Irisches Tagebuch 1995

Von Dingle nach Connemara III

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Sonnabend, 17. Juni 1995

Wir verlassen unsere Twelve Bens und fahren in die Connemara Gaeltacht von Carna. Géill Slí, steht hier auf den Vorfahrtsschildern, und über den Läden wie weiland auf der Dingle-Halbinsel Siopa. Gisela wagt sich in einen Nicht-Selbstbedienungs-Laden um Kekse einzukaufen und erzählt hernach, das Unterfangen sei gar nicht so einfach gewesen: da man von dem Geplauder an der Theke nichts verstände, wüsste man gar nicht, wann man dran sei.

Pier at Kilkieran, © P. GuilfoyleEin kleiner Spaziergang über die Bogs und zum Atlantik hinunter, wo wir auf halbem Wege zum Auto eine Sandwichpause in der Pier-Bar von Kilkieran einlegen. Derweil wir noch mit den Sandwichs beschäftigt sind, kommen zwei Burschen mit Lautsprecher, Verstärker und Gitarre durch die Tür, blicken immer wieder ungeduldig zu uns herüber. Schließlich brechen wir auf und unsere Ecke wird sogleich von den beiden in Beschlag genommen. Lautsprecher und Verstärker werden aufgebaut, Strippen gezogen. Ob die hier schon am Nachmittag Musik machen?

Wir wandern weiter die Küste hoch und zum Auto zurück, das direkt vor einer üppigen Fuchsienhecke steht. Neidisch kann man werden, wenn man die Fuchsien hier sieht und mit denen vergleicht, die man daheim auf dem Balkon hat. Die Winter in Connemara müssen mild sein, auch wenn manchmal Schnee auf den Twelve Bens liegt. Wir steigen ins Auto und beschließen, noch einmal zur Pier-Bar zurückzufahren. Und tatsächlich, der Pub ist rappelvoll und es gibt Musik, all die Klassiker von Spencil Hill bis Nancy Spain. Dann bringt der Wirt ein Akkordeon herbei und ein Mann aus dem Publikum setzt sich damit zu den Musikanten, die nun mit Jigs und Reels fortfahren. So richtig unterscheiden können wir diese beiden Tänze immer noch nicht, zumindest nicht am Takt. Im direkten Vergleich scheinen die Reels die schnelleren zu sein. Wir lauschen noch eine Weile, trinken langsam unsere Pints aus und fahren ins Cottage zurück.

Am Abend genießen wir die Barfood im Renvyle Inn und plaudern ein wenig mit der Landlady. Jahrzehntelang hieß dieser Traditonspub Wallace’s, doch das war vor unserer Zeit. Vielleicht war er danach für eine Weile geschlossen, denn über dem Kamin hängt in Messing gerahmt eine Holz-Einlegearbeit der jetzigen Landlady mit einer Widmung an ihren Landlord anlässlich der Neueröffnung. Natürlich empfiehlt sie uns ihr im letzten Jahr eröffnetes Restaurant im Obergeschoss, doch wir verraten nicht, dass wir es saukalt, feucht und ungemütlich finden.

Gegen Mitternacht, auf dem Heimweg von Tully nach Tullycross, ein unheimliches Geklapper und Gerassel auf einem Feld hinter uns. Der Schrei eines Werwolfs hallt durch die Nacht. Mit der Taschenlampe tasten wir das Feld ab und machen in einem Gebüsch hinter einem Gatter die drei jugendlichen Werwölfe aus. Wir heulen zurück.

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Sonntag, 18. Juni 1995

Sonntag. Wir haben lange geschlafen und fürstlich gefrühstückt. Die Straße vor unserem Cottage ist voll von Kirchgängern und -fahrern, selbst die halbe Meile von Tully herunter kommt man mit dem Auto. Durchs Cottagefenster sehen wir zum ersten Mal Johnnie Coyne im Dorf, auf seinem Weg von der Kirche in den Pub, es sind nur hundert Meter. Mein Mädchen hat inzwischen herausgefunden, wo er wohnt: es ist ein Haus an der Straße nach Lettergesh, neben dem House With The Two Guitars, dem Haus mit den zwei Gitarren am Eingangstor. Etwas weiter die Lettergesh Road hoch gibt es noch das House With The Two Harps, ein Haus mit zwei Harfen. Vermutlich ein Ferienhaus, denn wir haben dort noch nie einen Menschen gesehen.

