Irisches Tagebuch 2005

Ganz weit weg

 

Sonnabend, 18. Juni 2005

Slyne Head hat geschlossen, sperrt uns aus von wegen PRIVATE PROPERTY – Trespassers will be executed! Oder hieß es prosecuted? Egal, der Unterschied ist marginal. Kein Spaziergang also um den heiligen Brunnen, kein Blick auf den Leuchtturm, kein ‘sitting at the dock of the bay’ am winzigen Anleger.

Wir finden ein Stück (noch) nicht privatisierten Strandes mit einem weit ins Wasser reichenden, für unsere Sitzmatten geeigneten flachen Felsen und lassen den Blick über das graue Meer und die das Ufer hochrollenden Wellen schweifen, bis uns der einsetzende Regen zum Auto zurücktreibt.

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Am Abend erzählt Frank Abend in Molly’s Bar, dass es Johnnie besser geht und er seit gestern wieder daheim ist. Mal sehen, dass wir ihn in den nächsten Tagen besuchen.

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Sonntag, 19. Juni 2005

Vatertag in Irland, und wenn man sieht, was in den Auslagen der Geschäfte in den letzten Wochen als ideale ‘Father’s Day Presents’ angepriesen wurde, ist man ganz froh, keiner zu sein.

Signposts, © 2005 Juergen KullmannAuf nach Westen, wo Connemara noch Conamara heißt und man Gälisch spricht. Wo es keine Hinweisschilder nach Clifden, Roundstone, Galway, Screeb, Recess und Kilkieran gibt, sondern man nach An Clochan, Cloch na Rón, Gaillimh, Scríob, Sraid Salach und Cill Chiaráin fährt, und der gemeine Tourist im Dorfladen von dem gälischen Klönschnack kein Wort versteht, außer vielleicht das Slán!, mit dem die Kunden sich verabschieden.

Den Walk of the Week wollen wir machen, beschrieben im What’s On?, einem kostenlosen wöchentlichen Infoblättchen für Clifden und Connemara. Eine Wanderung über das Moor von Carna, das bei aller Feuchtigkeit ausgesprochen steinig ist. In Abwesenheit unseres Navigationsschafes finden wir den Startpunkt des Weges am Ortsausgang nicht, dafür aber sein Ende bei Róisín na Mairiach. Nun denn, dann wandern wir in umgekehrter Richtung.

Dass das Moor auf felsigem Untergrund ruht, haben auch die Straßenbauer erkannt, die das Gestein auf dem ersten Kilometer entlang Loch an Chaolaigh und Loch Siodumhach gnadenlos ausbaggern und eine (hoffentlich beispiellose) Verwüstung hinterlassen. Dann macht der Weg einen Knick nach Westen Richtung Carna, und wir sind allein in der von steinigen Erhebungen unterbrochenen Moorlandschaft. Steinzeitlich, hätte ich fast geschrieben, doch zur Steinzeit war die Gegend bewaldet. Viertausend Jahre alte Baumstümpfe soll man hier und da noch finden. Wir lassen uns auf einer von Wind und Wetter polierten, vielleicht fünf Meter hohen Felsformation nieder. Der Himmel ist bedeckt, dann und wann dringt ein Sonnenstrahl hindurch. Der Wind lässt uns frösteln und wir wandern weiter.

Gegen drei Uhr sind wir zurück in Carna, wo man im gemütlichen Village Cafe neben Gaeilge auch Bearla (Englisch) versteht. Die Sonne hat sich durchgesetzt und wir sitzen an einem der drei Tische im Vorhof. Leider hat sich die Subventionierung der Gaeltacht-Regionen nicht auf die Restaurantpreise ausgewirkt: € 8,50 für ein Open Crabmeat Sandwich und € 2,50 für die Portion Chips sind arg happig. Doch lecker ist die Mahlzeit allemal, auch wenn die Chips erst 10 Minuten nach dem Sandwich kommen und der Tee noch weitere 10 Minuten auf sich warten lässt. Die Landlady entschuldigt sich mit Worten, leider nicht mit einem Preisnachlass. Vielleicht kauft sie nun einen Wasserkocher, damit sie beim nächsten Mal nicht erst ein Torffeuer anfachen muss, wenn ein Gast Tee bestellt.

