Irisches Tagebuch 2001

You will come back

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Sonnabend, 16. Juni 2001

Zum ersten Mal in diesem Jahr sind wir in Cleggan. Am Hafen wird immer noch gewerkelt: hier ein Gerümpelhaufen, dort ein paar alte Holzkisten, daneben schmutzige Seile, Abfall und über allem der Algengeruch. Eine vergessene Schatzkiste aus dem Fundus der legendären Grace O’Malley finden wir leider nicht.

Weiter nach Claddaghduff. Wir parken vor der Kirche, gehen den Weg zum Meer hinunter, der an der Furt nach Omey Island endet. Auf der Insel ist ein Haus zu verkaufen, doch der Pfeil auf dem Schild weist über die Insel hinaus ins All. Ob es das weiße Cottage dort hinten ist, oder ein Rasthaus am Ende des Universums? Das Cottage sieht aus der Ferne recht gut erhalten aus. Wir marschieren hinüber, verzichten jedoch auf einen Gang quer über die Insel, denn wer weiß, wann die Flut kommt. Wie es scheint, bereits jetzt! Zu beiden Seiten der Sandbank naht das Wasser, die Furt wird schmaler, und wir wandeln wie Moses durchs Meer zum Festland zurück. Auf der Heimfahrt noch ein kurzer Stopp in Cleggan, um bei Oliver Coyne’s fürs Mittagessen einzukaufen.

*  *  *

Es wird später Nachmittag, wir machen einen Spaziergang zum Friedhof von Mullaghgloss, schon oft an dieser Stelle beschrieben. Das graue Franzosenhaus am Meer hat ein hässliches Nebengebäude bekommen, fensterlos und mit einem großen Tor. Für eine Garage zu groß, vielleicht ein Bootshaus.

Frische Gräber auf dem Friedhof, der einen betonierten Hauptweg bekommen hat. Forever young, hier liegt, nur 18 Jahre alt geworden, eines der Opfer des schrecklichen Autounfalls vom letzten Jahr. Und Nora Mongan aus Derryinver ist tot, die so oft in Molly’s Bar neben uns saß und sich den Song In Dublin’s Fair City wünschte. 84 Jahre ist sie alt geworden.

Wir wandern zum Cottage zurück, anderthalb Stunden waren wir unterwegs. Am Abend in Molly’s erneuern wir die Bekanntschaft mit Séamus M., verraten ihm aber auch diesmal nicht, dass er nicht singen kann.

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Sonntag, 17. Juni 2001

Ein Curragh Racing ist in Leenaun angesagt. Wir erinnern uns an das aus dem Jahr 1993, als große Regen kam. Er drang durch verborgene Ritzen in unseren 12 Monate alten Leihwagens, ein Fiat Uno, der bei jeder Bodenwelle aufsetzte und dessen klappernde Dachantenne wir eine Woche lang für einen losen Auspuff gehalten hatten. In Leenaun angekommen saßen wir fröstelnd auf nassen Steinen am Ufer des Killary. Der Regen rann mir in den Nacken, während sich weit draußen auf dem Wasser ein paar schwarze Striche westwärts bewegten und aus einem Lautsprecher unverständliches Gequake quoll. An das Ergebnis des Rennens erinnere ich mich nicht mehr, nur an das persönliche: eine Woche Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Rückenschmerzen und was sonst noch dazugehört, bis mich irisches Lebenswasser wieder auf die Beine brachte.

Das soll mir nicht noch mal passieren! Ich fahre ohne anzuhalten durchs Dorf, derweil an den Straßenrändern No-Parking-Hütchen aufgestellt werden. Wir kommen ins Joyce Country, passieren Maam und erreichen Corr na Mona, das ‘Herz des Moorlandes’. Mein Mädchen studiert die Karte und entdeckt einen Rundwanderweg entlang eines Berghangs mit Blick auf den Corrib. Ungewöhnlich viele Cottageruinen fallen uns auf, obwohl der Hang mit seiner Vielfalt an Grün viel fruchtbarer als die Berge Connemaras wirkt. Ein Haus mit Seeblick ist zu verkaufen. Was man daraus alles machen könnte, wenn man das Geld dazu hätte! Nur der Weg zum nächsten Laden und Pub dürfte anstrengend sein, vor allem, wenn es auf dem Heimweg den Berg hoch geht.