Nach dem Mittagessen machen wir einen Spaziergang übers Moor, unseren ‘Bogway’, wie wir immer sagen. Eine flache, hügelige Ebene, durch die sich der Dawros River in Richtung Atlantik schlängelt; quer dazu die schmale, kurvige Straße nach Letterfrack, berühmt für ihre Straßenlöcher, und im Osten die Berge der Twelve Bens. Viel hat sich in den letzten Jahren nicht geändert. Die Kühe haben immer noch ihren intelligenten Blick, scheinen sich über uns einsame Wanderer zu unterhalten: “Guck mal die beiden da, sind die nicht jeden Juni hier? Und sie hat immer noch dieselbe gelbe Jacke an; na ja, wenigstens kein Leder.” Das weiße Wollgras bewegt sich heftig im Wind und hoch über uns singt eine Lerche.

Wir wandern ins Cottage zurück, wo Gisela den Irish Independent von gestern ausgelesen hat, die Todesanzeigen inbegriffen. Mein Mädchen fährt mit ihrer Cousine zum Einkaufen nach Letterfrack, derweil ich bei Brian auf der anderen Straßenseite ein Bündel Briketts erstehe. Und während im Kamin das Torf-Brikett-Feuer qualmt und sich nicht entscheiden kann, ob es den Rauch durch den Schornstein oder die Tür nach draußen schicken soll, wird in der Küche gekocht: unsere berühmte Zwiebel-Grünkern-Käsesuppe, zu der Knoblauchbrot gereicht wird. Das Kochen & Schwelgen wird, wie zuvor auch das Wäscheaufhängen und Torffeueranzünden, fotografisch festgehalten: Leben in einem kleinen, strohgedeckten Cottage gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Dass das Cottage auch noch einen – wenngleich sehr vorsintflutlichen – Elektroherd, eine Waschmaschine und eine Ölheizung besitzt, sieht man auf dem Foto nicht.

 
Zwiebelsuppe mit Grünkern

Man nehme (für zwei Personen): 250 g Zwiebeln, 20 g Butter, 80 g Grünkern (über Nacht in einem Viertelliter Wasser einweichen), 1 Gemüsebrühwürfel, 120 g Roquefortkäse, 2 Esslöffel Crème frâiche, schwarzer Pfeffer, Schnittlauch.

Zwiebeln in feine Streifen schneiden und in einem Topf in der Butter unter ständigem Wenden hellgelb braten. 1 Pint Wasser und den Grünkern dazugeben, bei schwacher Hitze etwa 10 Minuten kochen. Den Brühwürfel dazugeben, die Suppe noch einmal 10 Minuten auf der ausgeschalten Kochstelle nachquellen lassen und derweil einen Whiskey trinken. Den Käse würfeln, hinzufügen und umrühren, bis er sich mehr oder weniger aufgelöst hat. Die Crème frâiche einrühren. Die Suppe mit dem Pfeffer aus der Mühle würzen und Schnittlauch darüber streuen.

Bain sult as – enjoy you meal!
 

Abends treffen wir Johnnie und Kieran in Barrys Hotelbar in Clifden, sie scheinen in großartiger Form zu sein. Four Green Fields und ähnliche Lieder, ohne dass es Probleme mit den Friedensgesprächen in Nordirland gibt. Dann spielt Kieran Boulavogue auf seiner Flöte, etwas holprig, den Text hat er nach eigenem Bekunden nicht im Kopf. Ich frage Johnnie, wann sie wieder nach Clifden kämen. Montag sei unsicher, meint er, und wird ernst. Am Nachmittag starb bei einem Autounfall bei Kylemore eine Frau, und ein Verwandter war an dem Unfall beteiligt. Wie dem auch sei, fährt er fort, am Donnerstag wären sie wohl wieder hier.

Nachts kann ich nicht schlafen, nicht nur wegen der Halsschmerzen und dem Schnupfen, den ich mir irgendwo geholt habe.