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Auf dem Rückweg folgen wir dem Schild ‘Coastal Road’ – Cos Fharraige liest man auf Gälisch darunter –, eine einsame und nummernlose Straße entlang der Küste. “Pass auf, ein Schaf”, meint mein Mädchen. Das Schaf erhebt sich und fliegt von dannen, muss wohl ein Flugschaf gewesen sein. An einer Kehre halten wir an und wandern zu einem kleinen Anleger hinunter. Die Sonne scheint schräg auf das Wasser, unter seiner Oberfläche grün leuchtendes Seegras. Ich schraube ein Polfilter auf und mache ein Foto.

Bei Glinsce mündet die Küstenstraße in die R 340. Ein geschäftstüchtiger Unternehmer hat hier einen Edel-Craftshop hingesetzt, in dem mein Mädchen nun endlich die Edel-Tweedjacke findet, nach der sie schon seit Jahren gesucht hat, die ihr passt und ‘eigentlich auch gefällt’ ... um sie nach 20-maligem An- und Ausziehen dann doch nicht zu kaufen. Ich kann es nicht mit ansehen und warte draußen vor der Tür.

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Am Abend machen Frank und Kieran Musik bei Sammon’s – dies die gute Nachricht. Zugleich ist Father’s Day, und das ist die schlechte, denn betrunkene Väter und solche, die es werden wollen, halten die Bar besetzt. Das mit dem Betrinken klappt jetzt schon ganz gut.

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Montag, 20. Juni 2005

Eine Wanderung über Renvyle Head, die Spitze unserer Halbinsel, wie ich sie in den vergangenen Jahren schon häufiger beschrieben habe. Nur dass uns diesmal kein Hund begleitet. Das Haus unterhalb des Berges scheint einen Käufer gefunden zu haben, denn das Schild For Sale! ist verschwunden und hinter den Scheiben hängt etwas Gardinenähnliches. Zwei Baustellen nicht weit davon lassen vermuten, dass sich der keltische Tiger noch nicht ganz zur Ruhe begeben hat.

Was die Hauptbewohner des Landes betrifft, so scheint ihr ‘Travelling Hairdresser’ in der Gegend gewesen zu sein – so viele glattrasierte Schafe sahen wir noch nie. Einem ist ein Stück Haut abhanden gekommen; es wollte wohl sparen und hat sich einem Lehrling anvertraut.

Unterhalb der Ruine des Burgturms sitzt ein Nachwuchspoet auf einem Felssockel, blickt sinnend über die Bucht nach Mayo hinüber und schreibt ein paar Zeilen in sein Notizbuch. Ein letzter Blick aufs Meer, dann packt er das Heft in den Rucksack, zieht sich die Schuhe an und macht sich von dannen. Es beginnt zu regnen.

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Dienstag, 21. Juni 2005

Der längste Tag des Jahres beginnt mit einem leichten Regen. Wir brechen nach Roundstone auf, nach Cloch na Rón, dem Stein des Seehunds, wie der Ort auf Irisch heißt. Im CD-Spieler des Autos liegt On The Bright Road von und mit Barbara Callan, die 2001 vor der Veröffentlichung des Albums starb.

Ann Chambers, Ranji, Maharajah of ConnemaraI gCorr Chroi Conamara, im Herzland Connemaras, kommt aus dem Lautsprecher, als wir von der Hauptstraße nach Ballynahinch abbiegen. Vorbei an der früheren Bahnstation, an der Ranji, der ‘Maharadscha von Connemara’, von 1924 bis zu seinem Tod im Jahr 1933 allsommerlich von seiner indisch-irischen Dienerschaft auf Ballynahinch Castle erwartet wurde, wo er als ausländischer Herrscher mit diplomatischem Status steuer- und abgabenfrei der Angelleidenschaft nachging. Derweil seine irische Residenz (unten auf dem links abgebildeten Buchdeckel) im Vergleich zu seiner indischen (oben auf dem Cover) recht bescheiden wirkt. Nach seinem Tod wurde das Anwesen für £ 8.000 verkauft. Heute ist Ballynahinch Castle eine Anglerresidenz der Oberklasse.

