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ir packen unsere Siebensachen, doch es geht nicht zurück nach Deutschland, sondern zu ‘unserem’ strohgedeckten Cottage im Nordwesten Connemaras. In Tralee verlassen wir die Dingle-
Die Fähre legt ab. Der Himmel ist grau, das Wasser nicht weniger, und man schmeckt das Salz des nahen Meeres. Im Südwesten erkennt man den Knockamore Mountain, auf dem Paddy Bawn, The Quiet Man, sein Cottage hatte. Das Buch ist überall erhältlich, über die Verfilmung der Geschichte mit John Wayne sollte man den Schleier des Vergessens legen:
Der Stille Mann, er setzte sich
Und sprach still vor sich hin:
“Hier will ich bleiben, schau’n aufs Meer,
Bis ich gestorben bin.
Des Shannons Mund, des Meeres Blau
Sind herrlich anzuseh’n,
Der Mund der Frau, ihre Augen blau –
– soll’n doch zur Hölle geh’n.”
Doch Paddy Bawn revidierte eines Tages seine Meinung.
Wir sind im County Clare, fahren die Küste zu den Cliffs of Moher hoch. Viermal waren wir bisher in Irland, dreimal davon im Westen, doch bisher haben wir sie stets links liegen gelassen, diese zweihundert Meter hohen Steilklippen, die senkrecht wie eine Wand aus dem Meer ragen. In einem Besucherzentrum kann man die Dias kaufen, die sie bei sonnigem Wetter zeigen. Ein Weg führt zu einem Aussichtsturm aus dem Jahre 1835, an schönen Tagen soll man von hier aus die gesamte Westküste von Kerry bis Connemara überblicken können. Der befestigte Pfad dorthin läuft recht nahe am Klippenrand entlang, doch einigen Touristen reicht das noch nicht und sie klettern trotz des starken Windes über das Absperrmauerchen. Wie viele pro Jahr wohl hinuntergeblasen werden? Doch für Nachschub ist gesorgt.
Uns jedoch drängt es in unser Cottage zu kommen, und der Weg dorthin ist noch weit. Der nächste Ort ist Lisdoonvarna, Irlands einziges Heilbad und bekannt für seinen Heiratsmarkt. Da dieser erst im September stattfindet, besteht Gisela nicht auf einen Zwischenstopp. Zwar brauchen wir noch ein paar Lebensmittel, doch die gibt es auch in Galway ...
... wo es allerdings etwas nervig ist, im Kreisverkehr vor der Stadt einen Supermarkt zu finden, der den Ansprüchen meines Mädchens und ihrer Cousine genügt. Mit 31 irischen Pfund unterstützen sie die irische Nahrungsmittelbranche, das sollte für’s erste Wochenende reichen.
Jenseits von Oughterard fängt unser Connemara an, weite Moore, auf denen Torf gestochen wird, und dahinter im Abendlicht die Twelve Bens. Hinter Recess biegen wir von der Hauptstraße ab, fahren durchs abendliche Inagh Valley. Kylemore Abbey döst schon vor sich hin, morgen früh werden hier wieder die Coach Tours anrücken. Noch ein kurzer Zwischenstop bei Veldon’s in Letterfrack, um die vergessene Flasche Paddy, eine Packung Panda-
Gegen acht Uhr Abends sind wir in Tullycross. Ich klopfe an Anne Jacks Tür, doch ihr Mann Jackie öffnet. Anne hätte einen harten Tag gehabt, und der Schlüssel würde an der Cottagetür stecken – wie in jedem Jahr.
Im Cottage brennt Licht und eingeheizt ist auch schon. Blumen stehen auf dem Tisch. Wir sind zu Hause.
* * *
Zwei Stunden später sind wir wieder in Molly’s Bar in Letterfrack. Anders als in An Daingean, ist der Pub kurz vor Zehn noch fast menschenleer, doch Frank baut gerade sein Mikrofon auf. Kevin, sein ältester Sohn, hat sich im letzten Winter einen Bart wachsen lassen; gut steht er ihm, richtig erwachsen geworden ist der Junge.
