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egen von früh bis spät. Mein Mädchen malt und kümmert sich um das Torffeuer. Ich schreibe ein wenig in dieses Buch, nehme mir dann ein paar Ansichtskarten vor.
Die Karten sind geschrieben und es wird Abend. “Dinner Time”, ruft jemand aus der Küche, “deckst du schon mal den Tisch?” Das kann ich besser als Kochen: eine neue Decke, Blumen von der Fuchsienhecke hinter dem Cottage, eine Kerze. Und natürlich die Speisekarte, die noch gemalt werden muss:
An Teach Ceann Tuí, Uimher 1
MENU
STARTER
Baked Garlic Mushrooms
MAIN COURSE
Grilled Trout on a
Creamy Mustard & Wine Sauce
Baked Potatoes
Fresh Salad in a Dill Sauce
DESERT
Irish Coffee
Ab zehn gibt es Musik in Molly’s Bar in Letterfrack, bekannt auch als ‘der raue Pub’. Doch heute Nacht geht es weniger lärmend zu als letzte Woche. Séamus Mulligan, der gestern Abend in Cleggan unseren Weg kreuzte, sitzt vor einem Pint Guinness – ein gutes Zeichen, denn er weiß, wann und wo es gute Musik gibt. Die Musiker, diesmal in gälischer Lesart:
Séarlas Ó Maille: Knopfakkordeon
Frainc Ó Cadhain: Gesang, Gitarre, Banjo und Tinwhistle
Singen glaubt auch Séamus zu können. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellt.
uf dem Weg nach Roundstone machen wir bei den ‘Joyces of Recess’ halt. Mein Mädchen erwirbt einen Pullover – die neue Kreditkarte tut ihren Dienst. Auf der anderen Straßenseite am Ufer des Loch Ghleann Dá Loch (ein seltsamer Name, See des Zweiseen-Tals?) ein Mahnmal mit Bronzeplatte. Der historisch interessierte Besucher tritt näher und liest:
Roundstone ist ein freundliches Örtchen am Errisbeg mit Blick auf einen Hafen, das Meer und die Twelve Bens. Vom Bungalow-
Voll ist es heute. Begegnen sich zwei Autos, so müssen sich die Fahrer einigen, wer sich in eine Lücke am Straßenrand zu quetschen hat um den anderen passieren zu lassen. Besonders spannend ist dies für die Zuschauer, wenn eines der Gefährte ein Bus ist. Wir sitzen derweil in einem Coffee Shop, vor uns eine ‘Smoked Salmon Quiche’. Die Beilagen Chips und Salat sind in diesem Land für eine Quiche nicht ungewöhnlich. Der Hafen, den wir durch das Fenster sehen und dem der Ort seine Existenz verdankt, wurde von Alexander Nimmo erbaut, einem brillanten, in Schottland geborenen Ingenieur, der 1822 zum Engineer to the Western District ernannt wurde. Die Straße von Oughterard nach Clifden ist auch sein Werk.
So gestärkt wandern wir eine Stunde später den Hang hoch und finden einen Weg, der mehr oder weniger parallel zur Bucht und Straße verläuft. Vor uns dunkel die Twelve Bens, rechts die Roundstone Bay mit ihren vorgelagerten Inseln. Brücken verbinden sie untereinander und mit dem Festland, doch von hier aus sieht manches romantischer aus als vor Ort.
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Es ist später Nachmittag und wir wollen via Clifden nach Renvyle zurück, über die lange, einsame Straße durch die Roundstone Bogs. Vor einigen Jahren spukte in den Köpfen ehrgeiziger Lokalpolitiker die Idee, hier einen ‘Air Strip,’ einen Flugzeuglandeplatz für Clifden zu installieren, doch zum Glück ist der Plan nun vom Tisch.