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Montag, 19. Juni 1995

Galway, und den ganzen Tag über Regen. “From morning to night”, wie ich Brian beim Zeitungsholen berichte – er hatte noch eine. Mein Mädchen macht ein gemütliches Torffeuer im Kamin, und dann gehen wir auf eine halbe Stunde über die Straße ins Angler’s Rest. Das war’s.

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Dienstag, 20. Juni 1995

Ein Wetterumschlag in der Nacht, und wir wachen bei strahlendem Sonnenschein auf. Via Clifden fahren wir nach Slyne Head, einer der vielen westlichsten Punkte Europas. Ab Clifden geht es über die R 341, die Brandy-and-Soda-Road, nach Ballyconneely. ‘Knappe vierzig Kilometer verschrammte Mondlandschaft’, schreibt Franz Rappel in seinem Reiseführer, und mir fällt kein besserer Ausdruck ein. Doch wer meint, der Name der Straße rühre von dort ansässigen Schwarzbrennern her, irrt; die würzige Luft, eine Mischung aus Moorgeruch und Atlantikbrise, soll ihr den Namen gegeben haben. An der Mannin Bay stößt sie auf den Atlantik. Hier gibt es mitunter Ärger mit den Fischfarmern, die bei Anglern, Ferienhausvermietern und Bed-and-Breakfast-Anbietern keinen guten Ruf haben.

Hinter der Post von Ballyconneely biegen wir rechts ab, auf eine Halbinsel, deren äußerster Zipfel das Kap von Slyne Head bildet. Vorbei an Bunowen Castle, dem Hauptwohnsitz der legendären Gráinne Ní Mháille, nachdem sie 1546 im Alter von sechzehn Jahren ihren Dónal aus dem Ó Flatharta Clan geheiratet hatte. Nach dem Tod ihres Mannes, ein Jagdunfall, bei dem ein Nachbarclan vom Loch Corrib ein wenig nachgeholfen hatte, kehrte sie vierzehn Jahr später mit drei Kindern nach Clare Island zurück.

Zum ersten Mal sehen wir die Burg bei Sonnenschein, näher heran kommt man allerdings nicht. Vor zwei Jahren fragten wir einen Traktorfahrer, ob es einen Zugang zur Ruine gäbe. Der riet uns dringend davon ab, das Grundstück ohne Erlaubnis des Besitzers zu betreten, der Burgherr sei kein sehr umgänglicher Mensch. Sein Geld scheint er in Private Property Schilder zu investieren, die er rund um sein Anwesen aufgebaut hat.

Geradeaus weiter führt die Straße zum Kai von Bunowen und endet dort; wir jedoch biegen ein zweites Mal rechts ab, auf einen Pfad, der vorbei an einem der vielen schönsten Golfplätze Irlands führt. Bald geht er in eine Schotterpiste über. Wir lassen den Wagen in einer Einbuchtung stehen und gehen zu Fuß weiter. Nicht weit von hier gibt es einen heiligen Brunnen, St. Caillin. Er ist nicht der einzige heilige Brunnen Connemaras, und auf ganz Irland bezogen dürfte ihre Anzahl unüberschaubar sein. Wir haben ihn schon früher besucht, allerdings nicht siebenmal barfüßig umschritten, wie dies heute noch bei den Ortsansässigen üblich ist. Am kleinen Anleger von Slyne Head, wo im letzten Herbst nach einem Bericht der Irish Times Rauschgiftschmuggler dingfest gemacht wurden, herrscht Ebbe. Ein Boot schaukelt im blaugrünen Wasser. Wir klettern den Hang hoch, beobachten und fotografieren auf der morastigen Wiese ein Kröte und schauen aufs Meer. Eine unserer Lieblingsbeschäftigungen. Hätten sich hier seinerzeit Whiskey- statt Rauschgiftschmuggler herumgetrieben, wäre uns dieser stille Flecken noch sympathischer.