Nach zwei Stunden sind wir wieder auf der Straße und gehen zum Pub am Cornamona River zurück, an dem wir das Auto abgestellt hatten. Ein beliebtes Lokal für Sonntagsausflügler, und es ist gar nicht so leicht einen Tisch zu bekommen. Kein Wunder, denn es handelt sich um den

Award Winning Pub in the
Flowerpub-Competition

Die Urkunde hängt gleich neben der Tür. Und in der Tat, so viele Blumen auf Fensterbänken und in Ampeln rund ums Haus hat die Welt in Irland noch nicht gesehen.

*  *  *

Ein sonniger Spätnachmittag am Lettergesh-Strand, der am schönsten bei Ebbe ist. Der Wind bläst kalt von Westen, doch im Schatten der fünfzehn Meter hohen Klippen lässt es sich aushalten. Vielleicht weil Wind und Wasser so kalt sind, baden zwei Halbwüchsige in voller Montur. Ihr Hund steht dem Unternehmen eher skeptisch gegenüber, tippt sacht mit einer Pfote ins Wasser und wendet sich schaudernd ab.

Ein Blick auf die Uhr. Es geht auf sechs zu und wir bekommen schon wieder Hunger. Letterfrack ist nicht weit; auf nach Veldon’s! Die Wahl fällt auf:

Smoked Haddock du Gratin
Served on a Leek and Mustard Mash
Finished with Cheese Sauce

Dazu zwei Pints Guinness – der bessere Teil der Mahlzeit, wie sich bald herausstellt. In der Ecke uns gegenüber speisen Tim O’Sullivan und Frau, denn heute ist Father’s Day, Vatertag. Sie kommen aus Leenaun, erzählen sie, wo Johnnie, Frank und Kieran am Nachmittag für Musik gesorgt hätten: ein großes Dorffest mit Straßenmusik, Irish Dancing und allem, was dazugehört. Und wir Idioten sind ohne anzuhalten durchgefahren! Doch was soll’s, man sieht sich heute Abend im Angler’s Rest.

*  *  *

Es ist spät in der Nacht, eigentlich schon früher Morgen. Die Liebste schläft, auch ich bin müde und bekomme keine vernünftigen Sätze mehr zustande. Ein paar Stichworte zur Erinnerung.

Nach der Heimkehr von Veldon’s haben wir Glück: Stromausfall in ganz Connemara. Wir sitzen bei Kerzenschein im Angler’s Rest, und Frank und Kieran singen und spielen mangels Elektrizität ohne Mikro und Verstärker. Guinness kann auch ohne Strom gezapft werden, und wir spendieren uns und den Musikern je ein Pint. Unsere sind gerade einmal halb geleert, da stehen zwei volle daneben. “Von Kieran und Frank”, sagt das Mädel, das sie bringt. Drei Minuten später ist sie schon wieder da, und stellt zwei weitere dazu. “Von Johnnie”, informiert sie uns und weist zur Bar, von wo aus uns der Senior des Clans entgegengrinst. “Wer soll das alles trinken?” frage ich. “Wir!” sagt das Mädel, das das Cottage mit mir teilt und Kierans Steal Away lauscht – zum Glück, ohne sich davonzustehlen.

