Pigi’s kleine Geschichten

von Marie Louise Lagger

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Eine bescheidene Frage

In den frühen siebziger Jahren fuhr ein Bekannter von mir, nennen wir ihn Peter, mit seiner Frau durch Connemara. Sie waren in ihrem Schweizer Auto unterwegs. Der Tourismus war noch nicht entwickelt, und Autos mit fremden Nummernschildern erregten, wenn sie nicht gerade englisch waren, Aufsehen. Die beiden erfreuten sich an der wildromantischen Landschaft und vergaßen Gott und die Welt. Da bemerkte Peter, dass das rote Lämpchen der Benzinuhr blinkte.

Na Beanna BeolaO Schreck, wie jetzt eine Tankstelle finden? Nach einer Weile hörte das Lämpchen zwar auf zu blinken, leuchtete jedoch nun dauerhaft. Die Lage wurde ernst. Was tun? Langsam begann es zu dämmern. Die beiden holten zum x-ten Mal ihre Straßenkarte hervor, doch die half ihnen nicht weiter, denn dort standen nur die englischen Ortsnamen, während auf den Schildern die gälischen zu lesen waren. Es war zum Mäusemelken. Endlich trafen sie auf einen Bauern, der mit seinem Traktor am Straßenrand stand, und fragten ihn nach der nächsten Tankstelle. Nach zirka zehn Minuten Fahrt, beruhigte er sie, würden sie zu einem größeren Dorf kommen und dort eine Tankstelle finden. Guter Dinge fuhren sie weiter.

Das größere Dorf entpuppte sich als eine Kirche, einen Friedhof und ein Haus, in dem sich die Post, der Dorfladen und ein Pub befanden. Von einer Tankstelle keine Spur. Sie fragten im Pub, wo man denn tanken könne. „No problem, follow me!“ Der Pubbesitzer war ein älterer Ire mit einem sehr ausdrucksvollen Connemara-Akzent. Hinter seinem Haus lag ein Gartenschlauch. Der Mann schob ihn in den Autotank, ging zum Haus zurück und fragte, wie viel Benzin sie denn wollten. Peter nannte die Menge, und er öffnete einen Hahn an der Wand.

Ein Zähler? Fehlanzeige! Der Mann schielte auf seine Armbanduhr und drehte den Hahn nach einer Weile zu. Peter staunte und ging zum Auto zurück: der Tank war voll und kein Tröpfchen danebengegangen! Sie tratschten noch eine Weile, dann ging der Ire mehrmals um das Auto, besah sich das Nummernschild und das CH-Zeichen und schüttelte den Kopf. Er schien scharf nachzudenken. „Ist alles in Ordnung?“ fragte Peter. Der Ire beruhigte ihn: „Doch, doch Sir, es stimmt schon alles, aber darf ich Sie noch etwas fragen?“ Peter: „Klar, natürlich.“ Der Ire, nun ein wenig verlegen: „Nun, nach einem Chinesen sehen Sie mir irgendwie nicht aus, oder?“ und wies auf das CH-Zeichen am Auto.

Peter war sprachlos. Es dauerte eine ganze Weile, bis er die Frage verstand. Dann beruhigte er den Iren: „Nein, wir sind Schweizer“. Das schien ihm nicht gerade viel zu sagen, doch er verabschiedete sich freundlich und stapfte in seinen Pub zurück. Peter und seine Frau aber fuhren schmunzelnd weiter. Für Chinesen hatte man sie bis dato noch nie gehalten.

 
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© 2009 Marie Louise Lagger / Lektorat JK