Es ist Nachmittag und wir sitzen vor dem Cottage, auf dem Baumstumpf neben uns zwei Gläser Paddy. Unsere Vermieterin schaut vorbei, setzt sich zu uns, und wir erfahren ein wenig Klatsch und Tratsch aus dem Dorf. Dass das Paddy Coyne’s for the moment, das heißt seit dem letzten Juli, geschlossen hat, liegt vor allem am Finanzamt, das boshafterweise auf die Zahlung rückständiger Steuern besteht und vorab die Lizenz nicht erneuern will. Der Inhaber, ein Sohn des legendären Paddy Coyne, sei mit gerademal 37 Jahren für einen Pubkeeper noch reichlich jung und unerfahren, da sehe man ihm das nach. Dennoch, ein harter Schlag für das Dorf. Zwar gibt es zwanzig Schritte weiter das Angler’s Rest, doch der traditionelle Dorfpub ist – oder war – nun einmal Paddy Coyne’s. Und so hoffen alle auf eine baldige Wiedereröffnung. Ob das auch für den Wirt vom Angler’s Rest gilt?

Auch Curley, der Metzger, hat seinen Laden im letzten Herbst geschlossen, würde gerne an die Ostküste nach Wexford ziehen. IR£ 170.000 will er für das einigermaßen intakte Wohn- und Ladengebäude und das daran hängende, doppelt so große, jedoch mehr oder weniger baufällige Bruchsteingemäuer haben. Ein Preis der für nicht realisierbar gehalten wird. Bis alles in Schuss ist, müsste ein Käufer schon eine Viertelmillion investieren.

Wir drücken die Hoffnung aus, dass dieser das Ganze dann auch im alten Stil renovieren wird, eine rechtliche Handhabe gibt es da nicht. Auch das Angler’s Rest hatte bis vor sieben Jahren eine Bruchsteinfassade; weiß verputzt sieht der Pub zwar auch ganz nett aus, aber schade ist es dennoch.

Am Abend fahren wir wieder nach Clifden. Musik gibt es nur in Barrys Hotelbar, keine Bekannten von uns. Wir bleiben nicht bis zum Schluss und fahren kurz vor Mitternacht heim.

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Mittwoch, 21. Juni 1995

Wieder ein warmer Sommertag, und wir beschließen ein Stück am Killary entlang zu wandern. An seiner Mündung befindet sich neben der Fischfarm ein Hostel, in dem sich 1948 der Philosoph Wittgenstein ein paar Monate lang aufgehalten hatte.

Der Killary Harbour, irisch An Caoláire Rua, die schmale rote See, ist Irlands einziger Fjord. Warum ‘rot’, wissen wir nicht, vielleicht leuchten die Berge zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten so. Der Harbour ist, wie in einem Tourenführer durch West Connemara steht, ein 14 km langes, ‘vom Meer ertränktes Tal des Errif River’. Steil erhebt sich auf seiner Nordseite der Mweelrea Mountain, mit 800 Metern der höchste Berg Connaughs; an seinem für uns Flachlandtouristen unzugänglichem Ufer beginnt die Grafschaft Mayo. Im letzten Jahrhundert fuhr hier der berühmte Schmuggler George O’Malley beziehungsweise Seóirse Ó Máille allen britischen Aufpassern zum Trotz in der Tradition seiner berühmteren Vorfahrin Gráinne Ní Mháille übers Wasser:

Ach is mise Seóirse Ó Máille,
Fear maith de bhunadh Ghráinne,
Cuireadh i dtír mo lucht go sásta,
Agus ná raibh maith acú dhá chionn.

Aber ich bin Seóirse Ó Máille,
Ein braver Mann aus Ghráinnes Stamm,
Meine Ladung bring’ ich heil an Land,
Doch ihnen sei es nicht gedankt.

Schade, dass seine Memoiren bis heute unveröffentlicht sind. Die Kopie einer ungesicherten, vor Jahrzehnten erstellten Abschrift (7 Bände von jeweils mehr als 300 Seiten) liegt beim Oberhaupt des O’Malley Clans, Prof. T. S. Ó Máille vom University College, Galway.

Doch zurück zum Killary. An seinem Ostende erhebt sich hinter dem Dörfchen Leenaun ein Berg mit dem schönen Namen Des Teufels Mutter und auf seiner Südseite beginnen die Twelve Bens. Wir fahren über Lettergesh, vorbei an Lough Muck (dt.: Schweinesee) und Lough Fee, an dem in letzten Jahrhundert der junge Oscar Wilde seine Angel auswarf. Eine schmale Straße zweigt hier ab, führt nach links über den Berg am Kleinen Killary und dem alten Friedhof von Salrock vorbei direkt zu dem Hostel und der Fischfarm, doch von dort aus gibt es keinen Weg zum Fjord hinunter. So fahren wir weiter bis zur N 59 Richtung Leenaun und biegen nach ein paar hundert Metern noch vor der Tullyconor Brücke ein zweites Mal links auf einen Pfad ab, der zum Killary führt. An der Einbuchtung vor einem Haus lassen wir das Auto stehen und gehen zu Fuß weiter. Bald stößt der Pfad auf den Fjord und läuft ein Stück oberhalb des Ufers parallel zu ihm dem Meer entgegen.

