Katjas irischer Flickenteppich

von Katja Heimann-Kiefer

<     

Reisen bildet

An bhfuil scéal agat – hast du eine Geschichte dabei? begrüßt man auf Gälisch den Heimkehrer oder Fremden. Wer reist, hat etwas zu erzählen, und an manchem Feierabend erinnerten wir uns an die Zeit, in der wir als Studenten das Land erkundet hatten, wozu wir als Mitglieder der „Irish workforce“ nun so selten kamen.

Im Tal von Glencolumbkille

Meine erste Entdeckungsreise unternahm ich zu Beginn meines Auslandssemesters noch vor dem Start der Uni-Veranstaltungen. Nachdem wir uns in Dublin Unterkünfte gesucht hatten, brach ich mit meinen Kommilitoninnen von der Hildesheimer Universität nach Glencolumbkille auf, wo eine Gruppe unserer Studentengemeinde weilte. Noch heute ist das Tal von Glencolumbkille für mich eine der schönsten Gegenden Irlands. Wir wohnten in dem kleinen Hostel, das dicht an der Küste oben am Hang thront, man hat von dort einen wunderbaren Blick auf Bucht und Tal.

GlencolumbkilleEines Abends gingen wir zu Fuß in ein Pub, das uns empfohlen worden war, weil sich dort die Einheimischen zum gemeinsamen Musizieren trafen. Dort wurden wir in der Tat Zeugen einer echten Session. Einige Musiker waren bereits vor Ort und spielten. Nach und nach kamen weitere hinzu, doch dann war erst einmal Pause. Man hatte ja Zeit (Closing time, was ist das?), kannte sich und hielt ein Pläuschchen. Dann wurde wieder musiziert. Je später es wurde, desto mehr gaben auch andere Anwesende Lieder zum Besten. Ich war sehr beeindruckt und kam an jenem Abend zu der Überzeugung, dass einfach alle Iren gut singen können! Da offensichtlich war, dass wir nicht aus der Gegend stammten, wurden wir aufgefordert, deutsche Lieder zu singen – und mussten zu unserer Schande feststellen, dass wir von allen uns bekannten Volksliedern bestenfalls die erste Strophe wussten.

Und ein irisches Lied? Unter dem Einfluss des guten Guinness mutig geworden, probte ich heimlich im Damenklo – alles bestens! – und wagte mich dann mit einem Vortrag von The Star of the County Down an die Öffentlichkeit. Doch auf die gelungene Generalprobe bei den „Ladies“ folgte eine weniger glänzende Premiere in der Bar, denn ich wurde vor Publikum so aufgeregt und unsicher, dass man es meiner Stimme anhörte. Dennoch wurde ich mit Applaus belohnt, denn in Irland weiß man es zu würdigen, wenn ein Besucher ein irisches Lied zu singen weiß und es sich mit

From Bantry Bay up to Derry Quay
And from Galway to Dublin Town,
No maid I’ve seen like the brown colleen,
That I met in the County Down....

dann auch noch zutraut. Doch wäre der Vortrag auch noch so genial gewesen, mit den Stars of the County Donegal, die wir auf unserem einstündigen Fußmarsch zum Hostel zurück Zeit zu bewundern hatten, hätte mein Star aus dem County Down nicht konkurrieren können: über uns der wunderschönste Sternenhimmel, in dem die Sterne um so heller leuchteten, da weit und breit kein von Menschen gemachtes Licht war.

 
Hostels

Es war schon kurios, was wir auf unseren Reisen durchs Land an Hostels vorfanden. Eines, irgendwo im Süden, war mehr oder weniger eine Wellblechhütte ohne jede Wärmeisolierung, was uns – es war Herbst/Winter – ziemlich kalte Nächte bescherte. Dafür gab es am Morgen freilaufende Eier, free-range eggs.

Ich glaube, es passierte in diesem Hostel, dass wir uns eines Abends Nudeln kochten und nicht sicher waren, ob die Menge reichen würde. Weil es so unglaublich lange dauerte, bis das Wasser auf dem funzeligen Herd heiß wurde, hatten wir gleich einen zweiten großen Pott Wasser aufgestellt. Nun, die erste Fuhre Nudeln reichte dann doch, und so konnten wir uns mit dem inzwischen kochenden Wasser zum Nachtisch eine Kanne Tee aufgießen – den ekligsten meines Lebens, denn wir hatten vergessen, dass wir das Wasser beim Aufstellen bereits gesalzen hatten!

Bemerkenswert auch das Hostel in Pollathomas, Co. Mayo. Hier war es bei unserer Ankunft – wahrlich und ungelogen – drinnen kälter als draußen. Wobei es draußen schon ungemütlich genug war! Als wir im Haus waren, wurde es natürlich etwas wärmer, und wir entfachten ein Feuer im Kamin. Irgend etwas muss allerdings mit dem Abzug nicht gestimmt haben, denn nach einer Weile sah man kaum noch die gegenüber liegende Ecke des Raumes, so dicht hing der Torfrauch im Zimmer. Also definitiv Zeit, ins Pub zu gehen! Dort wurde es dann richtig lustig, zumindest für meine Freundin und mich, während unser Begleiter an jenem Abend nicht so gut gelaunt war und die zwei kichernden Damen an seiner Seite eher peinlich fand. Wir konnten ihn noch lange damit necken!