Vor einem Jahr hatten wir hier mit einem fünfundzwanzig Jahre alten Uher-
Allmählich füllt sich der Pub. Die Musik von Frank & Kevin ist seit dem letzten Jahr lauter und poppiger geworden, da schlägt wohl Franks Altrocker-
in ruhiger Sonntag. Der Tag zeigt sich grau und verhangen, und so wird nach einem exzellenten Frühstück die Wäsche der vergangenen Woche gewaschen. Ein willkommener Anlass für mein Mädchen nach Brian hinüberzulaufen – um das benötigte Waschpulver einzukaufen und zu erkunden, was man sonst noch gebrauchen könnte.
Ein wenig später klopft Anne Jack an die Tür und wir werden unser Präsent, Schwiegervaters Home-
Lg. = Lettergesh/Leenaun, K. = Kylemore, Lf. = Letterfrack
Tully ist das zweite Dorf auf der Renvyle-
Wir wandern die Straße hoch und den Pfad zum Renvyle Beach hinunter. Inzwischen hat die Sonne spitzgekriegt, dass ich meinen Fotorucksack im Cottage gelassen habe; sie schiebt zwei Wolken beiseite und wir haben das schönste Licht, das man sich denken kann. Ein typisches Verhalten für die irische Sonne: lässt man seine Fotoausrüstung zu Hause, so kann man sich der schönsten Lichtstimmung gewiss sein. Wir setzen uns auf einen Felsblock und blicken über das Wasser: rechts von uns grün aufleuchtend und wie von Moos bedeckt die Twelve Bens, vor uns, auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht, der Killary Harbour, links von ihm die einsamen Berge Mayos, und weiter hinten im Norden der heilige Berg Irlands, der Croagh Patrick.
Es wird Nachmittag. Ich sitze vor dem Cottage und lese ‘The Children of Dunseverick’, ein Buch über eine Kindheit in einem kleinen nordirischen Dorf mit Blick auf Rathlin Island. Neben mir sonnt sich auf einem Baumstumpf eine braune Katze und zeigt sich völlig unbeeindruckt von einem vorbeistrolchenden Hund. In regelmäßigen Abständen flitzt eine schwarze Expresskatze vorbei. Uns gegenüber, an der altertümlichen Zapfsäule vor Brians Laden, tankt gerade Charlie sein Auto auf, unverkennbar an dem zu einer Antenne umfunktionierten Kleiderbügel. Zwischendurch hält er inne und schüttelt den Wagen, ehe er den Zapfhahn wieder in den Tankstutzen hält.
Auch dieses Tullycross ist ein Straßendorf, das erste von zweien auf der Renvyle-
Seit dem frühen Morgen hängt über dem Eingang vom Angler’s Rest das Schild ‘Music Tonight’. Eine ‘21st Birthday Celebration’ findet heute Abend hier statt, und solche Geburtstagsfeiern sind grundsätzlich öffentlich. Für die Musik sorgen Frank & Kevin. Wir sitzen zunächst an der Bar und haben alles gut in Blick. Hatten, muss man bald sagen, denn es dauert nicht lange und wir sehen wir rein gar nichts mehr – abgesehen von einem Arm, der sich dann und wann zwischen uns schiebt um nach einem Pint Guinness auf der Theke zu greifen oder uns einen Teller mit Sandwichs und Geburtstagskuchen entgegenzuhalten. Gisela ist im Gedränge verlorengegangen, doch der Teller mit Schnittchen wird auch an ihr nicht vorübergehen. Um Mitternacht beginnen einige Gäste die Luftschlangen an den Ballons unter der Decke anzuzünden. Wo hier wohl der nächste Ausgang ist?
Der Lärm hat seinen Höhepunkt erreicht, weder versteht man weder sein eigenes Wort noch das seiner Liebsten. Doch der Geräuschpegel nimmt schlagartig ab, als Frank gegen halb eins ein letztes Mal zur Gitarre greift:
Sinne Fianna Fáil, atá faoi gheall ag Éirinn ...
