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uf nach Westport – in erster Linie deshalb, weil wir über Louisburgh zurückfahren wollen. Kaufen wollen wir nichts, wobei dieses Nichts zu einem Shirt für mein Mädchen mutiert. Kein Allerwelts-
Westport ist immer noch ein nettes Städtchen – wäre da nicht der in den letzten Jahren dramatisch zugenommene Autoverkehr. Doch vielleicht löst sich das Problem, wenn die Iren nach dem Eintreffen des von den Zeitungen düster prophezeiten wirtschaftlichen Abschwungs kein Geld mehr für neue Autos haben.
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Wir fahren zum Hafen hinunter und dann über die R 335 Richtung Louisburgh. Im zweiten Anlauf finden wir den White Strand und schlendern die Wasserkante entlang, vor uns die Clew Bay mit Achill und Clare Island, hinter uns erhaben der Croagh Patrick. Auf seiner Spitze ist mit bloßem Auge der Wohnsitz des Heiligen zu erkennen, eine kleine weiße Kapelle.
Es ist ein sonniger Nachmittag. Nur ein paar Wölkchen kräuseln sich über Achill Island, doch bei dem kalten Wind wagt sich niemand ins noch kältere Nass. Die Strandwache ist besetzt und das Mädel hinter der Scheibe hält ein ihrer Mimik nach sehr privates Dauertelefonat. Ob sie es merkt, wenn jemand hilflos im Wasser zappelt? Wir probieren es nicht aus und fahren weiter.
In Louisburgh, bevor die große Einsamkeit West-
Abgesehen von den Blechkarossen – im Unterschied zu Westport mehr parkende als fahrende – hat sich seit unserem letzten Besuch vor zehn Jahren nicht viel verändert. Der Ort wirkt fast ausgestorben. In Erinnerung bleibt ein abgebrannter Supermarkt und eine Kreuzung zweier, mit Autos gesäumter, menschenleerer Straßen – kein Vergleich zum quirligen Westport.
In Louisburgh knickt die R 335 nach Süden ab und wird zu einem schmalen Fahrweg, der alle paar Kilometer im Himmel zu enden scheint, ehe er sich wieder der Erde zuneigt. Wir tauchen ein in ein einsames Tal zwischen den Sheeftry Hills und den Maol Réidh Mountains. Anhalten für ein paar Fotos. Nach einer Weile passiert uns ein Auto, doch drei Schafen, die ein Stück voraus auf der Straßenmitte gen Süden trotten, ist das egal. Die Straße gehört ihnen, und so lassen sie es im Schritttempo hinter sich her tuckern.
Auch wir fahren weiter. Nur wenig Platz bleibt für die Straße, denn das Tal gehört jetzt dem Dúloch, einem langgestreckten schwarzen See, auf dem für einen kurzen Augenblick die Nachmittagssonne glitzert. “In ihm zu schwimmen wäre mir zu unheimlich”, meint mein Mädchen. Wir fühlen uns in einem vorchristlichen Jahrhundert, und wenn gleich ein Druide über den See gerudert kommt, wird uns das nicht wundern.
Das Tal lichtet sich. Wir nähern uns Delphi, ein Coffee Shop rechts des Weges und das 21. Jahrhundert hat uns wieder. Entlang des Killary Fjords, der so tief sein soll, dass die Marine einer Weltmacht darin versenkt werden könnte, geht es an den Aasleagh Falls vorbei via Leenaun nach Tully Cross zurück.
ir kommen vom Strand zurück und sitzen vor dem Cottage. Die Katze streicht um uns herum. Miauuu, beklagt sie sich, sie habe heute noch kein Lunch gehabt. Mein Mädchen geht ins Haus, sie folgt ihr bis zur Tür. “Hübsch draußen bleiben”, warnt die Liebste. “Ich weiß schon”, miaut die Katze, “war ich doch in meinem früheren Leben selbst ein Mensch, der armen kleinen Katzen ein warmes Plätzchen am Kamin verwehrte. Und nun muss ich zur Buße ein Katzenleben lang im Freien übernachten.”
Fast einen ganzen Tag hatten wir am Glassilaun-
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Unsere beiden Musiker sind müde, vor allem Kieran sieht man es an. Am Vormittag hatten sie in Leenaun die Jahresmesse für ihren verstorbenen Schwager Séamus besucht, dann durften sie am Nachmittag bei einer Taufparty in Molly’s Bar aufspielen. Auch jetzt im Angler’s Rest ist es rappelvoll; am Abend hatte noch eine Beerdigung stattgefunden, und nach einer solchen begießt man den Einzug des Verstorbenen in den Himmel in seinem früheren Pub.
