Wie alles begann Nach Irland! Intercontinental Corp Limerick ’63 Curragh of Kildare Weitere Berichte |
m April 1963 flog ich von Kloten mit Zwischenlandung in Paris nach Dublin. Bei azurblauem Himmel überflogen wir die Normandie, Flughöhe etwas mehr als 6.000 Fuß (ungefähr 1.900 m), Flugpreis 640 sfr. Scharf zeichneten sich die Bombentrichter auf den Feldern der Normandie ab. Man hatte noch keine Zeit gefunden, die Spuren der Invasion zu beseitigen, und die Kriegsnarben waren noch mit Regenwasser gefüllt und warteten darauf zugeschüttet zu werden. Die zweimotorigen Maschine vom Typ Fokker Friendship wurde zeitweise heftig von Luftböen geschüttelt, was darauf hindeutete, dass starke Turbulenzen herrschten und eine Wetterverschlechterung im Anzug war. Neben mir saß eine fast zwei Sitze breite Amerikanerin und fragte mit sonorer Stimme in gebrochenem Französisch, ob sie mir nicht die Hand geben dürfe, sie hätte so große Angst vorm Fliegen. Die Dame war auf der Durchreise und wollte weiter nach Shannon, um dort eine Maschine Richtung Vereinigte Staaten zu besteigen. Shannon war damals der wichtigste Flughafen, hier wurde zwischengelandet und aufgetankt, ehe es über den großen Teich ging. War der Annäherungsversuch vielleicht ein Vorwand, sich einen jugendlichen Begleiter zu beschaffen? You never know!
Ich genoss meinen ersten Flug und machte mir während dieser Reisebetreuung Gedanken über die traurigen Geschehnisse bei der Invasion in der Normandie, derweil die Landschaft unter uns dahinzog. So viele Schicksale hatten sich dort unten auf den „Green Fields of France“ abgespielt, die immer noch gerne in irischen Pubs besungen werden:
Now young Willie McBride I can’t help but wonder why
Do all those who lie here know why the died,
And did they believe when they answered the cause,
Did they really believe that this war would end wars ...
Der Schotte Eric Bogle hatte das Lied über ein Schicksal aus einem der Weltkriege als No Man’s Land geschrieben und die irischen Furey Brothers es unter dem Titel The Green Fields of France berühmt gemacht.
Über dem Kanal wurden die Turbulenzen heftiger und ich musste um meine Hand fürchten. Zum Glück kam die Erlösung, ein Wesen mit einem Lächeln auf den Lippen und zwei glasklaren, türkisgrünen Gletscherseen im Gesicht, ihr Pippilangstrumpf-
Ich wunderte mich später, dass die großen Maschinen der Pan Am auf dem kleinen Flugfeld aufsetzen konnten, sah jedoch ein paar Wochen später, wie die „Number One“ des amerikanischen Präsidenten das Flugfeld ohne Probleme fand und sich stolz vor dem Hauptgebäude des Dubliner Airport in Position brachte. Ich glaube, es war eine Super Constellation. Von einem Volksauflauf war nichts zu bemerken, nur ein paar Bodygards mit den berühmten Stecknadeln am Jackenrevers standen mit kurz geschorenem Haar lässig in der Gegend herum und beobachteten mit den Kiefern mahlend die nähere Umgebung. Die irischen Detektive hingegen trugen einen „unauffälligen Schlapphut“, denn einmal am Tag kam der „Niesling“ und nässte das Haar. Die Hände tief in den Taschen ihrer Trenchcoats vergraben, waren sie Sherlock-
Nun, für mich standen keine Bodyguards im Zollgebäude, aber ein Beamter mit strenger Miene und Rugbyspieler-
atürlich war es dann doch nicht so einfach. Die Zollabfertigung war eine Geschichte für sich. Wäre da nicht der Mitpassagier gewesen, wer weiß, was passiert wäre. Er war wie ich knapp über zwanzig, trug einen grauen Trenchcoat, vorne weit offen und mit dem Gurt zusammengeknotet, wie er von Kriminalbeamten in Actionfilmen bevorzugt wird. Die Haare kurz geschoren, Bürstenschnitt genannt, bevorzugt von GIs und Strafgefangenen. Er stellte sich als Guido aus Zürich vor und bot mir seine Hilfe an. In fließendem Englisch erklärte er dem Beamten meine Situation. Denn in Gedanken sah ich mich schon auf dem Rückflug als „Persona no grata“.