Vielleicht hätte sich Ranji, wie er im Volksmund hieß, für den Erhalt der Bahnlinie eingesetzt, die zwei Jahre nach seinem Tod geschlossen wurde. Man kannte ihn auf Dublin Castle; der langjährige Außenminister Desmond Fitzgerald gehörte zu seinen Freunden und bekam eines Tages einen kapitalen Lachs geschickt, persönlich geangelt von His Highness Kumar Shri Ranjitsinhji, Jam Saheb of Nawanagar, Herrscher über einen indischen Kleinstaat von Ihrer britischen Majestät Gnaden.

On the bright road – die Spieldauer der CD entspricht exakt der Fahrtzeit von Tully Cross nach Roundstone. Bei unserer Ankunft wird der Regen heftiger und wir fahren zum Craftshop des Bodhrán-Maker, in dem es warm und trocken ist. Während On the Bright Road im Celtic Shop in Clifden für € 18,95 erhältlich ist und der Avoca-Shop bei Letterfrack € 21,95 haben will, kostet die CD hier € 24,95. Die Ehre, bei Malachy zu kaufen, muss man sich schon etwas kosten lassen.

Wir verzichten auf diese Ehre, verlassen den Laden und machen einen Spaziergang über die Mole und durchs Dorf. Ob es wohl eine Jahreszeit gibt, aus der man keinen SALE ableiten kann? Midsummer Night Sale! verkündet ein kleiner Schmuckladen, Buy two items and get one free! Morgen wird vermutlich ein ‘Post Midsummer Night Sale’ daraus.

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Bei unserer Rückkehr finden wir einen Zettel unter die Tür durchgeschoben. Monika vom Maol Reidh Hotel richtet aus, dass unser Freund John Martin aus East Anglia am Donnerstag gegen halb acht erwartet wird und sich freuen würde, uns zu treffen. Das sollte sich machen lassen. Doch jetzt müssen wir erst einmal den Riesenberg Fisch (drei Sorten) verarbeiten, den uns Anne Jack heute früh hinter die Eingangstür geschoben hat. Fischsuppe für den Rest Woche, wenn ich mich nicht irre. Da entkorke ich schon einmal eine Flasche Weißwein ...

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Mittwoch, 22. Juni 2005

Und wenn du morgen abreist, sollst du heute noch ein Blümlein pflücken ... Dann also los, denn die Blumen in der Kaminecke sind welk. Und außerdem reisen wir diesmal erst am Sonntag ab.

Die Fuchsien finden wir nur hundert Meter hinter der Kirche am Rande der Kylemore Road und die Margariten beim Teach Ceol, dem Haus der Musik am Ortsausgang von Tully. Leider öffnet es seine Pforten nur im Juli und August. Der Weg links rein führt zum Haus eines Malers, schön gelegen mit Blick auf Tully Lake und Heather Island. Ob die Insel noch jenem Nachfahren von Oliver St. John Gogarty gehört, der vor einigen Jahren A Year in Connemara schrieb? Sie dauerhaft zu bewohnen, hat die Familie wohl aufgegeben.

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Glasoileán, © Hildegard Vogt-KullmannZeit zu malen. ‘Das Boot II’, lautet der Arbeitstitel für das Werk, über das mein Mädchen heute hockt. Vielleicht wird auch ein ‘Morning is Broken’ daraus, denn der Morgen ist angebrochen am Strand von Glasoileán, der ‘Grüninsel’, wenn man den Namen zu übersetzen versucht. Doch noch ist nur das Wasser grün und das bei Ebbe erreichbare Inselchen liegt im Schatten.

