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Hildegard an Gisela – Brief aus Irland
iebe Gisela — Ich will die Kommunikation mit dir nicht mit zwei identischen Briefen ausklingen lassen. Es ist sicherlich langweilig, mit einem Tag Abstand zwei mehr oder weniger identische Briefe zu erhalten, doch kann ich dir aus Erfahrung sagen: es ist auch langweilig, einen Brief zweimal zu schreiben, nur weil man meint, dass der erste wegen der fehlenden Länderangabe die Adressatin nicht erreichen wird. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es für die irischen Post auch ohne Nachhilfe sonnenklar ist, dass Gevelsberg in Germany liegt.
Wir sind jetzt wieder aus West-
In Bantry findet freitagvormittags ein Markt statt, auf dem wir vor unserer Abreise noch Brot (Sauerteig !), Käse, Oliven, Chorizzo und Tomaten gekauft und uns daraus am Abend ein Luxusmahl bereitet hatten. Schon lange hatte mir ein Käsebrot nicht mehr so gut geschmeckt! Das Cottage mag zwar etwas rumpelig sein, doch lässt es sich hier gut und stressfrei leben.
Noch einmal zurück zu West-
Es war zwar weit, aber der Ausflug in den Süden hat sich gelohnt, und es war auch schön, mal etwas Neues zu entdecken. Das Wetter ist weiterhin nur mittelprächtig; wir hatten schon bessere Sommer.
Noch eine neue Erfahrung, von der ich berichten möchte, ‘Reduction Hunting’ will ich sie mal nennen. In West Cork besichtigten wir ziemlich viele Locations, die eine admission fee verlangten, und die ist in Irland meist nicht so ohne. Ein viertel Jahrhundert älter als bei unserem ersten Besuch auf der Grünen Insel wurde es zu meinem Sport, nach ‘Ruductions for Seniors’ zu fragen. Das hatte im Frühjahr auf Gozo wunderbar geklappt, und hier funktionierte es auch! Manchmal liest man auf den Preislisten auch einen ermäßigten Preis im Falle von concessions; das heißt, ‘unter bestimmten Umständen’ ist es billiger, und einer davon kann das Alter sein. Bislang wollte noch nie jemand genau wissen, wie alt wir denn sind, geschweige denn einen Ausweis sehen. Ich hatte nie behauptet über 60 zu sein, doch allein die Frage, ob es Altersermäßigungen gibt, reichte schon aus, um ungefragt zwei ‘Senior Tickets’ ausgestellt zu bekommen. Darüber hinaus gibt es manchmal Prospekte, die mit Gutscheinen verbunden sind. Zwischen drei und sechs Euro haben wir so pro Ticket gespart.
Mit schönen Grüßen von
Hildegard und Jürgen”
Hildegard an Gisela – Brief aus Irland
iebe Gisela — Ich setze meinen Brief von gestern fort. Wir waren heute Abend im Angler’s Rest, ein schöner Abend! Ein junger Amerikaner, von dem der eine Elternteil irisch und der andere deutsch ist, vervollständigte mit seiner Bodhrán die aus Frank und Kieran bestehende Band. Er sah aus wie zwischen 28 und 30 und erzählte, er habe mit seiner Frau und seinen Kids Cottage No. 9 gemietet. Vor fünfundzwanzig Jahren sei er als Student zum ersten Mal hier gewesen, also so etwa um die Zeit auch unseres ersten Besuches in Tully Cross. Wie alt mag er nun wirklich sein? Wieder eine Zeitschleife!
In der vergangenen Woche gab es hier einen Erd- bzw. Bog-
Tschüss und bis zum nächsten Mal
Hildegard und Jürgen”
ir machen uns auf nach Roundstone, den Errisbeg zu besteigen, was wir in den vergangeen 24 Jahren nicht geschafft haben. So um die Jahrtausendwende herum hatten wir schon einmal einen Anlauf dazu unternommen, doch von der Stelle aus, die uns in einem Wanderführer als Ausgangspunkt nahegelegt worden war, keinen Pfad zum Gipfel gefunden.
Dieses Mal starten wir mitten im Dorf und steigen die schmale, zunächst recht steile Straße gegenüber dem Hafen hoch, bis sie bei einem Anwesen mit einem Rosenbusch vor einem zerfallenen Bruchsteincottage endet. Durch ein Holztor linkerhand gelangt man auf den in einem aktualisierten Wanderführer beschriebenen ‘rough track to the summit’. Nicht nur ‘rough’, sondern mitunter auch arg feucht ist er, aber die Blick auf Roundstone und die Bucht wird von Meter zu Meter beeindruckender.