Spät am Abend kommt Johnnie mit Bruder Paddy zu uns und wir rücken alle zusammen. Er habe sich mit dem Guinness für den Taxidienst von neulich bedanken wollen. Sein Bruder sieht, obwohl zwei Jahre jünger, älter aus als er. Johnnie besorgt ihm ein Guinness und ein Fläschchen Hennessy. Ein trauriger Mann, erzählt er leise, unheilbar krank, wird das Jahr nicht überleben. Dann winkt er Sheila, ein junges Mädchen, herbei und sie spielt, von ihm ermuntert, ein paar Stücke auf ihrer Concertina. Beeindruckend, was man aus einem so kleinen Instrument herausholen kann! Worauf Paddy ein Lied anstimmt, und er singt es mit gebrochener Stimme:

Come over the hill
My bonnie Irish lass,
Come over the hill
To your darling.
Red is the Rose
That in yonder garden grows
And fair is the lily of the valley.

Bei der letzten Strophe versagt ihm die Stimme, er wischt sich die Augen.

Der elektrische Strom ist wieder da, als der Abend eine halbe Stunde nach Mitternacht mit The One Road und Amhrán na bhFiann zu Ende geht.

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Montag, 18. Juni 2001

Besseres Wetter hatte uns gestern Mittag Tim O’Sullivan versprochen. Besseres? Vielleicht dachte er an die vertrockneten Weiden vor seinem Haus und versteht unter ‘besser’ etwas anderes. Es regnet bereits beim Zeitung holen.

Am Vormittag ein Trip nach Clifden: neue Punts aus dem Automaten der AIB-Bank ziehen, und die Liebste erkundigt sich nach Geldtransfermöglichkeiten zwischen Dortmund und Irland sowie den dabei anfallenden Gebühren. Man kann ja nie wissen.

Mittagessen bei Veldon’s in Letterfrack. Die Lunchkarte unterscheidet sich von der Abendkarte nur durch Format und Preise: was es am Abend für umgerechnet 25 DM gibt, kostet mittags 15 Mark. Muss man sich merken! Am Nachbartisch ein amerikanischen Pärchen: die beiden wundern sich, dass als Beilage zu ihrem Irish Stew eine Schale mit Kartoffelbrei serviert wird. Wir kommen ins Gespräch und erzählen, dass wir bei unserem ersten Besuch eines irischen Restaurants vor zehn Jahren als Beilage zu Spaghetti Kartoffeln bekamen.

*  *  *

Der Tag neigt sich dem Ende zu. Wir kommen aus Letterfrack zurück und gehen auf einen Verdauungswhiskey ins Paddy Coyne’s. An der Bar unterhalten sich Noel und Charlie, uns gegenüber spielen vier Engländer Karten. Ob es Bridge ist? In den Erzählungen Somerset Maughams, die ich vor mehr als einem Vierteljahrhundert verschlang, spielten von den Kolonien bis London alle Engländer Bridge. Ich schreibe ein bisschen in mein Tagebuch, dann sprinten wir über die Straße ins Cottage. Es regnet immer noch.

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Dienstag, 19. Juni 2001

Eine geschlossene Wolkendecke verbirgt die Kuppen der Berge, doch es regnet nicht mehr. Dafür bläst der Wind umso heftiger. “A soft wind”, meint Brian, als ich die Morgenzeitung hole. Ein sanfter? Sehr wohl, denn bei einem richtigen kommt es vor, dass man seine Dachschindeln nach einem 3-Kilometer-Flug übers Meer auf Crump Island wiederfindet.

Wir machen den ‘Bogwalk’, den langen und dazu in Gegenrichtung. Links an der Kirche vorbei und ein Stück die Kylemore Road hinunter, ehe er nach rechts ins Moor abbiegt. Hier war die Landschaft bei unserer ersten Wanderung vor neun Jahren völlig zugemüllt: alte Kühlschränke, Überreste von Autos und vieles mehr. Bis dann eine große Clean-up Aktion ins Leben gerufen wurde und der ganze Schrott aus den Mooren auf dem großen Parkplatz bei Veldon’s zusammengetragen wurde. Einigen Autobesitzern bereitete dies arge Sorgen, und so fanden wir hinter der Windschutzscheibe eines Vehikels am Straßenrand ein Pappschild mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Gefährt nicht um zu sammelnden Schrott, sondern um einen im Privatbesitz befindlichen, fahrbaren Untersatz handelte.