“Le gean ar Ghaeil chun gáis nó saoil, ...”, fällt der Chor am Schluss ein und das Fest ist vorbei.
ir schlafen lange. Erst ab etwa 10 Uhr ist bei Brian Coyne der Irish Independent erhältlich, die auf dem Land am meisten verbreitete Tageszeitung. Nur im Independent findet man eine Liste aller Todesfälle des Vortags, und die studiert man, bevor man sich an sein Tagwerk macht.
Nach einem ausgiebigem Frühstück aus einer zum Cottage-
Abends sind wir in Clifden, der Hauptstadt Connemaras. An Clochán oder Clifden, von John d’Arcy um 1812 herum am Reißbrett entworfen, ist eine der letzten in Irland erbauten Städte. Hier in deutscher Übersetzung ein paar Zeilen aus einem Artikel von Michael Gibbons:
“... D’Arceys Vision war ein blühendes Geschäftszentrum in einer ressourcenreichen, wenngleich von Armut gebeutelten Gegend. Er hoffte, die Stadt würde den Lebensstandard der gesamten Region heben, nicht zuletzt durch die Ausbeutung der reichen Fischgründe, die Wollverarbeitung und den Marmorabbau. Ihre hervorragende Lage mit Blick über den Atlantik, ein leichter Zugang zu einem geschützten Hafen, die Wasserkraft des Owenglen-
Soweit Michael Gibbons. Oder, um mit Franz Rappel zu sprechen: “... ein paar schläfrige Straßenzeilen an den Ausläufern der wuchtigen Berge, nur ein paar Schritte runter zu Küste und alles zusammen irgendwie herrlich provinziell.” Wir schließen uns dieser Meinung an, mehr dazu demnächst.
Zu Abend essen wir bei d’Arcy’s an der Main Street. Ob der Herr des Hauses, ein bärtiger sympathischer Mann, mit dem Stadtgründer von Anno dazumal verwandt ist, wissen wir nicht, doch gekocht wird in seinem Restaurant ganz hervorragend. Nach dem Essen ein Spaziergang um den Block, und am Ausgangspunkt wieder angekommen hält vor Barrys Hotelbar gegenüber von d’Arcy’s Restaurant ein grüner Flivver und Johnnie und Kieran steigen aus und schaffen ihre Musikausrüstung durch die Tür.
Nach einer Anstandsfrist folgen wir. Kieran baut in der Ecke am Fenster seine Lautsprecher auf, derweil Johnnie, Fiddlespieler und mit 75 Jahren der Senior der Coynes von Mullaghgloss, einsam vor seinem Pint Guinness an der Bar sitzt. Erst im letzten Jahr haben wir ihn kennen gelernt; kaum zu erwarten, dass er sich an uns erinnert. Ich bestelle zwei Paddys ohne Eis. Er grinst. Vorhin hätte jemand einen hard whiskey (???) mit Eis bestellt, meint er und schüttelt missbilligend den Kopf. Ich weiß zwar nicht, was ein ‘hard whiskey’ (falls ich richtig gehört habe) ist und wo da der Witz liegt, antworte jedoch mit “there are funny things in the world”, worauf er mir lachend Recht gibt. Ob wir Musik mögen, möchte er wissen. Das ist das Stichwort. Gestern hätte wir im Angler’s Rest Frank & Kevin getroffen, setze ich an. Der Groschen fällt: “O, you’re the German with the tape”.
Bevor es weitergeht, hier die Verwandtschaftsverhältnisse: Johnnie Coyne, geboren 1920, zwölf Kinder, lebt in Mullaghgloss auf Renvyle. Frank ist Johnnies Sohn, Kevin sein Enkel, und Kieran, der in Kürze mit seiner Stimme und Gitarre in Aktion treten wird, sein Ältester. Wer ihn kennt, kennt auch sein: “Guinness is good for you, the more you drink, the more we earn.” Stimmt aber nicht, verrät uns Johnnie, sie bekämen immer das Gleiche.
Doch zunächst einmal kommt Kieran an die Bar und man wird vorgestellt: “The man who made the tape”. Kieran nickt grinsend. Diese Tonbandkassette aus Molly’s Bar muss ein Weltereignis gewesen sein. Doch Kierans Musik sei ‘more traditional’, meint Johnnie. “Much more”, fügt Kieran hinzu. Das ist sie tatsächlich, wie sich bald zeigt. Nur Boulavogue und Four Green Fields mag Kieran in diesem Jahr nicht singen, er wolle den Peace Process (in Nordirland laufen gerade Friedensgespräche) nicht stören. Johnnie lacht sich halb tot und rät Frank zu fragen, der hätte keine Skrupel. Zwei englische Gäste amüsieren sich gleichfalls köstlich.