Ein anderes Mal stießen wir in West Cork auf ein Hostel, das eigentlich schon zum Winter geschlossen hatte. Der deutsche Besitzer war aber so freundlich, es für uns aufzuschließen, so dass wir unsere Schlafsäcke ausbreiten konnten. So gut es ging, versuchten wir es uns gemütlich zu machen, als wir zu schnuppern begannen: Roch es da nicht nach Gas? Und hatte der Besitzer nicht irgendetwas von einer kaputten Heizung gemurmelt ...? Wir zogen es dann doch vor, ein anderes Nachtquartier zu suchen.

DonegalLegendär in unserem Bekanntenkreis ist ein Hostel in Letterkenny, Co. Donegal. Hier übernachteten wir, als ein Freund und ich Frank während seines Auslandssemesters besuchten. Nachts wurden wir einige Male aus dem Schlaf gerissen, als Nachzügler, die das Nachtleben des 8.000-Seelen-Ortes voll auskosteten, an der Tür klingelten und hereingelassen werden wollten.

Im Hostel wurde gerade die Küche umgebaut, daher stand in jedem Schlafsaal ein Wasserkocher, und wir wurden gebeten dort zu frühstücken – kein Problem! Als wir dann morgens um den kleinen Tisch hockten, lag in dem Bett daneben ein Pärchen, das wohl erst in der Nacht angekommen war. Dass unsere fünfköpfige Gruppe direkt neben ihnen saß, schien sie nicht im geringsten in ihren Aktivitäten (die einige aus unserer Gruppe bereits nachts wachgehalten hatten – Frank hatte sich beispielsweise gewundert, warum sein Bett so schwankte) zu stören. Doch der Gipfel kam erst noch: Ein anderer Gast näherte sich dem Bett und erklärte vorsichtig, er habe am Abend zuvor seinen Schlafanzug und Kulturbeutel auf eben dieses Bett gelegt, weil er eigentlich dort hatte schlafen wollen, und hätte jetzt gerne seine Sachen wieder. Ob sie vielleicht mal kurz nachschauen könnten ...? „Nein!“ lautete die Antwort – man hatte Wichtigeres zu tun als sich um solche Profanitäten zu kümmern. Wir halfen dem Frager, den ganzen Raum zu durchsuchen, aber seine Sachen tauchten nicht auf. Also bat er das Paar im Bett noch einmal, nachzuschauen. Und siehe da: Ein Griff unter die gemeinsame Decke, und Schlafanzug und Kulturbeutel waren gefunden!

 
Wie ich nicht von den Klippen von Moher fiel

Blowin’ in the wind, doch bitteschön nicht von den Klippen von Moher! Eine meiner Reisen habe ich vermutlich nur mit einer Portion Glück überlebt. Eigentlich wollten ein Kommilitone und ich auf die Aran Islands fahren, aber an jenem Wochenende war es so stürmisch, dass die Fähre nicht verkehrte. Also erkundeten wir County Clare und den Burren. Ich war noch nie an den Cliffs of Moher gewesen und wollte mir, wo ich schon einmal in der Nähe war, diese Sehenswürdigkeit nicht entgehen lassen. Mein Begleiter kannte sie schon, daher setzte er mich am Ende des Parkplatzes vor den Klippen ab und fuhr zurück in Richtung Besucherzentrum.

Viel gesehen habe ich von den Klippen nicht, denn kaum war mein Begleiter fort, stellte ich fest, dass der Sturm – der ich mir zwar bewusst gewesen war, über den ich mir aber keine großartigen Gedanken gemacht hatte – vom Land in Richtung Meer blies. Zwischen dem Parkplatz und den ungesicherten Klippen standen lediglich einige breite, bestenfalls hüfthohe Steinpfosten, und mir wurde schnell klar, dass es keine gute Idee wäre, näher an die Klippen heranzugehen. Ich wollte umkehren, doch das war leichter gedacht als getan, und bei der nächsten Bö lag ich bäuchlings auf dem nächsten Pfosten, an den ich mich festklammern konnte. Nun bekam ich richtig Angst! Schließlich schaffte ich es, mich in den Momenten, in denen der Wind ein kleines bisschen nachließ, zu einem Mäuerchen vorzuarbeiten, das den Parkplatz begrenzte und von den Klippen wegführte. An diesem zog ich mich in den Pausen zwischen den stärksten Sturmböen weiter entlang. Die Klippen waren mir schnurzegal, ich wollte nur noch zurück in das schützende Auto. Doch leider wurde das Mäuerchen immer niedriger, so dass es mir im tosenden Sturm kaum noch Halt bot. Zu meinem Glück kam nach einer Weile ein anderes Auto in Richtung Klippen gefahren, und entweder gelang es mir, die Insassen auf mich aufmerksam zu machen, oder sie sahen selbst, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Sie kamen heran, ich kletterte ins Auto und sie brachten mich zur Parkplatzeinfahrt zurück – wo meinem Begleiter die filmreife Vorführung völlig entgangen war!

 
 top 


© 2004 Katja Heimann-Kiefer