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Am Nachmittag besuchen wir Johnnie, der am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Wäre er zehn Jahre jünger, erzählt er, hätte man ihn auf die Warteliste für eine Bypass-Operation gesetzt, doch bei seinen fast 85 Jahren sei das nicht mehr möglich. Der Kaminsims steht voll von Father’s Day Karten – der Tag muss eine ernsthafte Angelegenheit sein. Einen DVD-Player hat er bekommen, den er uns stolz vorführt. Sein einziger Film: Into The West, die DVD-Beilage des Irish Independent vom letzten Sonntag. Die letzten Szenen, erzählt er, wurden nicht weit von hier an der Dog’s Bay gedreht. Er habe sich den Film schon dreimal angeschaut, David Kelly, der den Großvater der beiden Jungen spielt, ist sein Lieblingsschauspieler. Wir lassen uns die Handlung erklären, derweil ich mir vornehme, ihm Waking Ned zu schicken, in dem David Kelly die Hauptrolle spielt.

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Den Abend verbringen wir in Lowry’s Bar in Clifden, wo an der Tür Music-to-nite mit Michael und Liam angekündigt war. Michael mit den grünen Augen, und während er sie schließt und ‘It’s a long, long, way from Clare to here’ singt, schmilzt mein Mädchen dahin.

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Donnerstag, 23. Juni 2005

Wir stehen auf der Fähre nach Inishbofin. Die Zeiten haben sich geändert, es ist nicht mehr die Dun Aengus mit dem alten Skipper Paddy O’Halloran, sondern eine an einigen Stellen etwas angerostete Island Discovery, die zweimal am Tag zwischen Cleggan und der Insel verkehrt. Doch fix ist sie, und nach nur 35 Minuten legen wir ein bisschen durchgeschaukelt am Kai an.

“If you take the High Road
And I take the Low Road ...”

singt man in Schottland, wenn man sich Loch Lomond nähert. Auch auf Inishbofin gibt es eine High und eine Low Road, zwei Straßen, die am Hafen beginnen und beim East End Village auf der anderen Inselseite enden, die High Road über den Berg führend und die andere drum herum. Doch das Spielchen mit dem Getrenntgehen und sich dann (laut Liedtext) nicht mehr treffen, machen wir nicht mit und nehmen gemeinsam die Low Road. Während ich die Kamera noch auf dieses und jenes richte, hat mein Mädchen oberhalb des Weges einen kleinen Craftshop entdeckt und pflegt als einzige Besucherin einen philosophischen Gedankenaustausch mit einer 74-jährigen Anne-Marie über ‘Inishbofin gestern und heute’, die Menschen, die Touristen und das Leben an sich.

Kommt man mit einer der Bewohnerin der grünen Insel ins Gespräch, so erhebt unweigerlich die Frage ‘do you have family’, ob man also Kinder hat oder nicht. Hat sich irgendwie nicht ergeben, antwortet mein Mädchen, doch habe sie manchmal etwas Angst vor der Einsamkeit im Alter. Dagegen seien die Kinder von heute auch keine Garantie, tröstet Anne-Marie, die würden meist fortziehen und sich nicht mehr blicken lassen.

Das East End ist der schönste Teil der Insel. Den in einem Reiseführer gepriesenen Lobster Pot gibt es nicht mehr, dafür aber ein Galley Cafe & Restaurant, auch wenn wir es nicht aufsuchen. Filmregisseur müsste man sein: Eine halbrunde Bucht, eingerahmt durch eine Natursteinmauer, dahinter die mehr oder weniger weißen Häuschen eines irischen Fischerdorfs. Drei Halbwüchsige buddeln mit ihren Spaten am Strand ...

... ein harmloser Zeitvertreib, meint der Zollinspektor, wundert sich höchstens, dass Jungs in dem Alter noch Sandburgen und Gräben bauen. Nun ja, mag er denken, auf einer abgelegenen Insel an der Westküste herrschen noch andere Sitten. Und so durchsuchen er und seine Mannen jeden Schuppen der Insel, nicht wissend, dass unter der Sandburg die Poitín-Produktion der vergangenen Woche ruht, bereit zur Verschiffung aufs Festland.