Mit den Bergen der Twelve Bens zur Rechten windet sich die Straße Kilometer für Kilometer durch die hügelige Moorlandschaft. Da steht plötzlich mit hochgeklappter Motorhaube ein altertümliches Auto vor uns auf der Straße, daneben hilflos sein noch älterer Besitzer. Der Wagen sei einfach stehengeblieben! Was nun? Mit einiger Mühe gelingt es uns den Herrn davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee sei, sein Gefährt zur Seite zu schieben. Gesagt und mit vereinten Kräften getan. Dann haben wir Glück, denn einem hinter uns haltenden Wagen entsteigt ein Mann, der sowohl mit dem Dialekt hiesiger Bauern als auch Automotoren vertrauter zu sein scheint als wir. Also passieren wir nach einem Abschiedsgruß die über den Motor gebeugten Herren und fahren weiter.
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Am Abend gibt es nicht nur Musik und Guinness im Angler’s Rest, sondern auch Klatsch und Tratsch. So erfahren wir, dass die so fromm und unschuldig ausschauende *** erst nach der Geburt ihres zweiten Kindes von Papa zur Heirat überredet werden konnte. Das Hochzeitsessen für zweihundert Personen dürfte ihm eine schöne Stange Geld gekostet haben. Einfach ‘shocking’ die Affäre, meint unser Informant, so etwas hätte es früher nicht gegeben.
Und erst recht nicht die Geschichte von ***s Tochter. Hatte sie doch ihre Schwangerschaft solange verschwiegen, bis es nichts mehr zu verschweigen gab. “Kind”, soll der Vater und fleißige Kirchgänger reagiert haben, “hätt’st du doch was gesagt, und wir hätten dich nach England zum Wegmachen geschickt”. Worauf ihm sein Töchterchen cool mitteilte, Wegmachen käme gar nicht in die Tüte und Heiraten sei altmodisch. Mit Hilfe eines Grundstücks ließ sie sich aber doch dazu überreden, und heute präsentiert sich *** als stolzer Großvater. Soviel für heute aus dem katholischen irischen Westen.
ir fahren nach Cleggan, schauen uns am Hafen um und sind verdutzt: in den letzten zwölf Monaten hat sich hier mehr getan als in all den Jahren zuvor. Wie es scheint, wurde das vordere Hafenbecken ausgebaggert, denn wo jahrelang ein alter Kahn im Schlick vor Anker lag, schaukeln nun drei Schiffe im Wasser. Und das bei Ebbe! Vielleicht hängt der Aufschwung damit zusammen, dass ein paar Meilen vor der Küste Inishbofin an die Stromversorgung angeschlossen und von hier aus alles organisiert wird.
Wir wandern den Schotterweg Richtung Strand hoch, als wie aus dem Nichts der ‘Stöckchen-
Am Strand packt sich das Zotteltier das erste ihm vor die Pfoten kommende Stöckchen und legt es uns zu Füßen – doch diesmal lassen wir uns nicht auf das Spiel ein. So gibt er nach einer Weile auf und versucht sein Glück bei drei anderen Besuchern, die gerade die Böschung herunterklettern.
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Am Abend in Barry’s Hotelbar in Clifden. Im Unterschied zu ‘echten Pubs’ sitzen hier fast nur Gäste, die die Musik hören statt mit ihr um die Wette quatschen wollen. Eigentlich sollten heute Nacht Kieran und Johnnie spielen, doch Papa Coyne sei ‘sick from the drugs’, erzählt sein Sohn, er habe zuviel geraucht und sich den Hals entzündet. So muss Bruder Frank einspringen, spielt Ride On von Christy Moore für ‘Schicksela from Germany’ – die vorgestern abgereist ist. Wir werden es ihr berichten. Eine kleine Japanerin lächelt still vor sich hin und klatscht zierlich in die Händchen.
estern Nacht feierte der Erzdruide von Irland & Tara mit seinen Anhängern auf dem Hügel von Tara die Sommersonnenwende; ohne uns, denn wir wollen nach Galway ins Theater und müssen ausgeschlafen sein.