Schließlich, wir sind schon ziemlich weit oben, kann man nur noch erraten, was denn nun der ‘track’ sein soll, und muss sich den Weg selbst suchen. Als wir dann gar nicht mehr weiterwissen, erinnern wir uns an die beiden Ameisen aus Hamburg und tun es ihnen gleich:
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
In Altona auf der Elbschaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und so verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
Wir sind ja schon so gut wie oben, lautet der Beschluss. Doch beim Abstieg beäugt uns kritisch ein dickes Schaf: “Die wollen auf dem Gipfel gewesen sein? Bääh, wer’s glaubt, wird selig, der kann auch gleich in die Bratröhre hupfen!”
s ist mehr als nur ein soft day, es regnet Bindfäden. In den alten Zeiten fuhren wir an solchen Tagen zum Shoppen nach Galway, und so machen wir das auch heute. Beim Verlassen des Autos regnet es immer noch, doch der alte Trick, den Fotorucksack bei dem miesen Wetters im Kofferraum zu lassen, hilft auch dieses Mal. Kaum haben wir den Eyre Square erreicht, versiegt der Regen und es zeigt sich etwas Blau am Himmel. Also zurück zum Parkplatz und die Kamera geholt, derweil mien Deern das Eyre Square Shopping Centre inspiziert.
Musikanten auf der Straße. Während sich mein Mädchen im Obergeschoss von Eaton’s mit Malpapier und Aquarellpinseln versorgt, bleibe ich vor dem Eingang stehen, lausche den Straßenmusikern und mache ein paar Fotos; desgleichen bei den weiteren Ladenbesichtigungen. Es ist traurig und schade, dass es Kenny’s Bookshop an der High Street nicht mehr gibt. Ein langweiliger Sportswear Shop residiert jetzt in dem einst grünen und nun in blauer Tristesse sich zeigenden Gebäude.
Wir lunchen im Café des Galway City Museum, sofern man um 4 pm noch von einem Lunch reden kann. Eine gefüllte überbackene Aubergine nordafrikanischer Art mit einigen Beilagen für mich, während sich mein Mädchen mit einer wenngleich sehr gehaltvollen Suppe begnügt. Beides ist lecker. Dann geht die Bummelei durch die Stadt weiter. Ich fasse zusammen:
1 Landlady-
1 Teekanne mit eingebauter Tasse für Lola (€ 20)
2 Pinsel und ein Block Aquarellpapier (€ 30)
1 Kochbuchständer für Nis Puk (€ 6)
Käse, Oliven und Brot für uns (€ 20)
Geluncht hatten wir für rund sechzehn Euro, und den Einkauf bei Lidl auf dem Heimweg rechne ich nicht mit. Nicht ein einziges Kleidungsstück und kein Buch findet sich auf der Liste – da waren wir ja echt genügsam!
ach unserem Scheitern vor zehn Tagen unternehmen wir einen neuen Anlauf zur Erkundung der Cleggan-
Der Weg steigt an, und an seinem höchsten Punkt teilt er sich. Geradeaus führt er laut Karte zur Straße von Cleggan nach Clifden, wir aber folgen dem Abzweig nach Westen zur Bucht hinunter. Ein tosender Bach rechts unter uns tut, als sei er ein gewaltiger Strom, und linkerhand donnert ein mittelprächtiger Wasserfall den Hang herunter. Wo all das Wasser auf dieser kleinen Halbinsel wohl seinen Ursprung hat? Am Ende des Weges vermisse die Reihe silberner Baumruinen, die ich vor einigen Jahren von Cleggan kommend fotografiert hatte. Vanishing Ireland, lost and gone.
Wir sind wieder auf Meereshöhe, links die Bucht und wo sie breiter wird, der Hafen von Cleggan. Rechterhand ein verträumter See, vom Meer getrennt durch ‘eine Art Kurische Nehrung’. Loch Anilaun nennt ihn die Karte. Eine Übersetzung dieses Namens habe ich nirgends gefunden, und die offizielle Datenbank irischer Namen kennt ihn nicht. Über das Wasser gleitet ein Schwanenpaar mit seinen Lütten. Beim Versuch es zu fotografieren rutsche ich mit dem Handballen in ein stachliges Zeug an der Uferböschung und bin so lange damit beschäftig, die hauchdünnen Nadeln wieder aus ihm herauszuziehen, bis Familie Schwan verschwunden ist.
Eileen Óg an Nis Puk – Brief aus Irland
oin Nis Puk — und schöne Grüße von meiner diesjährigen Irland-
Als ich neulich mal allein war, habe ich einen Leprechaun kennen gelernt, der nebenan auf dem Dachboden von Cottage No. 5 wohnt. No. 5 hat das beste Dach von allen, denn vor ein paar Jahren ist es mal abgebrannt und man hatte ein neues draufgesetzt. Die Menschen sind ja manchmal zu blöd: da hatte doch jemand aus dem Dorf auf der Weide hinter den Cottages altes Zeugs verbrannt, und ein Funke war aufs Dach geflogen.
