ir müssen unbedingt von Barney erzählen, einem der bemerkens- und bewundernswertesten Menschen, dem wir je begegneten.
Während meines Dubliner Auslandssemesters im Winter 1989/90 wohnte ein Kommilitone von mir bei Barney, der als Vermieter an die Hildesheimer Studenten der kommenden Jahre „weitergereicht“ wurde. So konnte Frank, als er im Gefolge seiner Mitbewohner in Raheny rausgeworfen wurde, bei Barney unterkommen.
Barney war damals in den Siebzigern und saß im Rollstuhl. Im Alter von 60 Jahren, seine Frau war gerade gestorben, wurde er in Folge einer Impfung gelähmt, war lange bettlägerig und pflegebedürftig, und viele Freunde wandten sich von ihm ab. Vor die Wahl gestellt, im Bett zugrunde zu gehen oder wieder auf die Beine zu kommen, habe er sich für das zweite entschieden, erzählte er Frank, und mit seinem Willen und starken Glauben schaffte er es. Als wir später in Bray wohnten, kam er bei jedem unserer Besuche zu Fuß an die Tür und öffnete.
Als wir ihn kennen lernten – ich noch ein Jahr vor Frank –, saß er im Rollstuhl, konnte aber schon einige Schritte gehen und sich selbst versorgen sowie kleinere Einkäufe machen, größere wurden ins Haus geliefert. Regelmäßige Kirchenbesuche gehörten wie Pubbesuche zu seinem Alltag, und auch sein Hund forderte ihm regelmäßige Spaziergänge ab.
Die von ihm nicht genutzten Zimmer hatte er an Studenten vermietet; so war stets Leben im Haus und er von jungen Menschen umgeben. Einige seiner Untermieter hielten nach ihrem Studium den Kontakt mit ihm aufrecht, und er verfolgte ihren Lebensweg mit Interesse und Stolz.
Frank berichtet:
Seine Tür war immer offen. Er freute sich, wenn sich „seine“ Studenten zu ihm gesellten, akzeptierte es aber auch, wenn wir uns zurückzogen. Wie oft haben wir bis spät in die Nacht bei ihm gesessen und über Gott und die Welt geredet, ganz spontan, wo wir doch eigentlich nur einen Tee trinken wollten.
Was die Wochenmiete betraf, so vertraute er uns. Ich weiß nicht mehr, wie viele Male wir dastanden und überlegten, ob wir ihm das Geld schon gegeben hatten oder nicht.
Barney stammte aus Dundalk an der Grenze zu Nordirland. Er sprach fließend Irisch, hatte eine Schule besucht, in der Irisch noch Unterrichtssprache war. Zur Zeit der „electrification“, als im ganzen Land das Stromnetz aufgebaut wurde, arbeitete er für das ESB und zog über die Dörfer, um den Bauern die Vorteile eines Stromanschlusses nahe zu bringen, wobei ihm seine Irischkenntnisse sehr zustatten kamen.
Als Barney 80 wurde, kaufte er sich einen Computer: „Man muss mit der Zeit gehen!“ war sein Motto. Doch zu seinen Hobbys gehörte auch die Malerei, er malte in Aquarell und Öl. Ein Bild, das in seinem Wohnzimmer hing, gefiel mir bei einem unserer Besuche ganz besonders. Da nahm er es kurzerhand von der Wand, schrieb eine Widmung auf die Rückseite und schenkte es mir! Jetzt hängt es in unserem Haus und ich freue mich jedes Mal, wenn ich es sehe. Als wir noch in Bray wohnten, holten wir ihn manchmal aus Glasnevin im Norden Dublins ab und verfrachteten ihn mitsamt Rollstuhl nach Bray. Er bedankte sich einmal dafür mit einem schönen Aquarell, das den Blick über die Bucht Richtung Dalkey zeigt. Er hatte vom Fuße des Bray Head aus eine kleine Skizze auf einer Zigarettenschachtel angefertigt und danach zu Hause das Bild gemalt. Das ist der zweite „Barney“, der bei uns hängt.
Das letzte Mal sahen wir ihn bei unserem Irlandbesuch 2002. Man merkte ihm an, dass er abbaute – er hatte den Termin für unseren Besuch vergessen. Er gehe nicht mehr ins Pub, erzählte er, die Leute würden ihn nerven. Das Malen hatte er aufgegeben und die Leibesfülle seines Hundes ließ darauf schließen, dass es mit regelmäßigen Spaziergängen vorbei war. Sein Lebenswille schien ihn verlassen zu haben. Er starb Herbst des gleichen Jahres – und lebt im Herzen vieler Menschen weiter!
© 2004 Katja Heimann-Kiefer