Seither ist der Bog weitgehend müllfrei geblieben. Und wie wir uns vom Wind über das Moor schieben lassen, mogelt sich hier und dort ein Torfsoden in unseren mitgeführten Leinenbeutel, um heute Abend im Kamin verheizt zu werden.

Das Heft ist nun voll. Fortsetzung morgen im kürzlich in Roundstone erstandenen ‘Oscar-Wilde-Journal’*

* Notiz auf der letzten Seite des Reisetagebuchs, dem dieser Bericht entnommen ist.

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Mittwoch, 20. Juni 2001

Oscar WildeIhave nothing to declare except my genius”, sprach Oscar Wilde, und so steht es unter seinem Konterfei auf dem Umschlag meines neuen, vor einigen Tagen in Roundstone erworbenen Reisetagebuchs. Band 11 ist es inzwischen, und vielleicht sollte ich mir sein Motto in irischer Bescheidenheit zueigen machen. Also erkläre auch ich mein Genie und komme zum nächsten Kapitel, das da lautet:

Inishmore Revisited

Die Fähre zur Großen Araninsel Inis Mór ist nicht weniger überfüllt, als an jenem denkwürdigen Tag des Jahres 1993, an dessen Ende ein genialer Pubsong entstand, den die Welt nie zur Kenntnis nahm:

I travelled old Ireland
And once crossed the sea,
To visit the Arans
In the year ninety-three.

When I was returning
To my true love I swore
I never will visit
The isle Inis Mór.

Doch nicht nur für irische Politiker ist ein Schwur dazu da, gebrochen zu werden, und so hofften wir auf das allseits beklagte Ausbleiben der Touristen und gaben der Insel eine zweite Chance.

Der erste Unterschied zu damals: die Sonne scheint. Was wohl nicht oft vorkommt, denn die Fähre hat nur ein kleines Außendeck, auf dem sich nun alles drängelt. Umfallen nicht möglich, schon eher über Bord fallen. Und es wird gälisch getachelt, daher der Begriff Gaeltacht. Irisch scheint in der Tat eine Sprache zu sein, in der sich ganz normale Menschen über ganz normale Dinge unterhalten können.

Keine Anmache am Kai: nur wenige Minibusse und gerade mal zwei Pferdekarren warten auf ihre Opfer. Hat man keine Touristen erwartet, oder war der Zugriff auf eine frühere Fähre unerwartet erfolgreich? Die meisten unserer Mitreisenden steigen in die Minibusse zur mehr als dreitausend Jahre alten Steinfestung Dún Aonghasa, der manche Historiker auch fünftausend Jahre geben. Die verbliebenen verlaufen sich recht schnell.

Wir suchen und finden das ‘Heritage Centre’, sind die einzigen Besucher. Eine gebundene, dreibändige Gesamtausgabe der Erzählungen Liam O’Flahertys, der auf der Insel geboren wurde, erregt meine Aufmerksamkeit. ‘Limitierte Ausgabe von 1.000 Exemplaren’, lese ich auf der Kassette, finde jedoch keine Preisangabe. “Lass mal”, meine ich, “dergleichen gibt es nicht für unter 100 Punt.” “Fragen kostet nichts”, meint mein Mädchen und marschiert mit der Kassette zur Kasse. Die Dame dort hat jedoch keine Ahnung, was sie für die Kassette nehmen soll, und wendet sich an eine Kollegin, die nur mit den Schultern zuckt. Vereint stöbern sie in Karteikarten und Katalogen – ohne Erfolg. Ratlosigkeit breitet sich aus: da hat man die einmalige Chance, an diesem 20. Juni etwas zu verkaufen, und es scheitert daran, dass man keinen Preis findet. Ob wir vielleicht ein wenig lustwandeln und gegen zwei Uhr wiederkommen könnten? werden wir gefragt. Dann käme Ablösung durch eine andere Kollegin, die den Preis (vielleicht) wüsste. Wir versprechen es.