Soviel für diesen Abend. Keine Nationalhymne heute Nacht, ihr Text passt wohl auch nicht zu Friedensgesprächen. Und die Geschichte von Johnnies heimlichem Rauchen im Flur, derweil er um eine Ecke grinsend zu uns herübergestikuliert, wird unser Geheimnis bleiben. Sein Ältester mag das nicht.
enn man es über die Jahre aufaddiert, waren wir inzwischen neun Wochen in Connemara – und haben immer noch nicht Pearse’s Cottage besucht. Patrick Pearse, ein frommer Dubliner Schullehrer mit Märtyrerambitionen, war derjenige, der am Ostermontag 1916 vor dem General Post Office die Irische Republik ausrief. Was er dann allerdings nur um eine Woche überlebte, denn den Briten gefiel dies ganz und gar nicht.
Nun, Pearse war nicht nur um die irische Unabhängigkeit bemüht, sondern ebenso um die irische Sprache. Er schrieb Gedichte und ein paar Erzählungen und gab den Stadtstudenten, die in den Sommermonaten nach Connemara kamen, in seinem Cottage Irischunterricht. Ob er damit der Begründer der irischen Sommerschulen ist, weiß ich nicht, doch es gibt sie bis heute.
Pearse’s Cottage, links ein altes Foto aus einem Informationsblatt, liegt im Herzen der Connemara Gaeltacht, etwa 50 km südlich von Clifden auf dem Gemeindegebiet von Rosmuck. Eine traumhaft schöne Lage an einem Hang oberhalb des Sees von Turlough. Im Unabhängigkeitskrieg von 1921 wurde das Interieur bei einer Vergeltungsaktion der Black-
Bei hochsommerlichen Temperaturen machen wir anschließend einen Spaziergang durch Pearses Connemara, den mein Mädchen auf der Karte ausgeguckt hat. Ein Connemara, das auch uns gefällt, denn von Südconnemara waren wir bisher nicht allzu begeistert. Wir sind nun mal im wilden Nordwesten zu Hause, ‘Beyond the Twelve Bens’, wie es in einem Buch heißt.
Zwischendurch rasten wir auf einem Stein und schauen uns die Gegend an, derweil ich in meinem neuen Buch blättere. So ganz mein Fall sind Pearses Geschichten nicht. Die erste Erzählung wird dem Leser vom Herausgeber besonders anempfohlen: In einem irischen Dorf taucht ein unbekannter kleiner Junge namens Klein Jesus auf und rettet noch rasch vor dessen Tod die Seele eines alten Mannes, der eigentlich nichts verbrochen hat. Hmm! Dann die Geschichte eines Mädchens, das rollengemäß das Haus hüten soll, derweil Papa und Bruder auf einer Festivität sind, dies nicht einsieht, ausbüchst, zur Strafe dafür beim Passieren des Friedhof von den Geistern der Verstorbenen heimgesucht wird und nur knapp mit dem Leben davonkommt. Einzig die letzte Geschichte, An Bhean Chaointe, Die klagende Frau, würde sich vielleicht zu übersetzen lohnen.
Heute Abend hatten wir es eigentlich auf Veldons Barfood in Letterfrack abgesehen, doch dort ist es rappelvoll – eine Beerdigung. Da Letterfrack aus drei Pubs an einer Kreuzung besteht, wandern wir quer über diese Kreuzung und kehren im Bard’s Den ein, wo das Essen an der Bar nicht so gut sein soll ist, sich aber alles in Allem als genießbar herausstellt. Der dritte Pub, Molly’s Bar, fühlt sich nur für Getränke zuständig.