© 2005 Juergen KullmannSoweit der Plot zu einem Film, der nie gedreht wird. Määäh! An der Häuserzeile hinter uns zieht ein Trupp Schafe vorbei. Rasch ein Foto, dann brechen wir auf und folgen ihnen. Vorbei an von Schülern der lokalen National School im Rahmen einer Projektwoche künstlerisch bemalten Türen und Fensterläden zweier Schuppen, hinter denen wir die Schafe verlassen um über die High Road zum Hafen zurückzukehren, wo die Island Discovery bereits angelegt hat.

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Gegen sieben sind wir wieder im Cottage. Es klopft. Vor der Tür steht Margaret Anne, eine Tochter Johnnies, mit den besten Grüßen ihres Vater in Form eines Riesenbeutels Crab Claws frisch vom Kutter. Wir packen ihn erst einmal in den Kühlschrank, denn heute Abend gibt es Musik in der Bar des Renvyle House Hotels.

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Freitag, 24. Juni 2005

Wir fahren via Leenaun ins Joyce Country, nach Loch na Fuaiche. ‘See der Kälte’, versuche ich zu übersetzen. An Ghealtacht, warnt ein Schild. Ab hier gelten, so hat es der Minister im Frühjahr beschlossen, nur noch die irischen Ortsnamen. Spiegelglatt der See, über den sich längs ein heller Streifen zieht. Doch was macht man, wenn man ob seiner Kälte nicht ins Wasser geht? Man setzt sich auf einen Uferstein, blickt auf die Berge und beobachtet die Lichtflecken, die mit dem Zug der Wolken über ihre Flanken ziehen. Hinter uns schlägt eine Autotür zu, wir drehen uns um. Eine Mutter mit drei Kindern im Vorschulalter kommt zum Ufer. Todesmutig stapfen die Kleinen ins Wasser.

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Zwei Stunden später ist es wieder ein Wasser, über das wir schauen, doch diesmal der Killary Harbour. Wir sitzen an einem der beiden Tische vor dem Leenaun Cultural Centre, vor uns zwei Pötte Tee und zwei Stücke Cheese Cake, aus denen man gut und gerne hätte vier machen können. “Unser VIP-Bonus”, meint mein Mädchen.

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Johnnie Coyne, © 2004 Juergen KullmannAuf dem Heimweg ein Stopp bei Johnnie in Mullaghgloss, um uns für die gestrigen Crab Claws zu bedanken. Wir platzen in ein Familientreffen. Besuch aus Philadelphia ist eingetroffen, und zwei 10- bis 12-jährige Mädchen von jenseits des Großen Teiches spielen mit ihrem fast 85-jährigen Großonkel, der zehn Tage nach seiner Herzattacke die Fiddle wieder zur Hand genommen hat, Jigs, Reels und Hornpipes – wobei der Großonkel mitunter mehr Tempo vorlegt. Die Titel irischer Tänze sind eine Sache für sich und haben nur selten einen Bezug zur Melodie, schon eher zur Person ihres Schöpfers und der Situation, in der sie kreiert wurden. Und was spielt ihr jetzt, fragt Johnnies amerikanischer Neffe: “When Johnnie Gave Up Drinking oder The Man Without A Liver?

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Johnnies Crab Claws, © 2005 Juergen KullmannIf I had a hammer ... wir haben einen, und das ist gut so. Ohne Hammer ständen wir dumm da, denn ein Hammer ist das einzige Werkzeug, hatte uns Anne Jack am Vormittag erklärt, mit dem sich Crab Claws – nach dem Kochen, versteht sich – knacken lassen. Also hämmern wir wie die Weltmeister, um an unser Dinner zu gelangen, und machen ein paar dokumentarische Fotos, die wir dem edlen Spender bei Gelegenheit nach Mullaghgloss schicken werden. Zum Tagesabschluss huschen wir dann ins Paddy Coyne’s. Das Mädel hinter der Bar hält fragend zwei Finger hoch. Ein Nicken genügt: Two pints Guinness, the same procedure as every evening.

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Sonnabend, 25. Juni 2005

Der geschenkte Tag, denn Anne Jack berechnet ihn uns nicht. Nach alter Sitte wären wir heute nach Deutschland zurückgeflogen, doch Aer Lingus hat den Samstagnachmittag-Flug gestrichen, und wer mag schon um Mitternacht aufbrechen, um gegen sieben in der Früh in Dublin zu sein. So hängen wir einen Tag dran und fliegen erst morgen Nachmittag.