Neben den schwarzgekleideten Herrschaften macht sich eine Gruppe jugendlicher Nachwuchstrinker bemerkbar, ihre gerade gewonnene Volljährigkeit ausnutzend, um in sich hineinzuschütten, was hineingeht. Schließlich kann sich einer kaum noch auf den Beinen halten und muss mehr oder weniger hinausgetragen werden. Das gefällt unseren Musikern nicht, und so machen sie ungewöhnlich pünktlich eine halbe Stunde nach Mitternacht Schluss:
We’re on the one road, sharing the one load,
We’re on the road to God knows where ...,
singen sie. Da mag manch einer an die in den Medien prophezeite Rezession denken. Dann folgt ‘Amhrán na bhFíann’, und man macht sich auf den besungenen Weg. Der ihre führt heute Nacht nach Mullaghgloss, der unsere über die Straße ins Cottage.
n Dublin schreibt man heute den 16. Juni 1904, und Senator David Norris* wandert auf den Spuren Leopold Blooms durch die Stadt. Es gebe da gewisse Gerüchte, schreibt Terry Eagelton in seinem Aufklärungswerk The Truth about the Irish, dass dies auf einen Schriftsteller namens James Joyce zurückgeht, doch sei dies wahrscheinlich ein Mythos, in jedem Fall aber völlig irrelevant.
Ich würde viel lieber eine Zeitreise um 80 Jahre zurück nach Ballynahinch Castle machen, wo wir gerade aus dem Auto steigen. Vielleicht träfe er heute ein, Ranji, wie ihn die Einheimischen ob seines unaussprechlichen Titels His Highness Kumar Shri Ranjitsinhji, Jam Saheb of Nawanagar nannten, der ‘Maharadscha von Connemara’. Das Pfeifen des Zuges aus Galway wäre zu hören, dann das Knallen der Feuerwerkskörper, die ihm die vorausgeeilte indische Dienerschaft zur Begrüßung auf die Schienen zu legen pflegte. Nur wenig später würde uns die Eskorte passieren, die ihn zu seiner irischen Sommerresidenz chauffiert, ein Gebäude, das verglichen mit seinem Schloss in Indien einen recht bescheidenen Eindruck macht. In Zivil hätte man den Besitzer des Anwesens kaum für einen indischen Prinzen gehalten, eher für einen englischen Sportsmann.
Ranji starb 1933, doch hin und wieder zieht es den Geist des leidenschaftlichen Anglers in sein irisch-
Wir wandern am See entlang, aber der Geist des Maharadscha von Connemara lässt sich nicht blicken. Auch die Angler auf unserer Seite des Lebens machen sich rar. Vor uns liegt ein winziges Inselchen, Castle Island, mit den von Efeu überwucherten Resten eines Turms aus dem 16. Jahrhundert. Es ist ein freundlich-
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Nach einem Mittagessen in Roundstone sind wir wieder daheim. Es geht auf den Abend zu, ist kühler geworden. Das Torffeuer knistert im Kamin. Es klopft. Eine Frau steht vor der Tür, stellt sich als Bewohnerin eines der Nachbar-
Wir empfehlen ihr, unter den Torf zwei Briketts zu schieben, und geben sie ihr zusammen mit ein paar Feueranzündern mit.
* David Norris ist seit 1987 Mitglied des irischen Senats, wo er das Trinity College Dublin repräsentiert. Der Joyce-
s regnet – ein Tag, um nach Galway zu fahren. Hinter der Inagh Valley Lodge, auch sie gehörte einst dem Maharadscha von Connemara, geben wir einem feingemachten Ureinwohner einen Lift. Kurz darauf beginnt es draußen zu schütten, während im Auto eine Wolke von Aftershave durchs Fahrzeug zieht. An der N 59 gießt es noch immer. Eigentlich wollte unser Passagier nach Clifden und müsste hier ‘umsteigen’, doch bei dem Wetter mag er sich nicht an den Straßenrand stellen und auf eine Gelegenheit zur Weiterfahrt warten. So nehmen wir ihn ein Stück in Gegenrichtung mit und setzen ihn am Craftshop der Joyces of Recess ab.
