet Aufrechtstehender Stein von Lugna, dem Sohn der Limanin.

Wir glauben, dass Limanin eine Schwester von St. Patrick ist. Es wird angenommen, dass St. Patrick und sein Neffe Lugna, der auch sein Navigator war, Mitte des fünften Jahrhunderts nach Cong kamen um den christlichen Glauben zu verbreiten. Die mächtigen heidnischen Druiden verbannten die beiden auf die Insel Inchagoill, die so ihren gälischen Namen Inis an Ghaill, die Insel der Fremden, erhielt.

Während des Baus der Kirche starb Lugna und wurde auf der Insel begraben. Es ist interessant, dass der Stein die Form eines Bootsruders hat, was zu der Theorie passt, das Lugna St. Patricks Navigator war. Viele Archäologen behaupten, dass die Inschrift die älteste christliche in Europa ist, abgesehen von einer in den Katakomben von Rom.”

Nach einer dreiviertel Stunde ging die Fahrt weiter und wir legten in Cong an, neben dem Tor zu Ashford Castle, wo der Zugang zum Schloss heute nichts kostet – auch nicht für diejenigen, die den ‘Geheimweg’ nicht kennen.

Drei Stunden später. Am Fluss entlang sind wir vom Schloss ins Städtchen gewandert, wo wir jetzt gegenüber der Abbey-Ruine vor dem Restaurant des hungrigen Mönchen sitzen. Noch ein paar Fotos von den bunten Häuserfassaden – das Wetter zeigt sich geneigter als vor zwei Tagen – dann geht es zurück. Auch Ashford Castle wird noch einmal auf den Film Chip gebannt, ehe wir am Anleger vor dem Eingangstor darauf warten, dass man uns zurück nach Uachter Ard bringt. Da taucht die Isle of Inisfree aus dem grünen Dschungel hinter der Pier auf, nicht das Schiff, das uns hergebracht hat, sondern das des Bruders unseres Skippers, dem Autor der Broschüre, aus der ich gerade zitiert habe und die sich mien Deern nach dem Festmachen des Schiffes vom Verfasser signieren lässt.

Auch unser Skipper taucht wieder auf und bittet die Wartenden an Bord des Schiffes seines Bruders. Es ist größer als die Corrib Queen, die uns hergebracht hat. Auf dem Oberdeck erwartet uns ein Akkordeonspieler. Mit Jigs und Reels legen wir ab. Da zucken die Füße eines kleinen Mädchens im Vorschulalter und sie beginnt zu tanzen. Doch schon in der nächsten Bucht legen wir wieder an, wechseln mit unserem Käpt’n auf die dort liegende Corrib Queen, und im Abendlicht geht es nach Uachter Ard zurück.

Loch Corrib, © 2013 Juergen Kullmann

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Mittwoch, 27. Juni 2013

Noch drei Wochen sind es hin, dann wird weltweit das letzte Telegramm verschickt, denn am 15. Juli stellt Indien als letztes Land auf unserem Erdball diesen Service ein. In Irland wurde er 1870 von der Post aus der Taufe gehoben und in den späten 1980er Jahren eingestellt. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts verschickten die Iren fünfzehn Millionen Tellegramme pro Jahr und verwendeten um Buchstaben und damit Geld zu sparen eine eigene Kürzelsprache. Als kürzester Telegrammaustausch aller Zeiten gilt der zwischen Oskar Wilde und seinem Verleger, als der Schriftsteller wissen wollte, wie sich sein aktuelles Buch verkauft:

Telegramm von Oskar Wilde: ?
Antwort des Verlegers: !

Dieses hehre Wissen entnehme ich einem Nachruf des Sunday Independent auf das Kulturgut Telegramm. Und nun im Telegrammstil zum heutigen Tagesbericht. Ganz so knapp wie bei Oskar Wilde fällt er nicht aus, doch sehr viel länger ist er auch nicht:

Am Vormittag den ‘Rentnerweg’ gegangen +++ Nach Clifden gefahren, Mitbringsel für Wegener-Kinder gekauft +++ Lunch im Marconi-Restaurant (Lamm, keine Raupen im Salat) +++ Vorabendmusik bei E.J. King’s mit den United Cripples of Connemara (auch Michael geht jetzt an Krücken, der Akkordeonist schon länger) +++ Ein Abend vor dem Torffeuer +++ Das war’s für heute.

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Freitag, 28. Juni 2013

Nebel über Renvyle. Schönwetter-Fotos machen kann jeder, doch Nebelaufnahmen findet man nicht viele. Wir ziehen mit der Kamera los, entlang der schmalen, einsamen Straße am Fuße des Tully Mountain, steigen über einen Zaun, erklimmen einen bislang noch nie erklommenen Hügel und beobachten, wie die Nebelschwaden über unsere Halbinsel ziehen.

Nebel über Renvyle, © 2013 Juergen Kullmann

Das war es für dieses Jahr in Irland. Morgen Nachmittag geht der Flug von Dublin nach Düsseldorf, und dann müssen wir uns mal wieder bei den Nordfriesen blicken lassen.

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2013
© 2014 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 17.09.14