*  *  *

Near Dun Aengus, © Paul GuilfoyleWir heuern weder einen Minibus noch einen Pferdewagen zum weltberühmten Dún Aonghasa an, sondern machen uns zu Fuß zum weniger berühmten Dún Duchalair, dem ‘schwarzen Fort’, auf. Ursprünglich war diese Befestigungsanlage auf den südlicher gelegenen Klippen gewaltiger als Dún Aonghasa, doch nur wenig ist davon übriggeblieben. Gut, dass wir darauf verzichtet haben, uns Fahrräder auszuleihen, denn die zweite Weghälfte ist nur zu Fuß zu bewältigen. An ein Gatter gelehnt stehen zwei Leihräder, deren Fahrer es aufgegeben haben.

Wir erreichen ein Hochplateau. So stelle ich mir den Burren vor: ein Kopfsteinpflaster für keltische Riesen. Der Begriff ‘Giants Causeway’ ist schon vergeben, er hätte auch hier gut gepasst. Ein Plateau auf einer ins Meer ragenden Landzunge – nur nicht zu nahe an den Klippenrand treten, denn tief unten tost das Meer! Jenseits davon das nächste Kap, an dessen Fuß weiß die Brandung schlägt. Links von uns und am Rande des keltischen Riesenpflasters erhebt sich der Steinwall des schwarzen Forts.

Zwei Wanderer, vielleicht die, deren Fahrräder wir passiert haben, treten an den Klippenrand und klettern über die Mauer. Vielleicht brauchen sie ihre Räder gleich nicht mehr, doch besser, wir bekommen nicht mit, was jenseits der Mauer passiert. Zeugenvernehmung und stundenlange Protokolle bei der Garda, das muss nicht sein. Und so studieren die Steinlandschaft und beobachten aus der Distanz das Anschlagen der Wellen an die Felsen und das Kreischen der Möwen über den Klippen, ehe wir uns auf den Rückweg ins Dorf machen.

Wir sind wieder in Kilronan, im Bookshop des Heritage Centre, wo man inzwischen einen Preis eruiert hat: 50 Punt soll die Kassette mit den drei Bänden kosten, als Nr. 9 von 1.000 Exemplaren signiert. Gekauft! Für zwei Punt könnten wir uns jetzt den Film The Men of Aran anschauen, doch bei dessen Blut-und-Bodenmentalität reicht es, ihn einmal gesehen zu haben. Anders das Buch Aran Men All von Tom O’Flaherty, Liams Bruder, das als Vorlage für den Film diente und man immer wieder lesen kann.

Kurz nach fünf fährt die Fähre zum Festland zurück. Wir genießen das uns unverständliche und dabei so harmonische gälische Geplapper.

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Donnerstag, 21. Juni 2001

Mittsommernacht – die Nacht, in der der Erzdruide von Irland & Tara mit seinem Gefolge auf dem Hügel von Tara die Sommersonnenwende begeht. Ohne uns und ohne das Bild, das mein Mädchen gestern Abend gemalt hat. Der Titel nach einer Erzählung von Seán O’Faolain aus den 30-er Jahren: Midsummer Night Madness.

Midsummer Night, © H. Vogt-KullmannAuch die Feen freuen sich auf das mitternächtliche Spektakel, und so sind uns die für das Wetter zuständigen wohlgesonnen. Während sie noch die Wolkendecke beiseiteschieben, wandern wir am späten Vormittag über den menschenleeren Glassilaunstrand. Es ist Ebbe, und wenn man mag, kann man auf die kleine Insel hinüberwandern, von der aus einst eine Kuhherde in meine Kameralinse trabte. Doch wir ziehen es vor, auf einem halbwegs trockenen Uferfelsen zu sitzen und über das an späten Urlaubstagen am häufigsten philosophierte Thema zu philosophieren: As Time Goes By.