Galway im Regen, das freut die Museen und Ladenbesitzer. Das City Museum, bislang in dem alten Gebäude links des spanischen Torbogens untergebracht, hat gleich nebenan ein neues geräumiges Domizil bekommen, wenngleich es noch an Ausstellungsstücken mangelt, dieses zu füllen. Der Eintritt ist frei, begeben wir uns also hinein. Eindrucksvoll schwebt im Zentrum des Treppenhauses ein großer Galway Hooker; im Erdgeschoss betrachtet man ihn von unten, im Mittelgeschoss auf Deckhöhe und im Obergeschoss ‘aus der Luft’. Vielleicht hatten die Architekten das Stockholmer Wasa-
Im Mittelgeschoss wird auf Schautafeln die Geschichte der Stadt Galway dargestellt, doch vermisst man originale Fundstücke oder Dokumente. Ein Stockwerk höher bleiben wir vor einem Modell des alten Claddagh stehen. Claddagh, irisch An Cladach und deutsch Das Ufer, hieß das Fischerdorfs vor den Toren der Stadt am gegenüberliegenden Ufer der Corribmündung. Schon zur Zeit der Christianisierung des Landes sollen hier Fischer gesiedelt haben. Die Bewohner Claddaghs versorgten bis ins letzte Jahrhundert hinein Galway mit Fisch und Meeresfrüchten und organisierten ihre Gemeinschaft mit einem gewählten König.
Die strohgedeckten Cottages des Dorfes wurden in den 1930-er Jahren abgerissen und die Bewohner umgesiedelt. Fotos zeigen, wie es dort vor dem Abriss ausgesehen hat. Auch wenn dieser heute unisono beklagt wird, kann man bei ihrer Betrachtung nachvollziehen, dass die Stadtväter damals keine andere Möglichkeit sahen. Die hygienischen Verhältnisse müssen grauenhaft gewesen sein.
Gleichfalls im Obergeschoss wandern wir durch eine Fotoausstellung über die vor 70 Jahren stillgelegte Galway-
Wir lunchen im Lemon Grass Restaurant, moderne asiatische Küche, preiswert und lecker. Die Beute bei der sich daran anschließenden Einkaufstour ist eher bescheiden: ein leichter Sommerpullover für € 6,50 bei Enable Ireland und für € 25 ein dünnes, grünes Dingelchen in der Lieblingsboutique meines Mädchens. Penney’s ist wegen Renovierung bis Freitag geschlossen – Schwein gehabt!
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Am Abend taucht die zweite der beiden Journalistinnen aus Cottage No. 5 auf und bietet uns ein halbes Pfund Butter gegen zwei weitere Briketts. Wir akzeptieren.
unny spells und occasional showers’ sind für heute angekündigt, um Christoph Fechler zu zitieren. Wir wandern nach dem Frühstück – sprich gegen elf Uhr – zum Friedhof von Mullaghgloss, besuchen Johnnie und Brians Frau Marian. Vor anderthalb Jahren sind sie gestorben, doch einen Grabstein findet man bislang auf keinem der beiden Gräber. Auch in diesem Punkt lässt man sich in Irland mehr Zeit als anderswo, vielleicht drängeln hier die Toten nicht so.
Auf dem Heimweg hält mein Mädchen Ausblick nach Blumen am Straßenrand. Da hupt es kurz. Ein Auto bleibt neben uns stehen, und die Scheibe geht herunter: “Nice to see you, and welcome back!” Gerry, der jüngste Sohn des seligen Paddy Coyne, grinst uns an. Ehe wir etwas sagen können, düst er wieder ab – in einem Cabrio und nicht mehr in dem Offroad-
In Tully Cross treffen wir ihn vor seinem Pub, er packt gerade etwas aus dem Wagen aus. Ob der Wechsel zu einem Cabrio etwas mit dem angekündigten Klimawandel zu tun habe, will mein Mädchen wissen. Er lacht und verweist auf seine Arme: das könne schon sein, die ganze letzte Woche sei er mit offenem Verdeck gefahren und in keinem Juni so braun wie in diesem gewesen.
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Ein Tag zum Faulenzen, doch ist das hier nicht jeder Tag? Mein Mädchen malt durch ein Foto inspiriert ein Cottagefenster, und ich sitze zwischen den ‘occasional showers’ vor dem Cottage, schreibe in dieses Buch und ein paar Karten und Briefe. Fünfzehn Briefmarken sind bereits verbraucht, gerade erst habe ich bei der Postmeisterin von Letterfrack Nachschub geholt.