 
Einmal um Lough Tully – die kleine Halbinselumrundung

Am Teach Ceol, dem ‘Haus der Musik’ am Ortsausgang von Tully, führt links ein Weg hoch, vorbei an einigen Cottages, die nicht die schlechtesten sind und nach Süden einen wunderbaren Blick auf den See und Heather Island haben. Rechts von uns ein Hügel mit einem Sendemast, dann wird der Asphalt zu Schotter und wir passieren ein zwischen Bäumen verstecktes Anwesen, ehe sich der Blick zur Nordspitze der Halbinsel öffnet. Der Weg mündet in eine Querstraße, rechts unten das Renvyle House Hotel, links der Berg.

Wanderung auf RenvyleWir entscheiden uns für den Berg und wandern an seiner Flanke zum Derryinver Quay hinunter. Nur wenige Häuser säumen linkerhand die Straße, neben einem ein großer Garten, in dem eine junge Frau Unkraut zwischen Kartoffelreihen jätet. Im Norden sieht man das Renvyle House Hotel, dahinter das Meer und jenseits der Bucht die kahlen Berge Mayos mit dem Croagh Patrick, der seinen Gipfel wieder einmal in den Wolken verbirgt.

Die Frau blickt auf und winkt, wir winken zurück und wandern weiter. Auf einem Hügel hinter einem zweiten Anwesen stehen Megalithen, doch No Access! warnen unfreundlich zwei Pappschilder. Dann sind wir am Kai und sinnieren über die besseren Tage des verrosteten Kahns am Anleger, ehe es über das Moor nach Tully Cross zurückgeht.

 
Bei Maggie

Es wird Abend. Die Koffer für die Abreise sind mehr oder weniger gepackt, unsere sonstigen Besitztümer in zwei Private-Property-Taschen auf dem Dachboden verstaut. Das Cottage hat seine persönliche Note verloren.

Nebenan bei Maggie, der Frau des Undertakers, sitzt Anne Jack auf der Mauer. Mein Mädchen huscht hinüber, um sie wegen der Strom- und Gasrechnung anzusprechen, derweil ich zu Brian in den Laden gehe, um uns für dieses Jahr zu verabschieden.

Ich trete aus der Ladentür und die Liebste winkt: Maggie hat uns zu einem Glas Wein eingeladen. Es ist wohl nicht die erste Flasche, die sie heute Abend öffnet. Anne ist ganz fidel und hat keine Lust, irgendeine Abrechnung zu machen. Wir könnten den Strom- und Gasverbrauch doch selbst ermitteln, die Daten in das Verbrauchsbuch einzutragen und das Geld bei der Abreise auf den Tisch legen. Man philosophiert über die Fixpunkte des Lebens, die Studenten, die in jedem Frühjahr kommen und die Kullmanns, die ihnen im Juni folgen. Und wenn es den Kullmanns gefällt, außer der Reihe zu einem zweiten Besuch im Oktober zu kommen, meint manch einer, er hätte einen Geist gesehen oder ein Dreivierteljahr verschlafen. Auch erhalten wir das hochheilige Versprechen, dass man No. 1 nicht abbrennen lässt und bei künftigen ‘Improvements’ stets mit No. 1 beginnen wird.

Schließlich bittet Maggie zu den Ahnengalerien ins Haus, ihre Vorfahren – sie ist eine Nichte von Johnnie – an der rechten Wand des Living Room, Noels an der linken. “Eure Gläser sind leer?!” Eine weitere Flasche wird geöffnet und die Führung fortgesetzt: wer ist wer und wie mit wem verwandt. Doch dann müssen wir fort, denn wir haben Frank und Charlie versprochen, unseren letzten Abend bei ihnen in Molly’s Bar zu verbringen. Also dann,

... so fill to us the parting glass,
Good night and joy be with you all.

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Reiseberichte Irland: Connemara 2005
© 2006 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 20.02.2007