Zwei Stunden später inspizieren wir ohne Gisela das Renvyle Inn in Tully. Das Klavier der letzten Jahre ist verschwunden und die Ecke am Fenster neu möbliert. Doch was das Wichtigste ist: es gibt abends wieder Barfood in der Bar. Als im letzten Jahr das Hostel im ersten Stock aufgelöst und in ein Restaurant konvertiert wurde, wurde man bei abendlichem Hunger stets nach oben ins feuchtkalte Restaurant verwiesen.
Während ich an der Bar auf unsere zwei Pints Guinness warte, frage ich, ob Liam immer noch dann und wann Musik macht. Liam, der kleine Bruder der Landlady, spielt Gitarre und kann ganz passabel singen. Doch inzwischen, erfahren wir, macht er eine Lehre im Renvyle House Hotel und hat nur selten Zeit. So verziehen wir uns mit unseren Pints und der Glór Chonamara, einem kostenlosen Anzeigen- und Veranstaltungsblättchen, in eine Ecke und lesen, was es Wichtiges zu berichten gibt. Und als die Pints ausgetrunken und die Stimme Connemaras ausgelesen ist, wandern wir heim.
om kleinen Fischerdorf Cleggan aus wollen wir nach Inishbofin fahren. Wie nahe doch manche Begriffe beieinander liegen: Inis Bó Finne, der irische Name der Insel, bedeutet auf Deutsch ‘Insel der weißen Kuh’; hieße sie Inis Bó Finné, wäre es die Insel der weisen Kuh. Vielleicht ist im Laufe der Jahrhunderte der Akzent über dem ‘e’ verlorengegangen, denn die Kühe haben hier mitunter einen sehr weisen Gesichtsausdruck.
Es gibt zwei Pubs in Cleggan; Oliver Coyne’s ist der traditionelle Dorfpub, und der Laden, in dem es die Tickets für das Postboot gibt, hat vermutlich den gleichen Besitzer. Als wir aus der Tür kommen, begegnet uns Paddy O’Halloran, der Skipper: “A good ticket”, meint er mit einem Blick auf unseren Wisch. Es handelt sich um sein Schiff, denn der Postbootverkehr zwischen Inishbofin und Cleggan wird schon seit Generationen von dem auf der Insel ansässigen Clan der O’Hallorans besorgt.
Um 11.30 sollte das Postboot ablegen, und bereits eine Viertelstunde früher verlässt das Konkurrenzboot, die Queen, den Anleger. Doch anstatt dass wir nun auf unsere Dun Aengus dürfen, taucht völlig überraschend ein staatlicher Inspektor auf, um ihre Sicherheit in Augenschein zu nehmen. Noch kurz zuvor sprang der Schiffsjunge mit einem funkelnagelneuen Feuerlöscher an Bord, brachte ihn an, versuchte eine Signallampe an einem Rettungsring zu reparieren – und ließ die Batterie ins Wasser fallen.
Wir fragen den sich nicht aus der Ruhe bringen lassenden Skipper (rechts auf dem Foto), wie lange die Inspektion wohl dauern mag. “Probably an hour, wahrscheinlich eine Stunde”, meint er. Doch da täuscht er sich, denn der Inspektor, inzwischen im Blaumann, ist gründlich. Was er im Schiffsbauch treibt (viel Geklopfe und Gehämmer), sehen wir nicht, doch an Deck wird der Sitz eines jeden Rettungsrings geprüft, die Lösbarkeit der Rettungsinsel, die Handankerwinde, das Notruder am Heck – und die Funktion der Signallampen an den Rettungsringen. Als er eine Fassung aufschraubt und keine Batterie vorfindet, holt er den Skipper. Der ist verdutzt und holt den Schiffsjungen. Der ist noch verdutzter, kann sich die Sache nicht erklären und wird losgeschickt, Ersatz zu besorgen.
Allmählich werden wir ungeduldig, denn jetzt pumpt man Wasser ins Schiff und testet, ob es die Motorpumpe wieder herausbefördert. Sie tut es, doch damit nicht genug: der Schiffsjunge, mit einer neuen Batterie zurück, darf seine Fähigkeiten an der Handpumpe unter Beweis stellen. Als dann nach zweieinhalbstündigem Warten noch eine Probefahrt anberaumt wird, geben wir genervt auf und unsere Tickets zurück. Sorry, Skipper, too late for a day trip to Inishbofin.