Am späten Nachmittag verzieht sich alles Grau und es wird noch einmal schön. Ein warmes, weiches Sommerabend-
b wir heute versuchen, den Diamond erklimmen? Graue Wolken hängen über seinem blanken Gipfel – es ist wohl nicht der ideale Tag dafür. Wie wäre es statt dessen mit Omey Island?
Wir parken vor der Kirche von An Cladach Dubh – ihr Name Our Lady Star of the Sea klingt eher nach einem Kreuzfahrtschiff denn nach einer Kirche – und wandern zum Strand hinunter. Geht das Wasser noch oder kommt es schon? Nicht, dass uns die Flut den Rückweg abschneidet und wir sechs Stunden auf die nächste Ebbe warten müssen. Das Wasser kommt, aber nur von oben.
Die occasional shower war von kurzer Dauer, und nachdem wir das Meer trockenen Fußes durchschritten und das Inselufer erklommen haben, folgen die vielzitierten sunny spells. Es ist Jahre her, dass wir zuletzt auf der Insel waren. In den letzten Jahren kamen wir meist nur bis ans Ufer und wendeten, da sich die Flut andeutete. Doch heute, meint mein Mädchen, haben wir Zeit. Ihr Gefühl sagt ihr das.
Wir wandern über das schmale Sträßchen, das quer über die Insel führt. Ein Stone Cottage mit einer blauen Tür und blauen Fenstern hat es uns angetan. Es scheint ein echtes zu sein, keines von den vielen, bei denen der Feldstein nur industrielle Hohlblocksteine verkleidet. Vielleicht wird es das neue Wohngebäude links daneben überdauern. Die Straße führt im Bogen um Lough Fahy, einem in einer Senke gelegenen See, zur Atlantikseite der Insel. Wir passieren zwei oder drei Anwesen links und rechts des Weges, dann sind wir am Westend. Ein grünes Plateau, dahinter fällt das Land steinig zum Meer ab. Uns vorgelagert liegt Cruagh, ein kleines Inselchen, das gerade von zwei Segelbooten umrundet wird. Dann kommt irgendwann An tOileán Úr, die neue Insel Amerika.
Wir gehen an den Rand des Plateaus und entdecken auf den Fels gemauert eine Gedenkplatte, wie man sie hier an der Küste oft findet:
‘Sláinte mhaith agus bás in Éirinn’ lautet ein alter irischer Trinkspruch, Gute Gesundheit und ein Tod in Irland. Wenn das letzte nicht klappt, bekommt man zumindest einen Gedenkstein an den heimatlichen Gestaden.
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Unsere Tullycrosser Cottage-
eute oder nie! Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht und keine Wolke verhüllt den Diamond Hill. Also, sprach Zarathustra, lasset uns den Berg erklimmen. Der Himmel ist klarer und die Luft frischer als bei unserer Erstbesteigung des Diamanten vor zwei Jahren*. Damals musste man sich den Zutritt zum Nationalpark noch erkaufen, inzwischen ist er kostenfrei.
Schaut man sich den Berg von unten an, ist es für einen norddeutschen Deich-
Den haben wir noch vor uns, denn jetzt sind wir erst einmal auf dem Grat angekommen. Unter uns sehen wir am sonnigen Südwesthang des Doughruagh unter einem blauen Himmel mit weißen Wölkchen den viktorianischen Garten von Kylemore Abbey, von hier oben aus recht unscheinbar wirkend und kaum der zwölf Euro Eintrittsgebühr wert. Weiter rechts dann das graue Granitschloss und die ‘Last Lakes of Kylemore’, die Renvyles Meister-
Ob die letzten Schülerinnen von Kylemore das einst so berühmte Mädcheninternat im Schloss schon verlassen haben? Nicht ein Mädel in Schuluniform sahen wir neulich auf dem Gelände. Die Benediktinerinnen wollen es nach der Schließung des Internats weiterbewohnen, doch wenn die letzte Nonne von Kylemore gestorben ist, wird das Schloss wohl – so die Mutmaßungen – ein Hotel werden.
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Gibt es etwas, das die Besteigung eines 1.460 Fuß (klingt besser als 442 m) hohen Diamanten noch toppen kann? Klar doch, ein Bad im (gefühlt) dreizehn Grad kalten Atlantischen Ozean. Mein Mädchen wagt es am späten Nachmittag am Renvyle-
* Siehe: 6. Juni 2006