In den letzten Tagen hat es viel geregnet, und hinter einem Wasserfall, der von links den Berg herunterkommt, wird der Weg arg matschig. Gisela bleibt zurück, und wir steigen ein Stück den grünen Hang hinauf, bis wir einen idealen Sitzstein finden. Ein segelloses Segelschiff gleitet in Richtung Harbourmündung, wahrscheinlich mit Hilfsmotor, doch den hört man hier oben nicht. Seltsam, dass manche Besucher in zwei Wochen ganz Irland bereisen können. Nach der einen Woche auf der Dingle-Halbinsel verfliegen unsere zwei Wochen hier so schrecklich schnell.

Die Sonne hat sich ein wenig zurückgezogen und ein weiches Licht liegt über dem Harbour, das die harten Schatten mildert. Wegen der hohen Berge an seinen Ufern liegt der Killary nie im vollen Sonnenschein. Ich mache ein Foto von meinem Mädchen, Gráinne gen Westen zur Mündung blickend, wo ein Schiff mit ihren Mannen wartet, sie zur heimatlichen Burg auf Clare Island zurückzubringen. Um 1560 könnte das gewesen sein.

Später machen wir noch eine Stippvisite an den Renvyle Beach, gar nicht so weit von der Ruine des alten Kastells, das gleichfalls mit Gráinne Ní Mháille in Verbindung gebracht wird – ein Schuss aus der Kanone ihres Schiffes soll diesen Bau aus dem 14. Jahrhundert zu einer solchen gemacht haben. Zum Baden ist es zu kalt, doch mein Mädchen freundet sich mit einer etwa zweijährigen irischen Miss an und die beiden üben sich im Formations-Wassertreten.

Am Abend gibt es wieder Musik im Renvyle Inn; anschließend verabschieden wir uns von den Musikanten für den Fall, dass man sich in diesem Jahr nicht wiedersieht. Ob denn unsere drei Wochen schon vorbei seien – doch diesmal waren es ja nur zwei auf Renvyle. Vor zwei oder drei Jahren hatte ich das Lied vom Spencil Hill umgedichtet und daraus den Renvyle Inn Song gemacht:

The Renvyle Inn Song:

Last night as I lay dreaming of pleasant days gone by,
Me mind bein’ bent on rambling, to Ireland I did fly,
I stepped a-board a vision and followed very keen,
Till next I came to anchor in the bar called Renvyle Inn.

T’was in the second week of June when first I entered there,
Where Renvyle’s sons an daughters and friends assembled there,
The young the old, the brave and the bold they came to drink and sing,
There were happy conversations in the bar called Renvyle Inn.

At ten o’clock, the night began, musicians came along
And Kevin on his keyboard played and Frank he sang a song,
If Róisín Dubh or Spencil Hill, I saw it in my dream,
The people were delighted in the bar called Renvyle Inn.

In all the lands where I have been, throughout the East and West,
The atmosphere in Renvyle’s bars is just the very best,
When I awoke I told my love it shall not stay a dream,
Another year will come and we’ll return to the Renvyle Inn.

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Donnerstag, 22. Juni 1995

Es ist noch wärmer als gestern. Wärmer, so lesen wir im Irish Independent, als in Honolulu oder auf den Bermudas. Nach dem Frühstück, das heißt, am frühen Mittag, fahren wir zum Glassilaun Strand, wo sich mein Mädchen ins Wasser wagt, während ich in diesem Heft notiere, was sich gestern zugetragen hat.