Einige Stunden später. Der Himmel ist – von ein paar weißen Zierwölkchen abgesehen – blau. Und wir sind nicht mehr am Glassilaunstrand, sondern sonnen uns in einer Mulde mit Meeresblick hinter der Ruine von Renvyle Castle. Ich wandere ein bisschen hin und her und mache im Nachmittagslicht das (hoffentlich) ultimative Foto von dem alten Wehrturm, den vor einigen hundert Jahren ein Kanonenschuss von einem Schiff Grace O’Malleys in die heutige Ruine verwandelte. Und ein Foto vom Old Castle Guesthouse gleich daneben, dessen Landlady tapfer davon ausgeht, dass ihr der alte Turm beim nächsten Sturm nicht auf das Haus kippt.

Eine weitere Stunde später – oder auch zwei, welche Rolle spielt an einem Tag wie diesem die Zeit. Wir wandern die Straße vor dem Turm hoch und dann rechts den Weg zum Friedhof hinunter. In alten Zeiten errichtete man auf jedem Friedhof eine kleine Kapelle, nur um sie in den Folgejahren wieder zerfallen zu lassen. Vielleicht als Symbol für die Vergänglichkeit? So auch hier. Die Außenmauern stehen noch, doch mittendrin ein Grab. Gleich rechts neben der Kapelle ein weiteres Grab mit zwei bekannten Namen auf dem verwitterten Stein: Mark und Margaret Coyne, gestorben während der großen Grippeepidemie von 1922. Johnnies Großeltern, wie er uns später erzählt. Doch sein Großvater wurde gar nicht hier begraben, sondern in Salrock, unweit von Glassilaun.

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Freitag, 22. Juni 2001

ASmokery Clifdenm Vormittag holen wir den bei ‘unserem Bretonen’ in Clifden vorbestellten Lachs ab. Drei Portionen zu ca. 500 g machen summa summarum 45 irische Pfund. Lieber nicht in DM umrechnen! Und bereits am Mittag steht Lachs auf dem Speiseplan, wenngleich nicht der soeben gekaufte – der wird morgen nach Deutschland fliegen. Den heutigen gibt es in der Teestube vom Ocean’s Alive, in die uns Anne Jack eingeladen hat. Gemeinsam mit ihrer Schwester hat sie die Teestube sowie das Restaurant im Erdgeschoss geleast, eine Nichte spielt die Köchin.

Das unvermeidliche Gesprächsthema: Wie die Zeit vergeht. Seit genau 10 Jahren sind wir in jedem Juni in Tully Cross. Die Tasche mit unserem Privatbesitz auf dem Dachboden wird von Jahr zu Jahr schwerer, und das Cottage bekommt im Juni einen immer eigenständigeren Charakter. Vor zwei Tagen kreuzte unangemeldet eine Dame von Board Fáilte auf, von wegen dem Gütesiegel für Renvyle Thatched Cottages. Natürlich, erzählt Anne, habe sie der Dame das unsrige präsentiert, dabei aber zugegeben, das ein Teil der Ausstattung Privatbesitz der derzeitigen Bewohner sei, die in jedem Jahr für drei Wochen kämen. “Für drei Wochen?” hätte ‘Ms. Fáilte’ mit Blick auf die Bibliothek neben dem Kamin gefragt. “Wohl eher für drei Monate oder ein Jahr!”

Wie dem auch sei, ob wir nicht Lust hätten, schon im Oktober wieder vorbeizuschauen? Anne sieht uns fragend an. “Außer der Reihe und kostenlos”, fährt sie fort, “für 10-jährige Treue!” Zwei Wochen nach unserem Belieben, nur das Holiday Weekend müsse ausgespart bleiben. Wir zögern und sie grinst:

“You will come back, I know!”

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Weitere Reiseberichte


Reiseberichte Irland: Connemara 2001
© 2002 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 12.10.2006