Der Inhalt meines schweren Koffers lag auf dem Tisch ausgebreitet. Ich hatte auf Anraten meiner geliebten Mam wieder viel zu viel eingepackt. Nebst der nötigen Wäsche befanden sich noch ein paar Kochbücher dabei – und ein „Aufklärungsbuch“. Wie das Buch in meinen Koffer kam, war mir ein Rätsel. Hatte da vielleicht meine Mutter den Abnabelungsversuch unterstützt? Ich war ja jetzt in einem Alter, in dem man sich für das andere Geschlecht mit den langen Haaren intensiv zu interessieren anfing. Wer weiß?
Als der nette Zöllner es zur Kontrolle in die Hand nahm und genau die Seite traf, wo ein nacktes weibliches Wesen uns mit sonnigem Lächeln entgegenblickte, bekam er nach längerem Hinschauen einen scharfen, strengen Blick. Er erklärte meinem Pseudo-
Ring a ring a rosie
As the light declines
I’ll remember Dublin City
In the rare ould times
it einem sattgrünen Doppelstöckigen ging es vom Flugplatz Richtung Stadt. Rechts und links säumten große Reklameschilder die Straße, genau wie in den Hollywood-
Erstaunt stellte ich fest, dass die Transportgesellschaft ein unglaubliches Vertrauen in ihre Kundschaft setzt, das Wort bescheißen/
Dublin überraschte mich mit seinem Mittagsverkehr. Alles, was sich bewegen konnte, drängte in die Stadt, zweirädrige Pferdekarren, davor rassige, schlanke, langmähnige Connemara Ponys. Ohne Scheu bewegten sie sich in elegantem Trab durch die Blechlawine links und rechts, ohne je einen Wagen zu touchieren oder zu behindern. Auf dem Sitzbock ein knorriger Alter, das Gesicht zerfurcht vom Wetter, eine speckige Schirmmütze auf dem Kopf und ein Zigarettenstummel im Mundwinkel. Oder ein Junge oder Mädchen mit herrlich leuchtend roten Haaren und einem fröhlichen Lächeln im sommersprossigen Gesicht. Kaum zu übersehen. Das Markenzeichen Irlands? Als sei es das einfachste auf der Welt, mit einem Pony unter den vielen stinkenden PS im Mittagsverkehr unterwegs zu sein. Ich selbst, auf einem Bauernhof aufgewachsen und mit Reit- und Zugpferden umzugehen gewohnt, hätte mich nie in gestrecktem Trab in so ein Tohuwabohu getraut. Trotzdem kein Hupen oder Fluchen. Mit stoischer Ruhe saßen die Iren hinter dem Lenkrad, aufmerksam – und auf dem Schoß die neuste Ausgabe der Tageszeitung. Gemächlich und ruckweise ging es vorwärts. Ich war fasziniert.
Wir fuhren auf der linken Seite der O’Connell Street Richtung Ballsbridge. Vorbei am General Post Office, mit Stolz über die Stadt hinweg schauend Admiral Nelson auf seiner Säule. Der Nelson Pillar und das GPO sollten später für mich wichtige „Date Points“ werden. Die O’Connell Street zählte damals zu den besten Einkaufsstraßen Europas. Schmuckgeschäfte lösten sich mit Leder- und Pelzgeschäften ab, Fischrestaurants, Pubs und Krimskramsläden fand man in den Seitenstrassen. Trotz des lärmenden Mittagsverkehr lag eine Ausstrahlung über der Stadt, die fast beruhigend wirkte, mir Vertrauen einflößte. Bunt bemalte Türen zierten die vorbeiziehenden, im Kolonialstil gebauten Häuser. Wurde hier die Post nach den Farben der Häuser verteilt? Oder gar nach dem Vermögen der Besitzer? Vielleicht so: Grün für brave irische Bürger, Rot für Kommunisten, Blau für Seefahrer, Orange für Protestanten und Gelb für Handwerker? Mir gefiel das Ambiente der Stadt.
Zigeunerinnen liefen flink durch die Autoreihen, im Brusttuch oder an der Hand ein Kind, streckten verstohlen ihre Hand in die offenen Autofenster und baten um einen Penny. Ein irischer Kollege erzählte mir später, dass neben den Zigeunerinnen auch Frauen von „Tinkern“ sich auf diese Weise ihr Sackgeld aufbesserten. Die Bevölkerung auf dem Lande sei wirklich arm und hätte nur das Nötigste. Doch wenn ich schon einmal etwas spenden wollte, sollte ich mir das Kind im Brusttuch zeigen lassen, denn es könnte sein, dass es aus einem Knäuel von Lumpen bestünde. Also am Ende doch noch menschliches Verhalten.
Ein Schweizer Koch in Irland – © 2005 Max E. Blunier & Jürgen Kullmann