Am Nachmittag fahren wir die Renvyle Halbinsel hoch, vorbei an Charlie O’Malleys Haus, und lassen das Auto am alten Renvyle Castle stehen. Wir hören ein klägliches Blöken und befreien mit viel Mühe ein Schaf, das sich in einem Maschendrahtzaun verfangen hat. Ganz erschöpft und schwer atmend liegt das arme Schäfchen seitlich im Gras, bis es nach längerer Zeit den Kopf hebt und um sich schaut. Wir gehen weiter, und als wir auf dem Rückweg wieder vorbeikommen, ist es verschwunden. Hoffentlich ist es demnächst vorsichtiger.

Ohne ein besonderes Ziel vor Augen schlendern wir in der Nachmittagssonne über die nördliche Halbinsel, schauen uns hin und wieder ein Cottage an, kaufen es in Gedanken und diskutieren die Renovierung und Neueinrichtung. Natürlich alles Tagträume. Den Rundweg, den wir uns auf der Karte ausgesucht haben, scheint es nicht zu geben, und so wandern wir zum Auto zurück. Das steht auf einem grasbewachsenen Felssockel am Meer, der zum Platznehmen und weiteren Träumen einläd.

Am Abend, diesmal in der Bar des Central Hotels in Clifden, treffen wir wieder Johnnie und Kieran. Johnnie berichtet, sie seien erst um fünf in der Früh ins Bett gekommen; nachdem das Renvyle Inn gestern Nacht dicht gemacht hatte, wurde im Haus seiner Schwester weitermusiziert. Und nun sitzt er mit seinen 75 Jahren wieder in einer Hotelbar und verdient sich ein paar irische Pfund. Um Mitternacht wird Amhrán na bhFíann, die Nationalhymne gespielt, und dann verabschieden wir uns endgültig für dieses Jahr von unseren Freunden. Johnnie küsst mein Mädchen und Gisela good-bye; als Ire, der zur Zeit des Unabhängigkeitskriegs geboren wurde, darf er das. Und die beiden Mädchen sind comh bródúil le cat dhá-eireaball, stolz wie eine Katze mit zwei Schwänzen.

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Freitag, 23. Juni 1995

Durch den großen Wald nach Kylemore Abbey. Es dürfte schwer sein einen Reiseführer zu finden, in dem dieses nur 125 Jahre alte Märchenschloss nicht abgebildet ist. Kylemore, irisch Coill Mhór, heißt großer Wald, und so alt wie das Schloss ist auch der Wald.

Die Geschichte von Kylemore Abbey, die auch eine Liebesgeschichte ist, kann man überall nachlesen. Hier eine Zusammenfassung in Kürze. Ein Märchenschloss im Tudorstil, erbaut vom Kaufmann Mitchell Henry für seine Frau, die jedoch 1875 während einer Ägyptenreise im Alter von erst 47 Jahren starb. Das Schloss war da gerade mal vier Jahre alt. Die kleine Kapelle, die er für seine Frau hat errichten lassen, wurde erst kürzlich wiederhergestellt und von der irischen Staatspräsidentin Mary Robinson erneut ihrer Bestimmung übergeben. Neben Andachten finden hier nun auch Konzerte statt. Mitchell Henry überlebte seine Frau um fast vierzig Jahre und liegt nun zusammen mit ihr in einem Mausoleum etwas östlich der Kapelle begraben. Auf der Tafel an diesem Mausoleum finden wir einen weiteren Namen, auch ein Henry, erst 1982 gestorben. Ein Urenkel?

Im Gegensatz zu so manchem Landlord seiner Zeit genoss Mitchell Henry hohes Ansehen in der ländlichen Bevölkerung. So berichtet der heute fast fünfundsiebzigjährige Johnnie Coyne aus Mullaghgloss:

“... Mitchell Henry war damals der Landlord auf Schloss Kylemore und gab einer stattlichen Anzahl von Männern Arbeit. Kylemore Abbey, nennt man es heute, und die Benediktinernonnen geben immer noch vielen Frauen einen guten Job. Die Rollen haben sich getauscht: erst die Männer, nun die Frauen.”