Das Townhall Theatre ist ausgebucht, die Truppe spielt Moll, ein Stück von John B. Keane aus den 70-er Jahren. Eine ländliche Komödie über drei Priester und ihre gemeinsame Haushälterin, eine leidenschaftliche Bingospielerin, die das Kommando über die drei geistlichen Herren und die Gemeinde hat. Ein Stück irisches Ohnsorg Theater von mäßiger Lustigkeit.
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Es ist noch hell, als wir uns gegen zehn Uhr auf den Heimweg machen. Unwirklich die Landschaft im Zwielicht zwischen Sonnenuntergang und Nacht. The Celtic Twilight, die Feen erwachen. Eine Zeit, zu der wir noch nie auf dieser Strecke unterwegs waren. In Maam Cross schalte ich das Fernlicht ein und bei Recess wird es dann richtig dunkel. Menschenleer das Inagh Valley, nicht ein Auto kommt uns entgegen. Grün leuchten die Augen der Schafe am Wegesrand. Man sieht sie lange vor ihren Besitzern, und das ist gut so. Ein Lamm ruht mitten auf der Straße, macht keine Anstalten aufzustehen. Vorsichtig kurve ich drumherum, es bleibt nicht viel Platz bis zum Wasser. Vor uns eine Kolonne, drei Schafe trotten uns entgegen. “Gisela, Hildegard und Jürgen auf dem Weg in den Pub”, meint mein Mädchen. Ob unsere Augen auch so grün leuchten?
Eine Viertelstunde vor Mitternacht sind wir wieder daheim. Das Renvyle Inn lässt uns noch rein und wir ordern zwei Guinness, ehe die Bar endgültig schließt. Frank, heute Nacht hier engagiert, singt Molly McGuire’s, dann Amhrán na bhFíann, und das war’s.
urz vor Johnnies Haus zweigt links ein Schotterweg Richtung Meer ab. ‘Mullaghgloss Beach’, lesen wir in einen Felsbrocken gemeißelt. Der Hinweis ist recht neu, der Weg um so älter, aber wir sind ihn bislang nie gegangen.
Am Ende des Wegs rechts das ‘Graue Haus am Meer’, das man von unserem ‘Friedhofsweg’ aus sieht, links eine Art englischer Garten, durch den ein Flüsschen fließt um kurz darauf im Meer zu münden. Vor einigen Jahren gab es einen Aufruhr. Ein Franzose hatte das Anwesen gekauft und wollte den Weg zum Meer, den die Menschen der umliegenden Bauernschaften nach Berichten glaubwürdiger Zeitzeugen seit mehr als 1000 Jahren nutzen, von wegen Privatbesitz sperren. Im Paddy Coyne’s wurde eine Musiknacht veranstaltet und Geld für einen Rechtsanwalt gesammelt. Dann ging die Sache vor Gericht. Das Dorf gewann den Prozess und der Zugang zum Meer blieb frei. Und so können wir nun am felsigen Ufer des Mullaghgloss-
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Nachts auf der Heimfahrt – wir haben wieder einmal den Fahrdienst von der Central Bar nach Mullaghgloss übernommen – erzählt uns Johnnie von der Hochzeit, die uns neulich im Paddy Coyne’s überraschte hatte. Die Braut war seine Nichte und der Bräutigam erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden. Er hatte sich mehrere Jahre Haft wegen IRA-
* Das Abkommen vom Karfreitag 1998 führte nach langem Hin & Her zur Bildung einer nordirischen Regionalregierung unter Beteiligung aller Parteien.
ir stehen auf dem Cregg, einem der Twelve Bens. Der Sendemast ist bei klarem Wetter noch von Tully Cross aus zu sehen; als seinerzeit Guy St. John Williams auf Heather Island seinen Telefonanschluss bekam, wurde die Antenne darauf ausgerichtet.