Ich habe dann dem Leprechaun eine CD mit plattdeutschen Liedern aufgelegt, die deine Huuslüüd mit auf die Reise genommen hatten. Er sagte, dass ihm viele Melodien fuckin’ Irish vorkämen. Ich weiß nicht, was das heißt; er ist aus Connemara und da drückt man sich manchmal etwas ruppig aus. Später sind wir zur Musik in den Pub gegenüber gegangen, haben uns zwischen die alten Bücher im Regal oben an der Wand gehockt und so getan, als seien wir ‘Dekoration’. Das machen viele seiner Kollegen vom Little Folk so, hat er gesagt, man müsse nur zusehen, dass man sich rasch unsichtbar macht und verschwindet, wenn ein local drinker nach einem grapscht. Wenn sie dann ins Leere greifen und einen nicht mehr sehen, schieben sie die ‘Halluzination’ aufs Guinness und meinen, jetzt bräuchten sie ein weiteres, um sie wieder zu vertreiben.
Als ich dem Leprechaun erzählte, dass deine Huuslüüd in den letzten drei Wochen zweiunddreißig Briefmarken für ihre Post nach Deutschland gekauft haben, meinte er, dass sei sehr lobenswert. Sein Freund, der Postpuk von Letterfrack, ist nämlich sehr bildungshungrig, liest alle Ansichtskarten, bevor sie weitergeschickt werden und hat dann mehr Bildungsmaterial. Manchmal liest er beim wöchentlichen mitternächtlichen Leprechauntreffen in der Post auch welche vor. Da wird dann viel gelacht über das, was die Menschen so glauben, denken und meinen und sich einbilden zu wissen.
Am Sonnabend fliegen wir nach Deutschland zurück und bringen dir einen Kloben Torf für den Kamin mit. Für dein Klabautermädchen Henrietta haben deine Huuslüüd auf dem Markt von Bantry auch etwas Feines gekauft, doch das soll eine Überraschung sein. Hat das mit dem guten Wetter geklappt, das wir dir und deinen Feriengästen rübergeschickt haben? Abgereist ist es, denn hier ist es nicht mehr. Ich hoffe, dass es bei euch angekommen ist und sich nicht nach sonst irgendwohin verzogen hat. Doch jetzt muss ich Schluss machen, denn deine Huuslüüd kommen gerade von einer Einkaufstour zurück: Klamotten för di Deern, was denn sonst.
Viele Grüße an dich und dein Little Folk
von Eileen Óg, Reise und
Navigationsschaf”
Der Chronist fährt fort
Nach einem Besuch der diesjährigen Letterfrack Furniture Exhibition, eine Ausstellung von Möbeln, die von den Studenten des in der ehemaligen Industrial School ansässigen National Centre for Excellence in Furniture Design and Technology angefertigt wurden, wandern wir zum alten Friedhof am Hang hinter den Gebäuden. Zum Gedenken an die Opfer der ‘Christian Brothers’, die die berüchtigte Schule noch bis 1974 betrieben hatten, wurde er in den letzten Jahren neu gestaltet und zugänglich gemacht.
147 der diesen christlichen Brüdern anvertrauten Jungen, die durch Missbrauch, harte Körperstrafen und Vernachlässigung in der von ihnen geführten Schule starben, sind hier begraben. Auf zwei von hohen Bäumen umsäumten Grabfeldern hat jetzt jeder von ihnen einen Grabstein bekommen.
147 Grabsteine in Form eines Herzens auf zwei grünen Wiesen, auf die sanft die Nachmittagssonne durch die Bäume scheint, und am Kopf der Grabfelder ein Kreuz mit einer irischen Flagge über dem Sockel. Es ist eine friedliche und doch so bedrückende Stimmung. Am Eingang zum Friedhof lesen wir in eine schwarze Marmorplatte eingelassen das folgende Gedicht:
What they suffered, they told but few.
They did not deserve what the went through.
Tired and weary they made no fuss,
They tried so hard to stay with us.
ür dieses Jahr ist es unser letzter Nachmittag in Irland. Wir stehen auf dem früheren Schotterplatz oberhalb der Turmruine von Renvyle Castle, sehen nach Mayo hinüber und erkennen im Dunst der Ferne den Croagh Patrick. Der Aussichtspunkt wurde aus Projektmitteln des Wild Atlantic Way mit großem Aufwand neu hergerichtet, ist nun asphaltiert und von einer getürkten Feldsteinmauer umgeben.
Wir wandern die hinter uns liegende Straße den Berg hoch und drehen uns um. Endlich einmal ein Foto mit Wolken über der Burgruine! Dann sind überschreiten wir die Kuppe des Hügels und es geht wieder nach unten.
Geradeaus vor uns der Tully Mountain, halbrechts wie auf einer nordfriesischen Warft gelegen der Friedhof von Renvyle Head über dem Silberspiegel des Meeres. Nach zehn Minuten haben wir ihn erreicht, setzen uns auf einen Stein vor den Resten der Church of the Seven Daughters und schauen über das Gräberfeld hinweg auf den Ozean.
Reiseberichte Irland: Connemara und West Cork 2016
© 2017 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 24.04.18