Ich überschlage die weitere Geschichte von Kylemore Abbey, heute ist das Schloss ein von Benediktinerinnen geführtes Mädcheninternat. Die Nonnen erwarben es 1920 vom Herzog von Manchester und erwiesen sich als geschäftstüchtig. Ein riesiger Parkplatz, ein großes Selbstbedienungsrestaurant zur Abspeisung der vielen Coach-Tours, die hier täglich vorfahren, und einer der besten Craftshops der Gegend. In diesem Sommer wurde eine neue Einnahmequelle aufgetan: Hat man bei den frommen Damen gespeist, in ihrem Craftshop seine Schecks gelassen und will nun etwas näher an das Schloss heran, wird eine Eintrittsgebühr kassiert.

Doch nicht von uns, denn wir kommen nicht per Coach-Tour sondern per pedes durch den großen Wald jenseits des Kassierhäuschens. Die Anreise: In Tullycross fährt man links an der Kirche vorbei, über die schmale, holprige Berg-und-Tal-Piste, die wir ‘die Straße, an der Kieran nicht wohnt’, nennen. Zwei Jahre lang glaubten wir, er habe dort sein Cottage, bis wir unseren Irrtum einsahen. Man fährt diese Straße, bis sie fast die N 59 erreicht. Dort parkt man im Schatten großer Bäume und Sträucher sein Auto und geht nach links durch das rostige, kleine Tor.

Unter dem Dach großer, mehr als hundert Jahre alter Bäume führt der schattige Weg entlang eines Flüsschens direkt auf das Areal von Kylemore Abbey. Ein Weg, den niemand außer uns zu kennen scheint und der zum Meditieren einlädt. Rechts von uns rauscht hinter den Bäumen der Fluss und durchquert einen kleinen See, grün leuchtend das Gras an seinen Ufern. Vor einem Felsen mit einer Marienstatue sitzt auf einem Baumstumpf eine Nonne, nickt uns freundlich zu, scheint nicht böse zu sein, dass wir ohne zu zahlen in ihr Reich eingedrungen sind. Ob auch sie meditiert, wissen wir nicht, wenn, dann über eine Zeitungsseite, die auf ihrem Schoß liegt.

Und so gelangen wir jenseits von Parkplatz, Craftshop und Menschenmassen zu Mitchell Henrys Liebeserklärung an seine Frau, statten der Kapelle einen kleinen Besuch ab und dann den beiden in ihrem Mausoleum. ‘Mögest du längst im Himmel sein, wenn der Teufel merkt, dass du fort bist’, lautet ein irischer Segenswunsch. Sie werden’s wohl hingekriegt haben.

Am Nachmittag sitzen wir wieder vor unserem Cottage. Anne Jack schaut vorbei, liest schon einmal den Strom und Ölverbrauch ab; beides ist im Mietpreis nicht inbegriffen. Sie selbst stamme aus Renvyle, erzählt sie, doch ihr Mann Jackie sei ein gebürtiger Schotte und werde im Dorf ewig der Schotte bleiben. Die Iren und die echten Schotten, die also, die sich auf Bonnie Prince Charlie berufen und für die Union mit England nicht viel übrig haben, verstehen sich ganz gut – in Clifden lernten wir einen kennen, der abends im Kilt im Pub auftauchte und mit den Musikern gegen England ansingen wollte. Andererseits sind es oft eingewanderte Schotten, die in Nordirland ihren Wilhelm von Oranien feiern und von der Union mit England nicht lassen können. Doch das ist eine andere Geschichte.

Wir packen schon einmal unseren Kram und gehen dann über die Straße ins Angler’s Rest, um den aufkommenden Abreisekummer ein wenig zu ertränken.

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Sonnabend, 24. Juni 1995

Über einen Abreisetag zu berichten macht nicht den allermeisten Spaß. Anne Jack kann’s auch nicht fassen, sagt sie, doch es waren diesmal auch nur zwei Wochen. Wir verabreden, dass sie das Cottage für den nächsten Juni freihalten wird; um Weihnachten herum werden wir uns melden und den Termin genauer absprechen.

Vor sechs Jahren hatten lokale Musiker im Tonstudio zu Letterfrack eine Tonbandkassette aufgenommen, die man mitunter auch heute noch in den Craftshops findet: The Home I Left Behind. Und genauso fühlen wir uns, wie wir nun an der Kirche vorbei Richtung Letterfrack fahren.

Renvyle Thatches Cottages

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Reiseberichte Irland: Connemara, Galway und Mayo 1995
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 28.04.2006