Daheim auf Renvyle machen wir bei strahlendem Sonnenschein eine Wanderung Richtung Lettergesh, biegen links zum Meer ab und kommen einen Zirkel schlagend am Friedhof von Mullaghgloss auf die Straße zurück. Vorbei an drei uralten, silbergrauen Bäumen, die nur noch hoch oben in ihrer gemeinsamen Krone etwas Leben zeigen. Dahinter grün leuchtende Wiesen mit weisen [sic!] Kühen, ein zerfallenes Cottage, und ganz weit hinten das ‘Graue Haus am Meer’. So nennen wir es immer, vielleicht ein wenig von Storm beeinflusst, auch wenn die Landschaft nichts Nordfriesisches hat. Der Ärger der Liebsten über den ausgefallenen Inselausflug ist besänftigt; letztlich ist es auch beruhigend, wenn Inselfähren unangemeldet und gründlicher als andere Dinge in Irland kontrolliert werden.
* * *
Ein Zettel an der Tür des Renvyle Inn verspricht Music by Frank & Kevin. Ein alter Ire schiebt sich an der Bar zwischen uns und erzählt, dass er Deutsche mag. Er spricht sehr leise und heiser, für uns kaum verständlich. Wir bekommen jedoch mit, dass sein Vater noch gegen die Black-
Der Pub ist gut besucht aber nicht überfüllt, als Frank mit ein paar patriotischen Liedern beginnt, die sich Malcolm, der alte Ire, gewünscht hat. Dann kreuzt unerwartet Kieran auf, ein wenig später Johnnie, und schließlich seine Akkordeonkiste absetzend Charlie O’Malley. Ein Pint an der Bar, dann packen Johnnie seine Fiddle, Kieran seine Gitarre und Charlie seine Squeeze-
Sin a bhfuil – Das war’s.
in neuer Anlauf nach Inishbofin, und nachdem wir Gisela von der großen Schiffsinspektion des Vortags erzählt haben, kommt auch sie mit. Diesmal ist es Paddy O’Hallorans Postschiff, das pünktlich in Cleggan ablegt; von der Queen ist weit und breit nichts zu sehen. Dafür kommt der Inspektor vom Vortag aufs Schiff – als zahlender Passagier. Darum also war er gestern so gründlich, und nun sucht er wohl die Queen.
Nach einer knappen Stunde laufen wir den Hafen von Inishbofin an. Zur Zeit der ersten Elisabeth wurde die Insel von einem Piraten namens Bosco und seiner Verbündeten Gráinne Ní Mháille (engl.: Grace O’Malley) zu einer Festung ausgebaut. Gráinne wurde um 1530 im Co Mayo geboren; ihr Vater war Häuptling des Landes rund um die Clew-
Vor drei Jahren waren wir schon einmal hier. Oberhalb der Pier gibt es einen Pub, einen Supermarkt und ein kleines Hotel. Wir passieren es, halten uns rechts und wandern über den Berg auf die andere Seite der Insel. Vorbei an einem alten Friedhof, auf dem im 7. Jahrhundert ein Kloster stand; die Reste der Kapelle sind noch erkennbar. Wie die meisten Friedhöfe im Westen Irlands, ladet auch dieser zum Verweilen ein. Nicht so gepflegt wie deutsche, überlässt man sie irgendwann sich selbst. Manche nicht mehr benutzte sind kaum noch zu erkennen: ein paar halb versunkene Grabsteine auf einer Wiese oder in einem grünen Dschungel, die stehenbleiben, bis sie des Stehens müde sind. Und so geht auch von diesem alten Friedhof eine Ruhe aus, die zum Verweilen einlädt, derweil nicht weit entfernt das Rauschen des Meeres zu hören ist.
Wir kommen zur Westseite der Insel, der Horse Shoe Bay oder Hufeisenbucht. Ein kleines Dorf mit flachen, sich um die Bucht duckenden Häuschen. Eigentlich ist diese Seite viel schöner als die Südseite, an der sich der Fähranleger befindet. Nur schade, dass der Lobster Pot geschlossen hat, denn hier soll man gut essen können. Doch wie es scheint, sind wir die einzigen Tagesgäste, die es hierher verschlagen hat.