Ein paar Kilometer hinter Letterfrack biegt kurz nach der Zufahrt zum Rossleague Manor House links der Weg zum Cregg ab. Bald wird die Straße zur Schotterpiste und das Kurven um die Pot Holes zum Abenteuer. Nur nicht mit einem Rad in einem Loch hängen zu bleiben und am Boden aufsetzen! Eine menschenleere Gegend, an Nord-
Auf dem Gipfel streicht ein RTÉ-
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Zwei Stunden später: Die geräucherte Makrele in Oliver Coyne’s Pub zu Cleggan ist uralt und zäh, zum Ausgleich dafür mache ich ein paar hoffentlich hübsche Aufnahmen vom Hafen. Dann fahren wir an den Renvyle-
Das Haus, ursprünglich als billiges Fertighaus errichtet und mit alemannischer Solidität und viel Eigenarbeit renoviert und vergrößert, strahlt eine freundliche Atmosphäre aus. Aufgesetzt auf die Garage ein Anbau, der ‘Leuchtturm’: Ein Schlafzimmer, in dem man beim Aufwachen vom Bett aus den Sonnenaufgang über den Bergen Mayos beobachten kann. Regine und Rainer zeigen uns stolz ihr Anwesen, und mein Mädchen träumt von einem eigenen Regenbogenhaus auf einem Hügel.
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Am Abend halten wir auf der Fahrt ins Leenane-
ieder ein herrlicher Sommertag. Schon gibt es am Vormittag kaum noch freie Parkplätze in Clifden, die Saison naht. Wir fahren die Sky Road hoch, parken an der höchsten Stelle. 1992 hat mich mein Mädchen hier auf der Mauer sitzend fotografiert – das Hemd habe ich noch, nur hat es Farbe verloren. Der Bart auch.
Links die Clifden Bay, rechts steigt der Hang noch weiter an. Wir finden einen Weg nach oben und haben nun einen Blick auf beide Seiten der Landzunge, um die sich die Himmelsstraße windet. Im Süden die Küste Connemaras, Slyne Head deutlich zu erkennen. Im Westen hinter dem Horizont An tOílean Úr, die neue Insel, wie Amerika in alten gälischen Liedern heißt, und nicht gar so weit im Norden machen wir den Tully Mountain aus. Selbst hier auf der Kuppe ist es windstill. Die See glänzt, und unter uns kurvt ein Flugzeug tief über dem Wasser.
Zurück zum Auto und in die Stadt. In der Räucherei hinter dem Ortsausgang holen wir den am letzten Freitag georderten Lachs ab. Der bretonische Besitzer zeigt uns das Anwesen und erläutert seine einzigartige Technik, die zum Entwässern kein Salz benötigt, das hinterher entfernt werden muss. An der Pinwand im Verkaufsraum der Räucherei der Prospekt eines Großhändlers mit Farb- und Zusatzstoffen für jeden Kundengeschmack. Wir sind irritiert, fragen, wozu er dergleichen braucht. “Gar nicht!” Er lacht, spricht besser Deutsch als Englisch. Dann hätte er das Angebot wohl kaum aufgehängt. Nein, er wolle nur zeigen, mit welchen Tricks die Konkurrenten arbeiten. Am Ende zahlen wir guten Gewissens zirka 75 DM für etwas mehr als ein Kilogramm Wildlachs.
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Es ist Nachmittag. Wir sitzen vor dem Cottage, verzehren den aus Walsh’s Bäckerei mitgebrachten Kuchen. Charlie fährt vorbei; nach seinem Auto zu urteilen, ist sein Lebensstandard in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Früher fuhr er Jahreswagen, hatte oft mehrere in Reserve. Darunter versteht man Autos, die mit etwas Glück noch ein Jahr halten. Doch nun wird es uns hier draußen zu windig. Wir gehen ins Haus und machen uns an die deprimierende Aufgabe die Koffer zu packen.
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Am Abend fahren wir ein letztes Mal zur Pier Bar nach Cleggan und verabschieden uns von Frank und Kieran. Frank verspricht zu schreiben, Kieran küsst mein Mädchen good-
Sin a bhfuil – das war’s!
Reiseberichte Irland: Connemara 1999
© 2001 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 21.07.2006