So lassen wir uns viel Zeit, sitzen nicht weit vom Lobster Pot auf einer Bank, essen unsere Hopnuts, schauen aufs graue Meer und wandern durch eine hügelige und felsige Heidelandschaft langsam wieder zur anderen Inselseite zurück, vorbei an Weiden für Rinder und Schafe und den vereinzelten Bungalows der Bauern. Im Doonmore Hotel in Sichtweite des Anlegers trinken wir noch einen Tee und probieren den Guinness-
um ersten Mal in dieser Woche regnet es morgens beim Aufstehen, der richtige Tag für einen Autoausflug. Wir verlassen den County Galway und fahren nach Westport, Co Mayo. Die Grafschaft Galway endet gleich hinter Leenaun, man erkennt es daran, dass die Straße plötzlich einen markierten Mittelstreifen bekommt, und dann geht es weiter die N 59 entlang gen Norden, derweil sich der Croagh Patrick, der heilige Berg Irlands, halb links vor uns im Dunst versteckt.
Westport liegt an der Clew Bay und ist mit dreieinhalbtausend Einwohnern etwa doppelt so groß wie Clifden. Die Stadt wurde nach einem Plan des georgianischen Architekten William Wyatt erbaut. Wie man liest, gehört die Mall mit ihren Linden zu beiden Seiten des Carrowbegs zu den prachtvollsten Straßen Irlands, die eine Fahrtrichtung rechts des Flusses, die andere links.
Meist parken wir hier, so auch diesmal. Das eigentliche Geschäftsviertel ist ein Quadrat mit der Mall im Norden; biegt man an jeder Ecke rechts ab, so kommt man problemlos zum Ausgangspunkt zurück. War da nicht im letzten Jahr rechts hinter der Brücke an der Bridge Street, die die Ostseite des Quadrats bildet, ein kleines Antiquariat mit einer Abteilung irischer Autoren? Es existiert immer noch. Nach einigem Zögern erwerbe ich Lord Dunsanys My Ireland aus dem Jahre 1937. So ganz irisch ist dieser Lord nach eigenem Bekunden nicht, denn seine Vorfahren haben sich erst im 12. Jahrhundert in Irland niedergelassen. Ich mag seine spitze Zunge und die oft überraschenden Pointen seiner Erzählungen, die man nur noch in Anthologien findet. Vielleicht findet man sie ja uch in ‘seinem Irland’.
Als ich aus dem Laden komme, werde ich von Gisela aufgegriffen, die mich in einen anderen eskortiert, in dem sich mein Mädchen vor einem Spiegel dreht, in einem ‘Original hooded Irish Cloak’. Nach mancherlei Hin und Her (ist er nicht viel zu teuer?) bei gleichzeitig leuchtenden Augen (bitte überrede mich, es ist der Mantel meines Lebens) erwerben wir ihn. Nuala Kierley wie sie leibt und lebt:
“... Als Big Paudh, unser Wachposten, die Verandatür offenstieß und die Frau unter einem Umhang verborgen hereinkam, saßen wir wie im Trance. Ihrer Haltung nach war sie jung, und der lange, schwarzblaue irische Kapuzenumhang ließ ihr Gesicht wie ein helles Oval erscheinen. Ein Stück Torf knisterte und flammte auf, und ehe sie sich vom Feuer abwenden konnte, sah ich, dass dieses Gesicht außerordentlich blass war und – uns einen Augenblick lang zugewandt – außerirdisch schön. Und das Haar vor ihrer Kapuze leuchtet heller als das hellste Gold.”
Aus: Maurice Walsh, Green Rushes
Dunkelblau, das ist der richtige Kontrast zu dem grau-
Was haben wir noch gemacht? Am Abend mit gedämpfter Begeisterung Giselas vegetarisches Hirsemenü gegessen, uns in der Central Bar in Clifden einen Akkordeonspieler angehört und später im Angler’s Rest zwei Pints Guinness getrunken.
Reiseberichte Irland: Connemara, Galway und Mayo 1995
© 1999 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 27.04.2006